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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Der Graf freute sich über alle Maaßen.
Ein Sterbender allein hätt ihn mehr erfreuen
können. Man schrieb mir aus Königsberg,
sie wären da, sagte der Graf, und ich wäre
fast in die Verlegenheit gekommen, sie zu bit-
ten, ihren alten Freund nicht zu vergessen --
Desto besser, daß sie ohne das gekommen sind.

Meinen Lesern ist es bekannt, wie viel der
Graf von Künftigkeiten zu bestimmen gewohnt
war. Es fiel ihm mancher Umstand wie aus
dem Ermel. Wer wird denn wohl im drey-
ßigsten oder vierzigsten Jahre wißen wollen,
ob er es bis siebenzig oder achtzig bringen,
oder eher sterben werde? Und wem ist über-
haupt damit gedient, da Vorhänge aufzuzie-
hen, wo die Hand der Vorsicht sie wohlbe-
dächtig angebracht hat. Warum soll man
die Kunst lernen, fast immer die Zeit und
Stunde zu wißen, wenn es mit den Patien-
ten aus seyn werde? Gut, keinen medicini-
schen Tod zu sterben; indessen würd ich es
eben so ungern sehen, wenn ich wüßte: ich
sterbe und ein andrer observirt mich! -- Wer
läßt sich gern observiren? Eben darum trift
der Mahler am besten, der die Gestalt stiehlt!
-- Die Welt ist ein Garten im Norden, wie
der Graf sagt, wo wenig reif wird So wir

das

Der Graf freute ſich uͤber alle Maaßen.
Ein Sterbender allein haͤtt ihn mehr erfreuen
koͤnnen. Man ſchrieb mir aus Koͤnigsberg,
ſie waͤren da, ſagte der Graf, und ich waͤre
faſt in die Verlegenheit gekommen, ſie zu bit-
ten, ihren alten Freund nicht zu vergeſſen —
Deſto beſſer, daß ſie ohne das gekommen ſind.

Meinen Leſern iſt es bekannt, wie viel der
Graf von Kuͤnftigkeiten zu beſtimmen gewohnt
war. Es fiel ihm mancher Umſtand wie aus
dem Ermel. Wer wird denn wohl im drey-
ßigſten oder vierzigſten Jahre wißen wollen,
ob er es bis ſiebenzig oder achtzig bringen,
oder eher ſterben werde? Und wem iſt uͤber-
haupt damit gedient, da Vorhaͤnge aufzuzie-
hen, wo die Hand der Vorſicht ſie wohlbe-
daͤchtig angebracht hat. Warum ſoll man
die Kunſt lernen, faſt immer die Zeit und
Stunde zu wißen, wenn es mit den Patien-
ten aus ſeyn werde? Gut, keinen medicini-
ſchen Tod zu ſterben; indeſſen wuͤrd ich es
eben ſo ungern ſehen, wenn ich wuͤßte: ich
ſterbe und ein andrer obſervirt mich! — Wer
laͤßt ſich gern obſerviren? Eben darum trift
der Mahler am beſten, der die Geſtalt ſtiehlt!
— Die Welt iſt ein Garten im Norden, wie
der Graf ſagt, wo wenig reif wird So wir

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[416/0424] Der Graf freute ſich uͤber alle Maaßen. Ein Sterbender allein haͤtt ihn mehr erfreuen koͤnnen. Man ſchrieb mir aus Koͤnigsberg, ſie waͤren da, ſagte der Graf, und ich waͤre faſt in die Verlegenheit gekommen, ſie zu bit- ten, ihren alten Freund nicht zu vergeſſen — Deſto beſſer, daß ſie ohne das gekommen ſind. Meinen Leſern iſt es bekannt, wie viel der Graf von Kuͤnftigkeiten zu beſtimmen gewohnt war. Es fiel ihm mancher Umſtand wie aus dem Ermel. Wer wird denn wohl im drey- ßigſten oder vierzigſten Jahre wißen wollen, ob er es bis ſiebenzig oder achtzig bringen, oder eher ſterben werde? Und wem iſt uͤber- haupt damit gedient, da Vorhaͤnge aufzuzie- hen, wo die Hand der Vorſicht ſie wohlbe- daͤchtig angebracht hat. Warum ſoll man die Kunſt lernen, faſt immer die Zeit und Stunde zu wißen, wenn es mit den Patien- ten aus ſeyn werde? Gut, keinen medicini- ſchen Tod zu ſterben; indeſſen wuͤrd ich es eben ſo ungern ſehen, wenn ich wuͤßte: ich ſterbe und ein andrer obſervirt mich! — Wer laͤßt ſich gern obſerviren? Eben darum trift der Mahler am beſten, der die Geſtalt ſtiehlt! — Die Welt iſt ein Garten im Norden, wie der Graf ſagt, wo wenig reif wird So wir das

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/424>, abgerufen am 22.11.2024.