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Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783.

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Nachts heimlich bis drei Uhr aufblieb. Dies leztere
ward ihm von seinem Vater untersagt; und die Mutter
gab ihm, wenn sie um elf Uhr zu Bette gingen, nur
wenig Licht mit auf seine Schlafkammer. Allein wie
sorgfältig man auch alles übrige Licht und die Lampen
im Hause verschloss; so wusste er sich doch, wie man
nachmals erfahren hat, des Tages mit Oel zu versorgen,
und höhlte sich Lampen von Rüben aus. Um auch
wieder früh zu erwachen, und in den Büchern, die er
von allen Enden her zusammenschleppte, lesen zu kön¬
nen, band er sich um den Arm einen Bindfaden, wor¬
an ein Stein befestigt war; diesen legte er auf einen
Stuhl vors Bette, damit, wenn er sich gegen Morgen
umwendete, der Stein herabfallen, und ihn durch den
Ruck am Arm aufwecken möchte.

Bei diesem Fleisse ward er weder mürrisch, noch
stolz, noch ein Bücherwurm, der, Luft und Sonne
scheuend, nur in seinen dumpfigen Schwarten lebt.
Heiter, sanft, gefällig und zärtlich, war er die Freude
seiner Familie, ehe er noch ihr Stolz ward. Dieser
sanfte häusliche Umgang, die heitere Stille des Land¬
lebens, und sein lebendiges Gefühl für jeden Reiz der
Natur, sicherten ihn gegen die Erstarrung der Lesesucht.
Eigener Geist, eigene rege Empfindung, strebte in seiner
Seele empor, und zog Nahrung aus Büchern, wie eine
Blume aus eben dem Boden, der ringsumher nur Gras

her¬

Nachts heimlich bis drei Uhr aufblieb. Dies leztere
ward ihm von ſeinem Vater unterſagt; und die Mutter
gab ihm, wenn ſie um elf Uhr zu Bette gingen, nur
wenig Licht mit auf ſeine Schlafkammer. Allein wie
ſorgfältig man auch alles übrige Licht und die Lampen
im Hauſe verſchloſs; ſo wuſste er ſich doch, wie man
nachmals erfahren hat, des Tages mit Oel zu verſorgen,
und höhlte ſich Lampen von Rüben aus. Um auch
wieder früh zu erwachen, und in den Büchern, die er
von allen Enden her zuſammenſchleppte, leſen zu kön¬
nen, band er ſich um den Arm einen Bindfaden, wor¬
an ein Stein befeſtigt war; dieſen legte er auf einen
Stuhl vors Bette, damit, wenn er ſich gegen Morgen
umwendete, der Stein herabfallen, und ihn durch den
Ruck am Arm aufwecken möchte.

Bei dieſem Fleiſſe ward er weder mürriſch, noch
ſtolz, noch ein Bücherwurm, der, Luft und Sonne
ſcheuend, nur in ſeinen dumpfigen Schwarten lebt.
Heiter, ſanft, gefällig und zärtlich, war er die Freude
ſeiner Familie, ehe er noch ihr Stolz ward. Dieſer
ſanfte häusliche Umgang, die heitere Stille des Land¬
lebens, und ſein lebendiges Gefühl für jeden Reiz der
Natur, ſicherten ihn gegen die Erſtarrung der Leſeſucht.
Eigener Geiſt, eigene rege Empfindung, ſtrebte in ſeiner
Seele empor, und zog Nahrung aus Büchern, wie eine
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[V/0013] Nachts heimlich bis drei Uhr aufblieb. Dies leztere ward ihm von ſeinem Vater unterſagt; und die Mutter gab ihm, wenn ſie um elf Uhr zu Bette gingen, nur wenig Licht mit auf ſeine Schlafkammer. Allein wie ſorgfältig man auch alles übrige Licht und die Lampen im Hauſe verſchloſs; ſo wuſste er ſich doch, wie man nachmals erfahren hat, des Tages mit Oel zu verſorgen, und höhlte ſich Lampen von Rüben aus. Um auch wieder früh zu erwachen, und in den Büchern, die er von allen Enden her zuſammenſchleppte, leſen zu kön¬ nen, band er ſich um den Arm einen Bindfaden, wor¬ an ein Stein befeſtigt war; dieſen legte er auf einen Stuhl vors Bette, damit, wenn er ſich gegen Morgen umwendete, der Stein herabfallen, und ihn durch den Ruck am Arm aufwecken möchte. Bei dieſem Fleiſſe ward er weder mürriſch, noch ſtolz, noch ein Bücherwurm, der, Luft und Sonne ſcheuend, nur in ſeinen dumpfigen Schwarten lebt. Heiter, ſanft, gefällig und zärtlich, war er die Freude ſeiner Familie, ehe er noch ihr Stolz ward. Dieſer ſanfte häusliche Umgang, die heitere Stille des Land¬ lebens, und ſein lebendiges Gefühl für jeden Reiz der Natur, ſicherten ihn gegen die Erſtarrung der Leſeſucht. Eigener Geiſt, eigene rege Empfindung, ſtrebte in ſeiner Seele empor, und zog Nahrung aus Büchern, wie eine Blume aus eben dem Boden, der ringsumher nur Gras her¬

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Zitationshilfe: Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783/13>, abgerufen am 21.11.2024.