Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.Zweyter Abschnitt. Bestimmung Diese Idee verlor sich in den mittlern Zeiten nicht ganz. Der Gartenplatz, Als le Notre die Gärten in Frankreich nach einer genauern Symmetrie hin- Dieser Irrthum dauerte bis zur Einführung des brittischen Gartengeschmacks. Bald darauf, als die neue Manier sich verbreitete, fieng man an, Garten und noch
Zweyter Abſchnitt. Beſtimmung Dieſe Idee verlor ſich in den mittlern Zeiten nicht ganz. Der Gartenplatz, Als le Notre die Gaͤrten in Frankreich nach einer genauern Symmetrie hin- Dieſer Irrthum dauerte bis zur Einfuͤhrung des brittiſchen Gartengeſchmacks. Bald darauf, als die neue Manier ſich verbreitete, fieng man an, Garten und noch
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Zweyter Abſchnitt. Beſtimmung
Dieſe Idee verlor ſich in den mittlern Zeiten nicht ganz. Der Gartenplatz,
der freylich eine Art von Umzaͤunung oder Abſonderung bedurfte, ward bald vom
Stolz mit Mauern umzogen und dadurch aller Verbindung mit der ſchoͤnen Natur be-
raubt; er bekam eine viereckigte Figur und eine ſymmetriſche Eintheilung; er ward
mit geraden Hecken und hohen Alleen bepflanzt, und ein Blumenbeet und in der Folge
einige Kunſtwerke machten die ganze innere Verzierung aus. Der Adel war ſtolz ei-
nen ſolchen Kerker, worinn eine beklemmende Verſchloſſenheit herrſchte, und keine er-
friſchende Luͤſte athmen konnten, zu beſitzen; man wußte nicht, daß ein Garten etwas
anders ſeyn konnte, als ein ſolcher Bezirk, worinn eine todte Einſamkeit ſich zu der
geſchmackloſeſten Einfoͤrmigkeit geſellte.
Als le Notre die Gaͤrten in Frankreich nach einer genauern Symmetrie hin-
zirkelte und mit einem Ueberfluß von pomphaften Verzierungen belaſtete, veraͤnderte
ſich auch der Begriff vom Garten, und breitete ſich mit dieſer Manier durch ganz
Europa aus. Die geraden Hecken und Alleen blieben; aber ſie wurden ſo ſcharf
unter der Scheere gehalten, daß ihre harten Abſchnitte, gegen die Luft betrachtet, einem
empfindlichen Auge unertraͤglich wurden. Man uͤberſah die liebenswuͤrdige Wildniß
der Formen, die ſchon die Natur den Baͤumen gegeben, man wollte alles beſſer ma-
chen, als ſie, ſelbſt die ſtolze Ruͤndung der Roßkaſtanien, den ehrwuͤrdigen Umfang
der Linde, und die praͤchtige Krone des Orangenbaums. Nicht blos einzelne Baͤu-
me wurden in widerſumige Formen verunſtaltet, ſondern auch aus lebendigen Gebuͤ-
ſchen ward eine elende Architectur erzwungen. Kanaͤle, Springbrunnen, mit Mar-
mor verbunden, Vaſen, Statuͤen, Gitterwerke und Gelaͤnder verdraͤngten den bluͤhen-
den Reiz der Natur. Leere Pracht ohne Natur, und Koſtbarkeit ohne Geſchmack
bezeichneten dieſe Plaͤtze auf allen Seiten. Man hielt ſie allein fuͤr wahre Gaͤrten;
was anders entworfen oder gedacht ward, ſollte dieſen Namen nicht verdienen. Der
Franzoſe, der Verſailles als das hoͤchſte Urbild von Gartenſchoͤnheiten betrachtete,
konnte ſich kaum das Paradies ohne praͤchtige Alleen, ohne Waſſerkuͤnſte und Sta-
tuͤen vorſtellen. Er konnte ohne Symmetrie und Kuͤnſteley keinen Luſtplatz mehr den-
ken. Und halb Europa irrte dem Franzoſen nach.
Dieſer Irrthum dauerte bis zur Einfuͤhrung des brittiſchen Gartengeſchmacks.
Nunmehr aͤnderte ſich das, was man unter dem Namen von Garten bisher verſtan-
den hatte. Weil aber doch der Begriff, den die franzoͤſiſche Manier eingefuͤhrt
hatte, faſt allgemein geworden war, ſo ſchien es noͤthig, den neuen Geſchmack durch
die Benennung vom engliſchen Garten beſtimmter zu bezeichnen.
Bald darauf, als die neue Manier ſich verbreitete, fieng man an, Garten und
Park nicht blos zu unterſcheiden, ſondern auch einander entgegen zu ſetzen. Und den-
noch
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