der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann, mit weißem krausen Bart, in einem violetten Mantel, schritt heraus; ich war sehr erschrok¬ ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann ein drohendes Gespenst seyn mußte, da die Klosterpforten fest verschlossen waren, mit¬ hin kein Fremder eindringen konnte; aber Leonardus schaute ihn keck an, jedoch ohne ein Wort zu sagen. "Die Stunde der Er¬ füllung ist nicht mehr fern, sprach die Ge¬ stalt sehr dumpf und feierlich, und verschwand in dem dunklen Gange, so daß meine Bangig¬ keit noch stärker wurde und ich schier hätte die Kerze aus der zitternden Hand fallen las¬ sen mögen. Aber der Prior, der, ob seiner Frömmigkeit und Stärke im Glauben, nach Gespenstern nicht viel frägt, faßte mich beim Arm und sagte: nun wollen wir in die Zelle des Bruders Medardus treten. Das ge¬ schah denn auch. Wir fanden den Bruder, der schon seit einiger Zeit sehr schwach wor¬ den, im Sterben, der Tod hatte ihm die Zunge gebunden, er röchelte nur noch was weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich
der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann, mit weißem krauſen Bart, in einem violetten Mantel, ſchritt heraus; ich war ſehr erſchrok¬ ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann ein drohendes Geſpenſt ſeyn mußte, da die Kloſterpforten feſt verſchloſſen waren, mit¬ hin kein Fremder eindringen konnte; aber Leonardus ſchaute ihn keck an, jedoch ohne ein Wort zu ſagen. „Die Stunde der Er¬ fuͤllung iſt nicht mehr fern, ſprach die Ge¬ ſtalt ſehr dumpf und feierlich, und verſchwand in dem dunklen Gange, ſo daß meine Bangig¬ keit noch ſtaͤrker wurde und ich ſchier haͤtte die Kerze aus der zitternden Hand fallen laſ¬ ſen moͤgen. Aber der Prior, der, ob ſeiner Froͤmmigkeit und Staͤrke im Glauben, nach Geſpenſtern nicht viel fraͤgt, faßte mich beim Arm und ſagte: nun wollen wir in die Zelle des Bruders Medardus treten. Das ge¬ ſchah denn auch. Wir fanden den Bruder, der ſchon ſeit einiger Zeit ſehr ſchwach wor¬ den, im Sterben, der Tod hatte ihm die Zunge gebunden, er roͤchelte nur noch was weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich
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der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann,
mit weißem krauſen Bart, in einem violetten
Mantel, ſchritt heraus; ich war ſehr erſchrok¬
ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann
ein drohendes Geſpenſt ſeyn mußte, da die
Kloſterpforten feſt verſchloſſen waren, mit¬
hin kein Fremder eindringen konnte; aber
Leonardus ſchaute ihn keck an, jedoch ohne
ein Wort zu ſagen. „Die Stunde der Er¬
fuͤllung iſt nicht mehr fern, ſprach die Ge¬
ſtalt ſehr dumpf und feierlich, und verſchwand
in dem dunklen Gange, ſo daß meine Bangig¬
keit noch ſtaͤrker wurde und ich ſchier haͤtte
die Kerze aus der zitternden Hand fallen laſ¬
ſen moͤgen. Aber der Prior, der, ob ſeiner
Froͤmmigkeit und Staͤrke im Glauben, nach
Geſpenſtern nicht viel fraͤgt, faßte mich beim
Arm und ſagte: nun wollen wir in die Zelle
des Bruders Medardus treten. Das ge¬
ſchah denn auch. Wir fanden den Bruder,
der ſchon ſeit einiger Zeit ſehr ſchwach wor¬
den, im Sterben, der Tod hatte ihm die
Zunge gebunden, er roͤchelte nur noch was
weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich
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[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/379>, abgerufen am 23.11.2024.
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