Sinn der Züge, die er mühsam abschnörkelte, nicht zu deuten wußte. So sind die Landschaften deines Meisters correkte Abschriften eines in ihm fremder Sprache geschriebenen Originals. -- Der Geweihte vernimmt die Stimme der Natur, die in wunderbaren Lauten aus Baum, Gebüsch, Blume, Berg und Gewässer von unerforschlichem Geheimniß spricht, die in seiner Brust sich zu frommer Ahnung gestalten; dann kommt, wie der Geist Gottes selbst, die Gabe über ihn, diese Ah¬ nung sichtlich in seine Werke zu übertragen. Ist Dir, Jüngling! denn bei dem Beschauen der Landschaften alter Meister nicht ganz wunderbar¬ lich zu Muthe geworden? Gewiß hast Du nicht daran gedacht, daß die Blätter des Lindenbaums, daß die Pinien, die Platanen der Natur getreuer, daß der Hintergrund duftiger, das Wasser klarer seyn könnte; aber der Geist, der aus dem Ganzen wehte, hob Dich empor in ein höheres Reich, dessen Abglanz Du zu schauen wähntest. -- Da¬ her studire die Natur zwar auch im Mechanischen
Sinn der Zuͤge, die er muͤhſam abſchnoͤrkelte, nicht zu deuten wußte. So ſind die Landſchaften deines Meiſters correkte Abſchriften eines in ihm fremder Sprache geſchriebenen Originals. — Der Geweihte vernimmt die Stimme der Natur, die in wunderbaren Lauten aus Baum, Gebuͤſch, Blume, Berg und Gewaͤſſer von unerforſchlichem Geheimniß ſpricht, die in ſeiner Bruſt ſich zu frommer Ahnung geſtalten; dann kommt, wie der Geiſt Gottes ſelbſt, die Gabe uͤber ihn, dieſe Ah¬ nung ſichtlich in ſeine Werke zu uͤbertragen. Iſt Dir, Juͤngling! denn bei dem Beſchauen der Landſchaften alter Meiſter nicht ganz wunderbar¬ lich zu Muthe geworden? Gewiß haſt Du nicht daran gedacht, daß die Blaͤtter des Lindenbaums, daß die Pinien, die Platanen der Natur getreuer, daß der Hintergrund duftiger, das Waſſer klarer ſeyn koͤnnte; aber der Geiſt, der aus dem Ganzen wehte, hob Dich empor in ein hoͤheres Reich, deſſen Abglanz Du zu ſchauen waͤhnteſt. — Da¬ her ſtudire die Natur zwar auch im Mechaniſchen
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Sinn der Zuͤge, die er muͤhſam abſchnoͤrkelte,
nicht zu deuten wußte. So ſind die Landſchaften
deines Meiſters correkte Abſchriften eines in ihm
fremder Sprache geſchriebenen Originals. — Der
Geweihte vernimmt die Stimme der Natur, die
in wunderbaren Lauten aus Baum, Gebuͤſch,
Blume, Berg und Gewaͤſſer von unerforſchlichem
Geheimniß ſpricht, die in ſeiner Bruſt ſich zu
frommer Ahnung geſtalten; dann kommt, wie der
Geiſt Gottes ſelbſt, die Gabe uͤber ihn, dieſe Ah¬
nung ſichtlich in ſeine Werke zu uͤbertragen. Iſt
Dir, Juͤngling! denn bei dem Beſchauen der
Landſchaften alter Meiſter nicht ganz wunderbar¬
lich zu Muthe geworden? Gewiß haſt Du nicht
daran gedacht, daß die Blaͤtter des Lindenbaums,
daß die Pinien, die Platanen der Natur getreuer,
daß der Hintergrund duftiger, das Waſſer klarer
ſeyn koͤnnte; aber der Geiſt, der aus dem Ganzen
wehte, hob Dich empor in ein hoͤheres Reich,
deſſen Abglanz Du zu ſchauen waͤhnteſt. — Da¬
her ſtudire die Natur zwar auch im Mechaniſchen
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/263>, abgerufen am 22.11.2024.
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