als er es in seine Arme fassen wollte, sah er wohl, daß es todte Leinewand geblieben. Dann zerraufte er sein Haar und gebehrdete sich wie einer, der von dem Satan besessen. Schon zwei Tage und zwei Nächte hatte es Francesko so getrieben; am dritten Tag, als er, wie eine erstarrte Bildsäule, vor dem Bilde stand, ging die Thüre seines Gemachs auf, und es rauschte hinter ihm wie mit weib¬ lichen Gewändern. Er drehte sich um und erblickte ein Weib, das er für das Original seines Bildes erkannte. Es wären ihm schier die Sinne vergangen, als er das Bild, wel¬ ches er aus seinen innersten Gedanken nach einem Marmorbilde erschaffen, nun lebendig vor sich in aller nur erdenklichen Schönheit erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein Grausen an, wenn er das Gemälde ansah, das nun wie eine getreuliche Abspiegelung des fremden Weibes erschien. Es geschah ihm dasje¬ nige was die wunderbarliche Erscheinung eines Geistes zu bewirken pflegt, die Zunge war
als er es in ſeine Arme faſſen wollte, ſah er wohl, daß es todte Leinewand geblieben. Dann zerraufte er ſein Haar und gebehrdete ſich wie einer, der von dem Satan beſeſſen. Schon zwei Tage und zwei Naͤchte hatte es Francesko ſo getrieben; am dritten Tag, als er, wie eine erſtarrte Bildſaͤule, vor dem Bilde ſtand, ging die Thuͤre ſeines Gemachs auf, und es rauſchte hinter ihm wie mit weib¬ lichen Gewaͤndern. Er drehte ſich um und erblickte ein Weib, das er fuͤr das Original ſeines Bildes erkannte. Es waͤren ihm ſchier die Sinne vergangen, als er das Bild, wel¬ ches er aus ſeinen innerſten Gedanken nach einem Marmorbilde erſchaffen, nun lebendig vor ſich in aller nur erdenklichen Schoͤnheit erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein Grauſen an, wenn er das Gemaͤlde anſah, das nun wie eine getreuliche Abſpiegelung des fremden Weibes erſchien. Es geſchah ihm dasje¬ nige was die wunderbarliche Erſcheinung eines Geiſtes zu bewirken pflegt, die Zunge war
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als er es in ſeine Arme faſſen wollte, ſah
er wohl, daß es todte Leinewand geblieben.
Dann zerraufte er ſein Haar und gebehrdete
ſich wie einer, der von dem Satan beſeſſen.
Schon zwei Tage und zwei Naͤchte hatte es
Francesko ſo getrieben; am dritten Tag, als
er, wie eine erſtarrte Bildſaͤule, vor dem
Bilde ſtand, ging die Thuͤre ſeines Gemachs
auf, und es rauſchte hinter ihm wie mit weib¬
lichen Gewaͤndern. Er drehte ſich um und
erblickte ein Weib, das er fuͤr das Original
ſeines Bildes erkannte. Es waͤren ihm ſchier
die Sinne vergangen, als er das Bild, wel¬
ches er aus ſeinen innerſten Gedanken nach
einem Marmorbilde erſchaffen, nun lebendig
vor ſich in aller nur erdenklichen Schoͤnheit
erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein
Grauſen an, wenn er das Gemaͤlde anſah,
das nun wie eine getreuliche Abſpiegelung des
fremden Weibes erſchien. Es geſchah ihm dasje¬
nige was die wunderbarliche Erſcheinung eines
Geiſtes zu bewirken pflegt, die Zunge war
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[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/228>, abgerufen am 25.11.2024.
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