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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Wer fehlt mir, Freund, als Mine, sagte
Gretchen und weinte so sanft, als man in ei-
ner Milchbude weinen muß. Sie beklagte
sehr, keine Freundin in ihrer Gegend zu ha-
ben; allein ich habe einen lieben sehr lieben
Mann! fügte sie hinzu. Wer hätte das dem
Nathanael, dem Justizrath, ansehen sollen?
Wenns geregnet hat, sagte sie, wie schön ist
es hier! und gab mir die Hand. Das gute
Gretchen! Warum nicht alle Kinder, fragt'
ich Gretchen? Gern möcht ich mich mit die-
sen Kleinen ins Gras setzen! "Ich wolte
mehr mit ihnen allein seyn!"
Wahr ists!
Drey kleine Kinder zusammen ist wie eine
große Gesellschaft. Gretchen hatte keine an-
dere Gesellschaft, als ihre Kinder. Zuweilen
kam der Graf, und sie waren noch öfter bey
ihm. Gretchen war nicht ganz für diesen Ge-
ruch des Todes zum Tode. Die Sache ge-
nau genommen, ist auch der Geruch des Le-
bens zum Leben, Leib und Seele gesünder.
Eine Person von ihrem Herzen konnte nicht
anders, als tödtlich gerührt vom Grafen heim-
fahren. Nathanael lies sie vorzüglich, wenn
sie gesegnet war, nicht zum Grafen. Alles
gut! sagte Gretchen, das hiesige Leben ist doch
auch nicht zu verachten und es ist Pflicht, zu

genüßen

Wer fehlt mir, Freund, als Mine, ſagte
Gretchen und weinte ſo ſanft, als man in ei-
ner Milchbude weinen muß. Sie beklagte
ſehr, keine Freundin in ihrer Gegend zu ha-
ben; allein ich habe einen lieben ſehr lieben
Mann! fuͤgte ſie hinzu. Wer haͤtte das dem
Nathanael, dem Juſtizrath, anſehen ſollen?
Wenns geregnet hat, ſagte ſie, wie ſchoͤn iſt
es hier! und gab mir die Hand. Das gute
Gretchen! Warum nicht alle Kinder, fragt’
ich Gretchen? Gern moͤcht ich mich mit die-
ſen Kleinen ins Gras ſetzen! „Ich wolte
mehr mit ihnen allein ſeyn!“
Wahr iſts!
Drey kleine Kinder zuſammen iſt wie eine
große Geſellſchaft. Gretchen hatte keine an-
dere Geſellſchaft, als ihre Kinder. Zuweilen
kam der Graf, und ſie waren noch oͤfter bey
ihm. Gretchen war nicht ganz fuͤr dieſen Ge-
ruch des Todes zum Tode. Die Sache ge-
nau genommen, iſt auch der Geruch des Le-
bens zum Leben, Leib und Seele geſuͤnder.
Eine Perſon von ihrem Herzen konnte nicht
anders, als toͤdtlich geruͤhrt vom Grafen heim-
fahren. Nathanael lies ſie vorzuͤglich, wenn
ſie geſegnet war, nicht zum Grafen. Alles
gut! ſagte Gretchen, das hieſige Leben iſt doch
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[411/0419] Wer fehlt mir, Freund, als Mine, ſagte Gretchen und weinte ſo ſanft, als man in ei- ner Milchbude weinen muß. Sie beklagte ſehr, keine Freundin in ihrer Gegend zu ha- ben; allein ich habe einen lieben ſehr lieben Mann! fuͤgte ſie hinzu. Wer haͤtte das dem Nathanael, dem Juſtizrath, anſehen ſollen? Wenns geregnet hat, ſagte ſie, wie ſchoͤn iſt es hier! und gab mir die Hand. Das gute Gretchen! Warum nicht alle Kinder, fragt’ ich Gretchen? Gern moͤcht ich mich mit die- ſen Kleinen ins Gras ſetzen! „Ich wolte mehr mit ihnen allein ſeyn!“ Wahr iſts! Drey kleine Kinder zuſammen iſt wie eine große Geſellſchaft. Gretchen hatte keine an- dere Geſellſchaft, als ihre Kinder. Zuweilen kam der Graf, und ſie waren noch oͤfter bey ihm. Gretchen war nicht ganz fuͤr dieſen Ge- ruch des Todes zum Tode. Die Sache ge- nau genommen, iſt auch der Geruch des Le- bens zum Leben, Leib und Seele geſuͤnder. Eine Perſon von ihrem Herzen konnte nicht anders, als toͤdtlich geruͤhrt vom Grafen heim- fahren. Nathanael lies ſie vorzuͤglich, wenn ſie geſegnet war, nicht zum Grafen. Alles gut! ſagte Gretchen, das hieſige Leben iſt doch auch nicht zu verachten und es iſt Pflicht, zu genuͤßen

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/419>, abgerufen am 22.11.2024.