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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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Kein Lineal zu brauchen -- Thiere -- Affen --
Menschengesichter -- Menschengesichter -- o ich
elender Thor!" Das letzte rief er laut mit einer
Stimme, die nur der tiefste im Innersten wüh¬
lende Schmerz erzeugt; ich fühlte mich auf die
seltsamste Weise angeregt, jene Worte und der
Ausdruck des Gesichts, der Blick, womit er zuvor
den Professor anschaute, brachten mir das ganze
zerrissene Leben eines unglücklichen Künstlers vor
Augen. Der Mann mochte kaum über vierzig
Jahr alt seyn; seine Gestalt, war sie auch durch
den unförmlichen schmutzigen Mahleranzug ent¬
stellt, hatte was unbeschreiblich edles, und der
tiefe Gram konnte nur das Gesicht entfärben,
das Feuer, was in den schwarzen Augen strahlte,
aber nicht auslöschen. Ich frug den Professor,
was es mit dem Maler wol für eine Bewandt¬
niß hätte. "Es ist ein fremder Künstler," er¬
wiederte er, "der sich gerade zu der Zeit hier
einfand, als die Reparatur der Kirche beschlossen
worden. Er unternahm die Arbeit, die wir ihm

Kein Lineal zu brauchen — Thiere — Affen —
Menſchengeſichter — Menſchengeſichter — o ich
elender Thor!“ Das letzte rief er laut mit einer
Stimme, die nur der tiefſte im Innerſten wuͤh¬
lende Schmerz erzeugt; ich fuͤhlte mich auf die
ſeltſamſte Weiſe angeregt, jene Worte und der
Ausdruck des Geſichts, der Blick, womit er zuvor
den Profeſſor anſchaute, brachten mir das ganze
zerriſſene Leben eines ungluͤcklichen Kuͤnſtlers vor
Augen. Der Mann mochte kaum uͤber vierzig
Jahr alt ſeyn; ſeine Geſtalt, war ſie auch durch
den unfoͤrmlichen ſchmutzigen Mahleranzug ent¬
ſtellt, hatte was unbeſchreiblich edles, und der
tiefe Gram konnte nur das Geſicht entfaͤrben,
das Feuer, was in den ſchwarzen Augen ſtrahlte,
aber nicht ausloͤſchen. Ich frug den Profeſſor,
was es mit dem Maler wol fuͤr eine Bewandt¬
niß haͤtte. „Es iſt ein fremder Kuͤnſtler,“ er¬
wiederte er, „der ſich gerade zu der Zeit hier
einfand, als die Reparatur der Kirche beſchloſſen
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[218/0226] Kein Lineal zu brauchen — Thiere — Affen — Menſchengeſichter — Menſchengeſichter — o ich elender Thor!“ Das letzte rief er laut mit einer Stimme, die nur der tiefſte im Innerſten wuͤh¬ lende Schmerz erzeugt; ich fuͤhlte mich auf die ſeltſamſte Weiſe angeregt, jene Worte und der Ausdruck des Geſichts, der Blick, womit er zuvor den Profeſſor anſchaute, brachten mir das ganze zerriſſene Leben eines ungluͤcklichen Kuͤnſtlers vor Augen. Der Mann mochte kaum uͤber vierzig Jahr alt ſeyn; ſeine Geſtalt, war ſie auch durch den unfoͤrmlichen ſchmutzigen Mahleranzug ent¬ ſtellt, hatte was unbeſchreiblich edles, und der tiefe Gram konnte nur das Geſicht entfaͤrben, das Feuer, was in den ſchwarzen Augen ſtrahlte, aber nicht ausloͤſchen. Ich frug den Profeſſor, was es mit dem Maler wol fuͤr eine Bewandt¬ niß haͤtte. „Es iſt ein fremder Kuͤnſtler,“ er¬ wiederte er, „der ſich gerade zu der Zeit hier einfand, als die Reparatur der Kirche beſchloſſen worden. Er unternahm die Arbeit, die wir ihm

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/226>, abgerufen am 25.11.2024.