endlich: errathen, welche herrliche Gedanken meines Geistes würdig mich durchströmen? -- Aber Du kannst es nicht, doch rüttle frisch die Schwingen, um dem kühnen Fluge zu folgen, den ich zu beginnen bereit bin. Daß Du, der Du mit voller Herrschaft über alle Erscheinungen des Lebens schweben solltest, nicht neben einem leidlich schönen Mädchen knien kannst, ohne sie zu umarmen und zu küssen, nimmt mich Wunder, so wenig ich Dir das Verlangen verarge, das in Dir aufstieg. So wie ich Aurelien kenne, wird sie voller Schaam über die Begebenheit schweigen, und sich höchstens nur unter irgend einem Vorwande Deinem zu leidenschaftlichen Un¬ terrichte entziehen. Ich befürchte daher nicht im mindesten die verdrießlichen Folgen, die dein Leichtsinn, deine ungezähmte Begierde hätte herbeiführen können. -- Ich hasse sie nicht, diese Aurelie, aber ihre Anspruchlosig¬ keit, ihr stilles Frommthun, hinter dem sich ein unleidlicher Stolz versteckt, ärgert mich.
endlich: errathen, welche herrliche Gedanken meines Geiſtes wuͤrdig mich durchſtroͤmen? — Aber Du kannſt es nicht, doch ruͤttle friſch die Schwingen, um dem kuͤhnen Fluge zu folgen, den ich zu beginnen bereit bin. Daß Du, der Du mit voller Herrſchaft uͤber alle Erſcheinungen des Lebens ſchweben ſollteſt, nicht neben einem leidlich ſchoͤnen Maͤdchen knien kannſt, ohne ſie zu umarmen und zu kuͤſſen, nimmt mich Wunder, ſo wenig ich Dir das Verlangen verarge, das in Dir aufſtieg. So wie ich Aurelien kenne, wird ſie voller Schaam uͤber die Begebenheit ſchweigen, und ſich hoͤchſtens nur unter irgend einem Vorwande Deinem zu leidenſchaftlichen Un¬ terrichte entziehen. Ich befuͤrchte daher nicht im mindeſten die verdrießlichen Folgen, die dein Leichtſinn, deine ungezaͤhmte Begierde haͤtte herbeifuͤhren koͤnnen. — Ich haſſe ſie nicht, dieſe Aurelie, aber ihre Anſpruchloſig¬ keit, ihr ſtilles Frommthun, hinter dem ſich ein unleidlicher Stolz verſteckt, aͤrgert mich.
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endlich: errathen, welche herrliche Gedanken
meines Geiſtes wuͤrdig mich durchſtroͤmen? —
Aber Du kannſt es nicht, doch ruͤttle friſch
die Schwingen, um dem kuͤhnen Fluge zu
folgen, den ich zu beginnen bereit bin. Daß
Du, der Du mit voller Herrſchaft uͤber alle
Erſcheinungen des Lebens ſchweben ſollteſt,
nicht neben einem leidlich ſchoͤnen Maͤdchen
knien kannſt, ohne ſie zu umarmen und zu
kuͤſſen, nimmt mich Wunder, ſo wenig ich Dir
das Verlangen verarge, das in Dir aufſtieg.
So wie ich Aurelien kenne, wird ſie voller
Schaam uͤber die Begebenheit ſchweigen,
und ſich hoͤchſtens nur unter irgend einem
Vorwande Deinem zu leidenſchaftlichen Un¬
terrichte entziehen. Ich befuͤrchte daher nicht
im mindeſten die verdrießlichen Folgen, die
dein Leichtſinn, deine ungezaͤhmte Begierde
haͤtte herbeifuͤhren koͤnnen. — Ich haſſe ſie
nicht, dieſe Aurelie, aber ihre Anſpruchloſig¬
keit, ihr ſtilles Frommthun, hinter dem ſich
ein unleidlicher Stolz verſteckt, aͤrgert mich.
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[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 1. Berlin, 1815, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere01_1815/185>, abgerufen am 27.11.2024.
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