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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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über den neuern Gartengeschmack.
von Europa, und selbst aus Asiens entferntesten Ländern, zu uns verpflanzten Bäu-
me und Sträucher? Sie haben für den Bau der Schiffe und andrer Werke der Ar-
chitectur, für die künstliche Bearbeitung zu allerley Hausgeräthe und Auszierung der
Gebäude und für manche Bequemlichkeiten des Lebens einen ganz entschiedenen Werth;
sie gründen einen vortheilhaften Handel, den man vormals in Gärten nicht kannte,
die nur aus unbeweglichen Hecken und Alleen bestanden.

Gewiß, man darf von dieser Seite den neuern Gartengeschmack keiner Verfüh-
rung zum leeren Aufwand beschuldigen. Was kosteten dagegen nicht in den alten
Gärten allein die Blumen, da man für eine einzige Zwiebel, die zuweilen ein Wurm
in einer Nacht zerstörte, oder die ihre vergängliche Schönheit doch nur auf wenige
Jahre versprach, oft über tausend Gülden zahlte? Wie verderblich war nicht beson-
ders die Tulipomanie, die sich in den Jahren 1634 bis 1637 durch Holland und
von da zu uns und weiter verbreitete? Man bezahlte in Holland, wie Nicolas van
Kampen erzählt, für eine einzige Tulpenzwiebel auf 5500 holländische Gülden. *)
Und wie viel deutsches Geld wird nicht noch jetzt an die Haarlemer Blumenhändler
verschwendet? Dennoch giebt einem Baum seine Dauer und die jährlich zunehmende
Schönheit seines Ansehens, vor der aufblühenden und dahinwelkenden Farbenpracht
der herrlichsten Blume, einen unterscheidenden Werth; auch ist er nicht der sorgfälti-
gen Wartung, wie diese, bedürftig. Und wie kostbar war nicht in den vorigen Gärten die
gewöhnliche Unterhaltung der Orangerien, die fast keinen Nutzen brachten, und unserm
Himmelsstrich eben so wenig, als dem Vermögen ihrer Besitzer, angemessen waren?

Die ungeheuern Wasserkünste, deren Anlage und Verzierung in der alten Gar-
tenmanier so viel Geld verschlungen, kennt der reine Geschmack nicht mehr. Auch er-
spart er den Aufwand für den Ueberfluß von Statüen und Vasen, die, so schlecht sie
auch waren, doch nicht wenig kosteten.

Die Ausgaben für das ewige Beschneiden der Hecken, Alleen, Labyrinthe, Ka-
binette, Theater, und wie die Misgeburten der altfranzösischen und holländischen
Gartenbaukunst weiter heißen, sind gewonnen. Die Bäume und Sträucher, die der
neue Geschmack pflanzt, erhalten sich fast von selbst, weil sie frey und fröhlich unter
der Hand der milden Natur aufwachsen.

Freylich waren die Plätze der alten Gärten gemeiniglich kleiner als die, welche
die neuen Anlagen erfordern; allein jene waren doch nicht besser, als Heide oder Sand-
land, da hingegen diese grünen und bepflanzten Räume zugleich nutzbar werden.
Die Bäume und Sträucher, die hier von der tyrannischen Gewaltthätigkeit der Scheere
verschont werden, liefern freygebiger Reiser und Schößlinge zur Vermehrung und

zum
*) S. den 1sten B. dieser Gartenkunst. S. 53. Man vergleiche S. 48. die Note.
B 2

uͤber den neuern Gartengeſchmack.
von Europa, und ſelbſt aus Aſiens entfernteſten Laͤndern, zu uns verpflanzten Baͤu-
me und Straͤucher? Sie haben fuͤr den Bau der Schiffe und andrer Werke der Ar-
chitectur, fuͤr die kuͤnſtliche Bearbeitung zu allerley Hausgeraͤthe und Auszierung der
Gebaͤude und fuͤr manche Bequemlichkeiten des Lebens einen ganz entſchiedenen Werth;
ſie gruͤnden einen vortheilhaften Handel, den man vormals in Gaͤrten nicht kannte,
die nur aus unbeweglichen Hecken und Alleen beſtanden.

Gewiß, man darf von dieſer Seite den neuern Gartengeſchmack keiner Verfuͤh-
rung zum leeren Aufwand beſchuldigen. Was koſteten dagegen nicht in den alten
Gaͤrten allein die Blumen, da man fuͤr eine einzige Zwiebel, die zuweilen ein Wurm
in einer Nacht zerſtoͤrte, oder die ihre vergaͤngliche Schoͤnheit doch nur auf wenige
Jahre verſprach, oft uͤber tauſend Guͤlden zahlte? Wie verderblich war nicht beſon-
ders die Tulipomanie, die ſich in den Jahren 1634 bis 1637 durch Holland und
von da zu uns und weiter verbreitete? Man bezahlte in Holland, wie Nicolas van
Kampen erzaͤhlt, fuͤr eine einzige Tulpenzwiebel auf 5500 hollaͤndiſche Guͤlden. *)
Und wie viel deutſches Geld wird nicht noch jetzt an die Haarlemer Blumenhaͤndler
verſchwendet? Dennoch giebt einem Baum ſeine Dauer und die jaͤhrlich zunehmende
Schoͤnheit ſeines Anſehens, vor der aufbluͤhenden und dahinwelkenden Farbenpracht
der herrlichſten Blume, einen unterſcheidenden Werth; auch iſt er nicht der ſorgfaͤlti-
gen Wartung, wie dieſe, beduͤrftig. Und wie koſtbar war nicht in den vorigen Gaͤrten die
gewoͤhnliche Unterhaltung der Orangerien, die faſt keinen Nutzen brachten, und unſerm
Himmelsſtrich eben ſo wenig, als dem Vermoͤgen ihrer Beſitzer, angemeſſen waren?

