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Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

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"vollkommen frisch erhalten, als seyen sie eben vom
"Stengel geschnitten. Es war ihm vorzüglich um die
"mikroskopische Untersuchung der innern Theile und
"zwar des Blumenstaubes zu thun. Er zergliederte
"deshalb eine schöne lila und gelbgefärbte Tulpe, und
"entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdarti¬
"ges Körnlein, welches ihm auffiel in ganz besonde¬
"rer Weise. Wie groß war aber seine Verwunde¬
"rung, als er mittelst Anwendung des Suchglases,
"deutlich gewahrte, daß das kleine Körnlein nichts
"anders als die Prinzessin Gamaheh, die in den Blu¬
"menstaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und süß
"zu schlummern schien."

"Solch' eine weite Strecke mich auch von mei¬
"nem Collegen trennen mochte, dennoch setzte ich
"mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er
"hatte indessen alle Operationen bei Seite gestellt,
"um mir das Vergnügen des ersten Anblicks zu gön¬
"nen, wohl auch aus Furcht ganz nach eignem Kopf
"handelnd, etwas zu verderben. Ich überzeugte mich
"bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobach¬
"tung meines Collegen und war auch eben so wie er
"des festen Glaubens, daß es möglich seyn müsse, die
"Prinzessin dem Schlummer zu entreißen und ihr die
"vorige Gestalt wieder zu geben. Der uns innwoh¬

»vollkommen friſch erhalten, als ſeyen ſie eben vom
»Stengel geſchnitten. Es war ihm vorzüglich um die
»mikroskopiſche Unterſuchung der innern Theile und
»zwar des Blumenſtaubes zu thun. Er zergliederte
»deshalb eine ſchöne lila und gelbgefärbte Tulpe, und
»entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdarti¬
»ges Körnlein, welches ihm auffiel in ganz beſonde¬
»rer Weiſe. Wie groß war aber ſeine Verwunde¬
»rung, als er mittelſt Anwendung des Suchglaſes,
»deutlich gewahrte, daß das kleine Körnlein nichts
»anders als die Prinzeſſin Gamaheh, die in den Blu¬
»menſtaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und ſüß
»zu ſchlummern ſchien.»

»Solch' eine weite Strecke mich auch von mei¬
»nem Collegen trennen mochte, dennoch ſetzte ich
»mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er
»hatte indeſſen alle Operationen bei Seite geſtellt,
»um mir das Vergnügen des erſten Anblicks zu gön¬
»nen, wohl auch aus Furcht ganz nach eignem Kopf
»handelnd, etwas zu verderben. Ich überzeugte mich
»bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobach¬
»tung meines Collegen und war auch eben ſo wie er
»des feſten Glaubens, daß es möglich ſeyn müſſe, die
»Prinzeſſin dem Schlummer zu entreißen und ihr die
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[60/0065] »vollkommen friſch erhalten, als ſeyen ſie eben vom »Stengel geſchnitten. Es war ihm vorzüglich um die »mikroskopiſche Unterſuchung der innern Theile und »zwar des Blumenſtaubes zu thun. Er zergliederte »deshalb eine ſchöne lila und gelbgefärbte Tulpe, und »entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdarti¬ »ges Körnlein, welches ihm auffiel in ganz beſonde¬ »rer Weiſe. Wie groß war aber ſeine Verwunde¬ »rung, als er mittelſt Anwendung des Suchglaſes, »deutlich gewahrte, daß das kleine Körnlein nichts »anders als die Prinzeſſin Gamaheh, die in den Blu¬ »menſtaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und ſüß »zu ſchlummern ſchien.» »Solch' eine weite Strecke mich auch von mei¬ »nem Collegen trennen mochte, dennoch ſetzte ich »mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er »hatte indeſſen alle Operationen bei Seite geſtellt, »um mir das Vergnügen des erſten Anblicks zu gön¬ »nen, wohl auch aus Furcht ganz nach eignem Kopf »handelnd, etwas zu verderben. Ich überzeugte mich »bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobach¬ »tung meines Collegen und war auch eben ſo wie er »des feſten Glaubens, daß es möglich ſeyn müſſe, die »Prinzeſſin dem Schlummer zu entreißen und ihr die »vorige Geſtalt wieder zu geben. Der uns innwoh¬

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/65>, abgerufen am 21.11.2024.