Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

tiefes herrliches Gemüth zu erkennen hindert?
"Thu' mir den Gefallen Bruder, sprach eines
Tages Siegmund, thu' mir den Gefallen und
sage, wie es Dir gescheuten Kerl möglich war,
Dich in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da
drüben zu vergaffen?" Nathanael wollte zor¬
nig auffahren, doch schnell besann er sich und er¬
wiederte: "Sage Du mir Siegmund, wie
Deinem, sonst alles Schöne klar auffassenden Blick,
Deinem regen Sinn, Olimpia's himmlischer
Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe
ich, Dank sei es dem Geschick, Dich nicht zum
Nebenbuhler; denn sonst müßte einer von uns
blutend fallen." Siegmund merkte wohl, wie
es mit dem Freunde stand, lenkte geschickt ein
und fügte, nachdem er geäußert, daß in der Liebe
niemahls über den Gegenstand zu rechten sei,
hinzu: "Wunderlich ist es doch, daß viele von uns
über Olimpia ziemlich gleich urtheilen. Sie ist
uns -- nimm es nicht übel. Bruder! -- auf seltsame
Weise starr und seelenlos erschienen. Ihr Wuchs

ist

tiefes herrliches Gemuͤth zu erkennen hindert?
„Thu' mir den Gefallen Bruder, ſprach eines
Tages Siegmund, thu' mir den Gefallen und
ſage, wie es Dir geſcheuten Kerl moͤglich war,
Dich in das Wachsgeſicht, in die Holzpuppe da
druͤben zu vergaffen?“ Nathanael wollte zor¬
nig auffahren, doch ſchnell beſann er ſich und er¬
wiederte: „Sage Du mir Siegmund, wie
Deinem, ſonſt alles Schoͤne klar auffaſſenden Blick,
Deinem regen Sinn, Olimpia's himmliſcher
Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe
ich, Dank ſei es dem Geſchick, Dich nicht zum
Nebenbuhler; denn ſonſt muͤßte einer von uns
blutend fallen.“ Siegmund merkte wohl, wie
es mit dem Freunde ſtand, lenkte geſchickt ein
und fuͤgte, nachdem er geaͤußert, daß in der Liebe
niemahls uͤber den Gegenſtand zu rechten ſei,
hinzu: „Wunderlich iſt es doch, daß viele von uns
uͤber Olimpia ziemlich gleich urtheilen. Sie iſt
uns — nimm es nicht uͤbel. Bruder! — auf ſeltſame
Weiſe ſtarr und ſeelenlos erſchienen. Ihr Wuchs

iſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0072" n="64"/>
tiefes herrliches Gemu&#x0364;th zu erkennen hindert?<lb/>
&#x201E;Thu' mir den Gefallen Bruder, &#x017F;prach eines<lb/>
Tages <hi rendition="#g">Siegmund</hi>, thu' mir den Gefallen und<lb/>
&#x017F;age, wie es Dir ge&#x017F;cheuten Kerl mo&#x0364;glich war,<lb/>
Dich in das Wachsge&#x017F;icht, in die Holzpuppe da<lb/>
dru&#x0364;ben zu vergaffen?&#x201C; <hi rendition="#g">Nathanael</hi> wollte zor¬<lb/>
nig auffahren, doch &#x017F;chnell be&#x017F;ann er &#x017F;ich und er¬<lb/>
wiederte: &#x201E;Sage <hi rendition="#g">Du</hi> mir <hi rendition="#g">Siegmund</hi>, wie<lb/>
Deinem, &#x017F;on&#x017F;t alles Scho&#x0364;ne klar auffa&#x017F;&#x017F;enden Blick,<lb/>
Deinem regen Sinn, <hi rendition="#g">Olimpia's</hi> himmli&#x017F;cher<lb/>
Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe<lb/>
ich, Dank &#x017F;ei es dem Ge&#x017F;chick, Dich nicht zum<lb/>
Nebenbuhler; denn &#x017F;on&#x017F;t mu&#x0364;ßte einer von uns<lb/>
blutend fallen.&#x201C; <hi rendition="#g">Siegmund</hi> merkte wohl, wie<lb/>
es mit dem Freunde &#x017F;tand, lenkte ge&#x017F;chickt ein<lb/>
und fu&#x0364;gte, nachdem er gea&#x0364;ußert, daß in der Liebe<lb/>
niemahls u&#x0364;ber den Gegen&#x017F;tand zu rechten &#x017F;ei,<lb/>
hinzu: &#x201E;Wunderlich i&#x017F;t es doch, daß viele von uns<lb/>
u&#x0364;ber <hi rendition="#g">Olimpia</hi> ziemlich gleich urtheilen. Sie i&#x017F;t<lb/>
uns &#x2014; nimm es nicht u&#x0364;bel. Bruder! &#x2014; auf &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Wei&#x017F;e &#x017F;tarr und &#x017F;eelenlos er&#x017F;chienen. Ihr Wuchs<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0072] tiefes herrliches Gemuͤth zu erkennen hindert? „Thu' mir den Gefallen Bruder, ſprach eines Tages Siegmund, thu' mir den Gefallen und ſage, wie es Dir geſcheuten Kerl moͤglich war, Dich in das Wachsgeſicht, in die Holzpuppe da druͤben zu vergaffen?“ Nathanael wollte zor¬ nig auffahren, doch ſchnell beſann er ſich und er¬ wiederte: „Sage Du mir Siegmund, wie Deinem, ſonſt alles Schoͤne klar auffaſſenden Blick, Deinem regen Sinn, Olimpia's himmliſcher Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe ich, Dank ſei es dem Geſchick, Dich nicht zum Nebenbuhler; denn ſonſt muͤßte einer von uns blutend fallen.“ Siegmund merkte wohl, wie es mit dem Freunde ſtand, lenkte geſchickt ein und fuͤgte, nachdem er geaͤußert, daß in der Liebe niemahls uͤber den Gegenſtand zu rechten ſei, hinzu: „Wunderlich iſt es doch, daß viele von uns uͤber Olimpia ziemlich gleich urtheilen. Sie iſt uns — nimm es nicht uͤbel. Bruder! — auf ſeltſame Weiſe ſtarr und ſeelenlos erſchienen. Ihr Wuchs iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/72
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/72>, abgerufen am 23.11.2024.