Die ungeheuern Waſſerkuͤnſte, deren Anlage und Verzierung in der alten Gar-
tenmanier ſo viel Geld verſchlungen, kennt der reine Geſchmack nicht mehr. Auch er-
ſpart er den Aufwand fuͤr den Ueberfluß von Statuͤen und Vaſen, die, ſo ſchlecht ſie
auch waren, doch nicht wenig koſteten.

Die Ausgaben fuͤr das ewige Beſchneiden der Hecken, Alleen, Labyrinthe, Ka-
binette, Theater, und wie die Misgeburten der altfranzoͤſiſchen und hollaͤndiſchen
Gartenbaukunſt weiter heißen, ſind gewonnen. Die Baͤume und Straͤucher, die der
neue Geſchmack pflanzt, erhalten ſich faſt von ſelbſt, weil ſie frey und froͤhlich unter
der Hand der milden Natur aufwachſen.

Freylich waren die Plaͤtze der alten Gaͤrten gemeiniglich kleiner als die, welche
die neuen Anlagen erfordern; allein jene waren doch nicht beſſer, als Heide oder Sand-
land, da hingegen dieſe gruͤnen und bepflanzten Raͤume zugleich nutzbar werden.
Die Baͤume und Straͤucher, die hier von der tyranniſchen Gewaltthaͤtigkeit der Scheere
verſchont werden, liefern freygebiger Reiſer und Schoͤßlinge zur Vermehrung und

zum
*) S. den 1ſten B. dieſer Gartenkunſt. S. 53. Man vergleiche S. 48. die Note.
B 2
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[11/0015] uͤber den neuern Gartengeſchmack. von Europa, und ſelbſt aus Aſiens entfernteſten Laͤndern, zu uns verpflanzten Baͤu- me und Straͤucher? Sie haben fuͤr den Bau der Schiffe und andrer Werke der Ar- chitectur, fuͤr die kuͤnſtliche Bearbeitung zu allerley Hausgeraͤthe und Auszierung der Gebaͤude und fuͤr manche Bequemlichkeiten des Lebens einen ganz entſchiedenen Werth; ſie gruͤnden einen vortheilhaften Handel, den man vormals in Gaͤrten nicht kannte, die nur aus unbeweglichen Hecken und Alleen beſtanden. Gewiß, man darf von dieſer Seite den neuern Gartengeſchmack keiner Verfuͤh- rung zum leeren Aufwand beſchuldigen. Was koſteten dagegen nicht in den alten Gaͤrten allein die Blumen, da man fuͤr eine einzige Zwiebel, die zuweilen ein Wurm in einer Nacht zerſtoͤrte, oder die ihre vergaͤngliche Schoͤnheit doch nur auf wenige Jahre verſprach, oft uͤber tauſend Guͤlden zahlte? Wie verderblich war nicht beſon- ders die Tulipomanie, die ſich in den Jahren 1634 bis 1637 durch Holland und von da zu uns und weiter verbreitete? Man bezahlte in Holland, wie Nicolas van Kampen erzaͤhlt, fuͤr eine einzige Tulpenzwiebel auf 5500 hollaͤndiſche Guͤlden. *) Und wie viel deutſches Geld wird nicht noch jetzt an die Haarlemer Blumenhaͤndler verſchwendet? Dennoch giebt einem Baum ſeine Dauer und die jaͤhrlich zunehmende Schoͤnheit ſeines Anſehens, vor der aufbluͤhenden und dahinwelkenden Farbenpracht der herrlichſten Blume, einen unterſcheidenden Werth; auch iſt er nicht der ſorgfaͤlti- gen Wartung, wie dieſe, beduͤrftig. Und wie koſtbar war nicht in den vorigen Gaͤrten die gewoͤhnliche Unterhaltung der Orangerien, die faſt keinen Nutzen brachten, und unſerm Himmelsſtrich eben ſo wenig, als dem Vermoͤgen ihrer Beſitzer, angemeſſen waren? Die ungeheuern Waſſerkuͤnſte, deren Anlage und Verzierung in der alten Gar- tenmanier ſo viel Geld verſchlungen, kennt der reine Geſchmack nicht mehr. Auch er- ſpart er den Aufwand fuͤr den Ueberfluß von Statuͤen und Vaſen, die, ſo ſchlecht ſie auch waren, doch nicht wenig koſteten. Die Ausgaben fuͤr das ewige Beſchneiden der Hecken, Alleen, Labyrinthe, Ka- binette, Theater, und wie die Misgeburten der altfranzoͤſiſchen und hollaͤndiſchen Gartenbaukunſt weiter heißen, ſind gewonnen. Die Baͤume und Straͤucher, die der neue Geſchmack pflanzt, erhalten ſich faſt von ſelbſt, weil ſie frey und froͤhlich unter der Hand der milden Natur aufwachſen. Freylich waren die Plaͤtze der alten Gaͤrten gemeiniglich kleiner als die, welche die neuen Anlagen erfordern; allein jene waren doch nicht beſſer, als Heide oder Sand- land, da hingegen dieſe gruͤnen und bepflanzten Raͤume zugleich nutzbar werden. Die Baͤume und Straͤucher, die hier von der tyranniſchen Gewaltthaͤtigkeit der Scheere verſchont werden, liefern freygebiger Reiſer und Schoͤßlinge zur Vermehrung und zum *) S. den 1ſten B. dieſer Gartenkunſt. S. 53. Man vergleiche S. 48. die Note. B 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/15>, abgerufen am 21.11.2024.