das Wohlgehen mit dem langen Leben ver- bunden ist; wem gehts aber in der jetzigen argen bösen Welt wohl? wo selbst in Curland ein Herzog ist. Oft lebt man darum so gern lange, damit man sich nicht den Vorwurf zu- ziehe, sein Leben verkürzt zu haben. Ein lan- ges Leben scheint uns ein Testimonium des Wohlverhaltens gegen uns. --
Der Fluch, der die Weiber traf, gehört er nicht auf die Rechnung der Weichlichkeit und Verzärtelung? Weiber, die sich weni- ger verzärteln, empfinden von dem Fluch: du solst mit Schmerzen Kinder gebäh- ren, noch bis diesen Augenblick wenig, oder gar nichts, und wenn sie selbst, wie im Na- turstande, arbeiten und sich nicht blos vom Herrn Gemahl ernähren lassen, haben sie so gut ihren Willen, als die Männer. Eignen sich nicht viele Weiber diesen Eigenwillen, be- sonders im adlichen Stande, schon wegen ih- res Eingebrachten zu? -- daß sich Gott er- barme! In seinem eignen Hause ein Sclave seyn! --
Der Stand der Unschuld, oder der Stand der ersten Natur, das Paradies, war ein Zustand, da der Mensch, so wie die Thiere,
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das Wohlgehen mit dem langen Leben ver- bunden iſt; wem gehts aber in der jetzigen argen boͤſen Welt wohl? wo ſelbſt in Curland ein Herzog iſt. Oft lebt man darum ſo gern lange, damit man ſich nicht den Vorwurf zu- ziehe, ſein Leben verkuͤrzt zu haben. Ein lan- ges Leben ſcheint uns ein Teſtimonium des Wohlverhaltens gegen uns. —
Der Fluch, der die Weiber traf, gehoͤrt er nicht auf die Rechnung der Weichlichkeit und Verzaͤrtelung? Weiber, die ſich weni- ger verzaͤrteln, empfinden von dem Fluch: du ſolſt mit Schmerzen Kinder gebaͤh- ren, noch bis dieſen Augenblick wenig, oder gar nichts, und wenn ſie ſelbſt, wie im Na- turſtande, arbeiten und ſich nicht blos vom Herrn Gemahl ernaͤhren laſſen, haben ſie ſo gut ihren Willen, als die Maͤnner. Eignen ſich nicht viele Weiber dieſen Eigenwillen, be- ſonders im adlichen Stande, ſchon wegen ih- res Eingebrachten zu? — daß ſich Gott er- barme! In ſeinem eignen Hauſe ein Sclave ſeyn! —
Der Stand der Unſchuld, oder der Stand der erſten Natur, das Paradies, war ein Zuſtand, da der Menſch, ſo wie die Thiere,
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[214/0220]
das Wohlgehen mit dem langen Leben ver-
bunden iſt; wem gehts aber in der jetzigen
argen boͤſen Welt wohl? wo ſelbſt in Curland
ein Herzog iſt. Oft lebt man darum ſo gern
lange, damit man ſich nicht den Vorwurf zu-
ziehe, ſein Leben verkuͤrzt zu haben. Ein lan-
ges Leben ſcheint uns ein Teſtimonium des
Wohlverhaltens gegen uns. —
Der Fluch, der die Weiber traf, gehoͤrt
er nicht auf die Rechnung der Weichlichkeit
und Verzaͤrtelung? Weiber, die ſich weni-
ger verzaͤrteln, empfinden von dem Fluch:
du ſolſt mit Schmerzen Kinder gebaͤh-
ren, noch bis dieſen Augenblick wenig, oder
gar nichts, und wenn ſie ſelbſt, wie im Na-
turſtande, arbeiten und ſich nicht blos vom
Herrn Gemahl ernaͤhren laſſen, haben ſie ſo
gut ihren Willen, als die Maͤnner. Eignen
ſich nicht viele Weiber dieſen Eigenwillen, be-
ſonders im adlichen Stande, ſchon wegen ih-
res Eingebrachten zu? — daß ſich Gott er-
barme! In ſeinem eignen Hauſe ein Sclave
ſeyn! —
Der Stand der Unſchuld, oder der Stand
der erſten Natur, das Paradies, war ein
Zuſtand, da der Menſch, ſo wie die Thiere,
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/220>, abgerufen am 23.11.2024.
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