Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
"Hier unten in dem Thale schlafen sie
"Zusammen, sprach mein Vater, lange schon,
"Die Römer mit den Deutschen, und es haben
"Die Freigebornen sich, die stolzen, stillen,
"Im Tode mit den Welteroberern
"Versöhnt, und Großes ist und Größeres
"Zusammen in der Erde Schoos gefallen.
"Wo seyd ihr, meine Todten all'? Es lebt
"Der Menschengenius, der Sprache Gott,
"Der alte Braga noch, und Hertha grünt
"Noch immer ihren Kindern, und Walhalla
"Blaut über uns, der heimathliche Himmel;
"Doch euch, ihr Heldenbilder, find' ich nicht."
Ich sah hinab und leise schauerte
Mein Herz und bei den Starken war mein Sinn,
Den Guten, die hier unten vormals lebten.
Jetzt stand ein Jüngling, der, uns ungesehen,
Am einsamen Gebüsch beiseit gesessen,
Nicht ferne von mir auf. O Vater! mußt'
Ich rufen, das ist Eduard! -- Du bist
Nicht klug, mein Kind! erwiedert er und sah
Den Jüngling an; es mocht' ihn wohl auch treffen,
Er faßte schnell mich bei der Hand und zog
Mich weiter. Einmal mußt' ich noch mich umsehn.
Derselbe wars und nicht derselbe! Stolz und groß,
„Hier unten in dem Thale ſchlafen ſie
„Zuſammen, ſprach mein Vater, lange ſchon,
„Die Roͤmer mit den Deutſchen, und es haben
„Die Freigebornen ſich, die ſtolzen, ſtillen,
„Im Tode mit den Welteroberern
„Verſoͤhnt, und Großes iſt und Groͤßeres
„Zuſammen in der Erde Schoos gefallen.
„Wo ſeyd ihr, meine Todten all'? Es lebt
„Der Menſchengenius, der Sprache Gott,
„Der alte Braga noch, und Hertha gruͤnt
„Noch immer ihren Kindern, und Walhalla
„Blaut uͤber uns, der heimathliche Himmel;
„Doch euch, ihr Heldenbilder, find' ich nicht.“
Ich ſah hinab und leiſe ſchauerte
Mein Herz und bei den Starken war mein Sinn,
Den Guten, die hier unten vormals lebten.
Jetzt ſtand ein Juͤngling, der, uns ungeſehen,
Am einſamen Gebuͤſch beiſeit geſeſſen,
Nicht ferne von mir auf. O Vater! mußt'
Ich rufen, das iſt Eduard! — Du biſt
Nicht klug, mein Kind! erwiedert er und ſah
Den Juͤngling an; es mocht' ihn wohl auch treffen,
Er faßte ſchnell mich bei der Hand und zog
Mich weiter. Einmal mußt' ich noch mich umſehn.
Derſelbe wars und nicht derſelbe! Stolz und groß,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0104" n="96"/>
            <lg n="9">
              <l>&#x201E;Hier unten in dem Thale &#x017F;chlafen &#x017F;ie</l><lb/>
              <l>&#x201E;Zu&#x017F;ammen, &#x017F;prach mein Vater, lange &#x017F;chon,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Die Ro&#x0364;mer mit den Deut&#x017F;chen, und es haben</l><lb/>
              <l>&#x201E;Die Freigebornen &#x017F;ich, die &#x017F;tolzen, &#x017F;tillen,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Im Tode mit den Welteroberern</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ver&#x017F;o&#x0364;hnt, und Großes i&#x017F;t und Gro&#x0364;ßeres</l><lb/>
              <l>&#x201E;Zu&#x017F;ammen in der Erde Schoos gefallen.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wo &#x017F;eyd ihr, meine Todten all'? Es lebt</l><lb/>
              <l>&#x201E;Der Men&#x017F;chengenius, der Sprache Gott,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Der alte Braga noch, und Hertha gru&#x0364;nt</l><lb/>
              <l>&#x201E;Noch immer ihren Kindern, und Walhalla</l><lb/>
              <l>&#x201E;Blaut u&#x0364;ber uns, der heimathliche Himmel;</l><lb/>
              <l>&#x201E;Doch euch, ihr Heldenbilder, find' ich nicht.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="10">
              <l>Ich &#x017F;ah hinab und lei&#x017F;e &#x017F;chauerte</l><lb/>
              <l>Mein Herz und bei den Starken war mein Sinn,</l><lb/>
              <l>Den Guten, die hier unten vormals lebten.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Jetzt &#x017F;tand ein Ju&#x0364;ngling, der, uns unge&#x017F;ehen,</l><lb/>
              <l>Am ein&#x017F;amen Gebu&#x0364;&#x017F;ch bei&#x017F;eit ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Nicht ferne von mir auf. O Vater! mußt'</l><lb/>
              <l>Ich rufen, das i&#x017F;t Eduard! &#x2014; Du bi&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Nicht klug, mein Kind! erwiedert er und &#x017F;ah</l><lb/>
              <l>Den Ju&#x0364;ngling an; es mocht' ihn wohl auch treffen,</l><lb/>
              <l>Er faßte &#x017F;chnell mich bei der Hand und zog</l><lb/>
              <l>Mich weiter. Einmal mußt' ich noch mich um&#x017F;ehn.</l><lb/>
              <l>Der&#x017F;elbe wars und nicht der&#x017F;elbe! Stolz und groß,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0104] „Hier unten in dem Thale ſchlafen ſie „Zuſammen, ſprach mein Vater, lange ſchon, „Die Roͤmer mit den Deutſchen, und es haben „Die Freigebornen ſich, die ſtolzen, ſtillen, „Im Tode mit den Welteroberern „Verſoͤhnt, und Großes iſt und Groͤßeres „Zuſammen in der Erde Schoos gefallen. „Wo ſeyd ihr, meine Todten all'? Es lebt „Der Menſchengenius, der Sprache Gott, „Der alte Braga noch, und Hertha gruͤnt „Noch immer ihren Kindern, und Walhalla „Blaut uͤber uns, der heimathliche Himmel; „Doch euch, ihr Heldenbilder, find' ich nicht.“ Ich ſah hinab und leiſe ſchauerte Mein Herz und bei den Starken war mein Sinn, Den Guten, die hier unten vormals lebten. Jetzt ſtand ein Juͤngling, der, uns ungeſehen, Am einſamen Gebuͤſch beiſeit geſeſſen, Nicht ferne von mir auf. O Vater! mußt' Ich rufen, das iſt Eduard! — Du biſt Nicht klug, mein Kind! erwiedert er und ſah Den Juͤngling an; es mocht' ihn wohl auch treffen, Er faßte ſchnell mich bei der Hand und zog Mich weiter. Einmal mußt' ich noch mich umſehn. Derſelbe wars und nicht derſelbe! Stolz und groß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/104
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/104>, abgerufen am 24.11.2024.