dig worden, und er rief mit gewaltiger Stimme: "Auch Du mußt kommen, meine geliebte Göttin, Du mußt leben und mein seyn, oder ich weihe mich den unterirdischen Göttern!" Da erblickte er Frau Venus, dicht vor dem Bilde stehend, und ihm freundlich zuwinkend. Er sprang auf von seinem La¬ ger, und begann an dem Kopfe der heiligen Rosalia zu malen, weil er nun der Frau Venus reizendes Angesicht ganz getreulich abzukonterfeyen gedachte. Es war ihm so, als könne der feste Wille nicht gebieten der Hand, denn immer glitt der Pinsel ab von den Nebeln, in denen der Kopf der heiligen Rosalia eingehüllt war, und strich unwill¬ kürlich an den Häuptern der barbarischen Männer, von denen sie umgeben. Und doch kam das himmlische Antlitz der Heiligen im¬ mer sichtbarlicher zum Vorschein, und blick¬ te den Francesko plötzlich mit solchen leben¬ digstralenden Augen an, daß er, wie von einem herabfahrenden Blitze tödtlich getrof¬
dig worden, und er rief mit gewaltiger Stimme: „Auch Du mußt kommen, meine geliebte Goͤttin, Du mußt leben und mein ſeyn, oder ich weihe mich den unterirdiſchen Goͤttern!“ Da erblickte er Frau Venus, dicht vor dem Bilde ſtehend, und ihm freundlich zuwinkend. Er ſprang auf von ſeinem La¬ ger, und begann an dem Kopfe der heiligen Roſalia zu malen, weil er nun der Frau Venus reizendes Angeſicht ganz getreulich abzukonterfeyen gedachte. Es war ihm ſo, als koͤnne der feſte Wille nicht gebieten der Hand, denn immer glitt der Pinſel ab von den Nebeln, in denen der Kopf der heiligen Roſalia eingehuͤllt war, und ſtrich unwill¬ kuͤrlich an den Haͤuptern der barbariſchen Maͤnner, von denen ſie umgeben. Und doch kam das himmliſche Antlitz der Heiligen im¬ mer ſichtbarlicher zum Vorſchein, und blick¬ te den Francesko ploͤtzlich mit ſolchen leben¬ digſtralenden Augen an, daß er, wie von einem herabfahrenden Blitze toͤdtlich getrof¬
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dig worden, und er rief mit gewaltiger
Stimme: „Auch Du mußt kommen, meine
geliebte Goͤttin, Du mußt leben und mein
ſeyn, oder ich weihe mich den unterirdiſchen
Goͤttern!“ Da erblickte er Frau Venus, dicht
vor dem Bilde ſtehend, und ihm freundlich
zuwinkend. Er ſprang auf von ſeinem La¬
ger, und begann an dem Kopfe der heiligen
Roſalia zu malen, weil er nun der Frau
Venus reizendes Angeſicht ganz getreulich
abzukonterfeyen gedachte. Es war ihm ſo,
als koͤnne der feſte Wille nicht gebieten der
Hand, denn immer glitt der Pinſel ab von
den Nebeln, in denen der Kopf der heiligen
Roſalia eingehuͤllt war, und ſtrich unwill¬
kuͤrlich an den Haͤuptern der barbariſchen
Maͤnner, von denen ſie umgeben. Und doch
kam das himmliſche Antlitz der Heiligen im¬
mer ſichtbarlicher zum Vorſchein, und blick¬
te den Francesko ploͤtzlich mit ſolchen leben¬
digſtralenden Augen an, daß er, wie von
einem herabfahrenden Blitze toͤdtlich getrof¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/226>, abgerufen am 26.11.2024.
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