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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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zur Thür herausgesprungen und nicht lange dau¬
erte es, so kehrte sie zurück ganz so gekleidet und
geschmückt, wie Andres sie in Neapel gesehen
hatte. Die schöne goldne Nadel prangte in dem
schwarzen Haar, in das sie mit malerischem Sinn
bunte Blumen geflochten, und Andres mußte
sich nun selbst gestehen, daß der Fremde sein
Geschenk recht sinnig gewählt hatte, um seine
Georgina wahrhaft zu erfreuen.

Andres äußerte dies unverholen und Gior¬
gina
meinte, daß der Fremde wol ihr Schutz¬
engel sei, der sie aus der tiefsten Dürftigkeit zum
Wohlstande erhebe, und daß sie gar nicht be¬
greife, wie Andres so wortkarg, so verschlossen
gegen den Fremden und überhaupt so traurig, so
in sich gekehrt, bleiben könne. "Ach, liebes Her¬
zensweib!" sprach Andres, "die innere Stimme,
welche mir damals so laut sagte, daß ich durch¬
aus nichts von dem Fremden annehmen dürfe, die
schweigt bis jetzt keinesweges. Ich werde oft von
innern Vorwürfen gemartert; es ist mir, als ob

zur Thuͤr herausgeſprungen und nicht lange dau¬
erte es, ſo kehrte ſie zuruͤck ganz ſo gekleidet und
geſchmuͤckt, wie Andres ſie in Neapel geſehen
hatte. Die ſchoͤne goldne Nadel prangte in dem
ſchwarzen Haar, in das ſie mit maleriſchem Sinn
bunte Blumen geflochten, und Andres mußte
ſich nun ſelbſt geſtehen, daß der Fremde ſein
Geſchenk recht ſinnig gewaͤhlt hatte, um ſeine
Georgina wahrhaft zu erfreuen.

Andres aͤußerte dies unverholen und Gior¬
gina
meinte, daß der Fremde wol ihr Schutz¬
engel ſei, der ſie aus der tiefſten Duͤrftigkeit zum
Wohlſtande erhebe, und daß ſie gar nicht be¬
greife, wie Andres ſo wortkarg, ſo verſchloſſen
gegen den Fremden und uͤberhaupt ſo traurig, ſo
in ſich gekehrt, bleiben koͤnne. „Ach, liebes Her¬
zensweib!“ ſprach Andres, „die innere Stimme,
welche mir damals ſo laut ſagte, daß ich durch¬
aus nichts von dem Fremden annehmen duͤrfe, die
ſchweigt bis jetzt keinesweges. Ich werde oft von
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[109/0117] zur Thuͤr herausgeſprungen und nicht lange dau¬ erte es, ſo kehrte ſie zuruͤck ganz ſo gekleidet und geſchmuͤckt, wie Andres ſie in Neapel geſehen hatte. Die ſchoͤne goldne Nadel prangte in dem ſchwarzen Haar, in das ſie mit maleriſchem Sinn bunte Blumen geflochten, und Andres mußte ſich nun ſelbſt geſtehen, daß der Fremde ſein Geſchenk recht ſinnig gewaͤhlt hatte, um ſeine Georgina wahrhaft zu erfreuen. Andres aͤußerte dies unverholen und Gior¬ gina meinte, daß der Fremde wol ihr Schutz¬ engel ſei, der ſie aus der tiefſten Duͤrftigkeit zum Wohlſtande erhebe, und daß ſie gar nicht be¬ greife, wie Andres ſo wortkarg, ſo verſchloſſen gegen den Fremden und uͤberhaupt ſo traurig, ſo in ſich gekehrt, bleiben koͤnne. „Ach, liebes Her¬ zensweib!“ ſprach Andres, „die innere Stimme, welche mir damals ſo laut ſagte, daß ich durch¬ aus nichts von dem Fremden annehmen duͤrfe, die ſchweigt bis jetzt keinesweges. Ich werde oft von innern Vorwuͤrfen gemartert; es iſt mir, als ob

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/117>, abgerufen am 21.11.2024.