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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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wenn es nicht vollständiger angehen könnte.
Dergleichen Regeln, und fast alle, pflegt' er
zu sagen, sind der Gemächlichkeit wegen da.
Wer Verstand und Willen hat braucht keine
dergleichen Kinder-Regel. Grundfalsch war
nie etwas, das er behauptete. Er hatte ei-
nen so treffenden Blick in Seel und Leib, daß
man glauben mußte, es wäre alles Regel-
recht, was er sagte. Es war, wie wir wis-
sen, ein Wurzelmann. Die Frau Gemah-
linn, die bey ihrem hohen Sinn nicht alle-
mahl einen hohen Ausdruck hatte, pflegte
dies zu übersetzen: er merke Mäuse. Je-
der Mensch hat seine Manier, seine Natur
im Sprechen. Herr v. G -- besaß, wenn
gleich nicht den treffenden Ausdruck meines
Vaters; so doch einen wohlgemennten, ei-
nen verständlichen. Gnad dem Gott, wer
ihm mit Punkten und Clauseln kam, die man
so und anders nehmen konnte. So was
mochte er versäufen im Meer, wo es am
tiefsten ist. Auf die Juristen war er übel zu
sprechen. Die besten, behauptet' er, bemü-
heten sich dem Kind einen Namen zu geben.
Der Namen ist ein Zaun, ein Schranken,
bis dahin und weiter nicht. Gott hat keinen
Namen.

Das

wenn es nicht vollſtaͤndiger angehen koͤnnte.
Dergleichen Regeln, und faſt alle, pflegt’ er
zu ſagen, ſind der Gemaͤchlichkeit wegen da.
Wer Verſtand und Willen hat braucht keine
dergleichen Kinder-Regel. Grundfalſch war
nie etwas, das er behauptete. Er hatte ei-
nen ſo treffenden Blick in Seel und Leib, daß
man glauben mußte, es waͤre alles Regel-
recht, was er ſagte. Es war, wie wir wiſ-
ſen, ein Wurzelmann. Die Frau Gemah-
linn, die bey ihrem hohen Sinn nicht alle-
mahl einen hohen Ausdruck hatte, pflegte
dies zu uͤberſetzen: er merke Maͤuſe. Je-
der Menſch hat ſeine Manier, ſeine Natur
im Sprechen. Herr v. G — beſaß, wenn
gleich nicht den treffenden Ausdruck meines
Vaters; ſo doch einen wohlgemennten, ei-
nen verſtaͤndlichen. Gnad dem Gott, wer
ihm mit Punkten und Clauſeln kam, die man
ſo und anders nehmen konnte. So was
mochte er verſaͤufen im Meer, wo es am
tiefſten iſt. Auf die Juriſten war er uͤbel zu
ſprechen. Die beſten, behauptet’ er, bemuͤ-
heten ſich dem Kind einen Namen zu geben.
Der Namen iſt ein Zaun, ein Schranken,
bis dahin und weiter nicht. Gott hat keinen
Namen.

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[172/0178] wenn es nicht vollſtaͤndiger angehen koͤnnte. Dergleichen Regeln, und faſt alle, pflegt’ er zu ſagen, ſind der Gemaͤchlichkeit wegen da. Wer Verſtand und Willen hat braucht keine dergleichen Kinder-Regel. Grundfalſch war nie etwas, das er behauptete. Er hatte ei- nen ſo treffenden Blick in Seel und Leib, daß man glauben mußte, es waͤre alles Regel- recht, was er ſagte. Es war, wie wir wiſ- ſen, ein Wurzelmann. Die Frau Gemah- linn, die bey ihrem hohen Sinn nicht alle- mahl einen hohen Ausdruck hatte, pflegte dies zu uͤberſetzen: er merke Maͤuſe. Je- der Menſch hat ſeine Manier, ſeine Natur im Sprechen. Herr v. G — beſaß, wenn gleich nicht den treffenden Ausdruck meines Vaters; ſo doch einen wohlgemennten, ei- nen verſtaͤndlichen. Gnad dem Gott, wer ihm mit Punkten und Clauſeln kam, die man ſo und anders nehmen konnte. So was mochte er verſaͤufen im Meer, wo es am tiefſten iſt. Auf die Juriſten war er uͤbel zu ſprechen. Die beſten, behauptet’ er, bemuͤ- heten ſich dem Kind einen Namen zu geben. Der Namen iſt ein Zaun, ein Schranken, bis dahin und weiter nicht. Gott hat keinen Namen. Das

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/178>, abgerufen am 25.11.2024.