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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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Hute und wollte fort, der Doktor hielt ihn zu¬
rück, indem er sehr sanft und leise sprach: Ich
ehre ihren werthen Enthusiasmus, holdseeligster
Freund! aber ich übertreibe nichts und kenne
den Dom-Organisten gar nicht, es ist nun ein¬
mahl so! Seit der Zeit, daß Bettina in der
katholischen Kirche bei dem Amt die Solos im
Gloria und Credo gesungen, ist sie von einer
solch' seltsamen Heiserkeit oder vielmehr Stimm¬
losigkeit befallen, die meiner Kunst trotzt und die
mich, wie gesagt, befürchten läßt, daß sie nie
mehr singen wird. "Gut denn," rief der Ka¬
pellmeister wie in resignirter Verzweiflung, "gut
denn, so gieb ihr Opium -- Opium und so lange
Opium bis sie eines sanften Todes dahinscheidet,
denn singt Bettina nicht mehr, so darf sie
auch nicht mehr leben, denn sie lebt nur, wenn
sie singt -- sie existirt nur im Gesange, -- himm¬
lischer Doktor, thu' mir den Gefallen, vergifte
sie jeher desto lieber. Ich habe Connektionen im
Criminal-Collegio, mit dem Präsidenten studirte

Hute und wollte fort, der Doktor hielt ihn zu¬
ruͤck, indem er ſehr ſanft und leiſe ſprach: Ich
ehre ihren werthen Enthuſiasmus, holdſeeligſter
Freund! aber ich uͤbertreibe nichts und kenne
den Dom-Organiſten gar nicht, es iſt nun ein¬
mahl ſo! Seit der Zeit, daß Bettina in der
katholiſchen Kirche bei dem Amt die Solos im
Gloria und Credo geſungen, iſt ſie von einer
ſolch' ſeltſamen Heiſerkeit oder vielmehr Stimm¬
loſigkeit befallen, die meiner Kunſt trotzt und die
mich, wie geſagt, befuͤrchten laͤßt, daß ſie nie
mehr ſingen wird. „Gut denn,“ rief der Ka¬
pellmeiſter wie in reſignirter Verzweiflung, „gut
denn, ſo gieb ihr Opium — Opium und ſo lange
Opium bis ſie eines ſanften Todes dahinſcheidet,
denn ſingt Bettina nicht mehr, ſo darf ſie
auch nicht mehr leben, denn ſie lebt nur, wenn
ſie ſingt — ſie exiſtirt nur im Geſange, — himm¬
liſcher Doktor, thu' mir den Gefallen, vergifte
ſie jeher deſto lieber. Ich habe Connektionen im
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[282/0290] Hute und wollte fort, der Doktor hielt ihn zu¬ ruͤck, indem er ſehr ſanft und leiſe ſprach: Ich ehre ihren werthen Enthuſiasmus, holdſeeligſter Freund! aber ich uͤbertreibe nichts und kenne den Dom-Organiſten gar nicht, es iſt nun ein¬ mahl ſo! Seit der Zeit, daß Bettina in der katholiſchen Kirche bei dem Amt die Solos im Gloria und Credo geſungen, iſt ſie von einer ſolch' ſeltſamen Heiſerkeit oder vielmehr Stimm¬ loſigkeit befallen, die meiner Kunſt trotzt und die mich, wie geſagt, befuͤrchten laͤßt, daß ſie nie mehr ſingen wird. „Gut denn,“ rief der Ka¬ pellmeiſter wie in reſignirter Verzweiflung, „gut denn, ſo gieb ihr Opium — Opium und ſo lange Opium bis ſie eines ſanften Todes dahinſcheidet, denn ſingt Bettina nicht mehr, ſo darf ſie auch nicht mehr leben, denn ſie lebt nur, wenn ſie ſingt — ſie exiſtirt nur im Geſange, — himm¬ liſcher Doktor, thu' mir den Gefallen, vergifte ſie jeher deſto lieber. Ich habe Connektionen im Criminal-Collegio, mit dem Praͤſidenten ſtudirte

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/290>, abgerufen am 22.11.2024.