Selbstqual, peinigte sie mich nicht bis zur Todes¬ ermattung?" Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren ließ: "O Sie haben Recht, Frau Geheime Räthin, ich muß allein stehen, kein menschliches Herz darf sich mir anschmiegen, alles was Freundschaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von diesem steinernen Herzen." "Wie bitter" fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, "wie bitter, wie ungerecht gegen sich selbst, und an¬ dere sind Sie, Maximilian! -- Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigsten Wohlthäter der Bedürftigen, als den unwandelbarsten Verfechter des Rechts, der Billigkeit, aber welches böse Ge¬ schick warf jenes entsetzliche Mißtrauen in ihre Seele, das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgend einem von jeder Willkühr unabhängigen Ereigniß Verderben und Unheil ahnet?" "Hege ich denn nicht alles," sprach der alte Herr mit weicherer Stimme und Thränen in den Augen, "hege ich denn nicht alles, was sich mir nähert, mit der vollsten Liebe. Aber diese Liebe zerreißt mir das Herz, statt es zu
Selbſtqual, peinigte ſie mich nicht bis zur Todes¬ ermattung?“ Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren ließ: „O Sie haben Recht, Frau Geheime Raͤthin, ich muß allein ſtehen, kein menſchliches Herz darf ſich mir anſchmiegen, alles was Freundſchaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von dieſem ſteinernen Herzen.“ „Wie bitter“ fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, „wie bitter, wie ungerecht gegen ſich ſelbſt, und an¬ dere ſind Sie, Maximilian! — Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigſten Wohlthaͤter der Beduͤrftigen, als den unwandelbarſten Verfechter des Rechts, der Billigkeit, aber welches boͤſe Ge¬ ſchick warf jenes entſetzliche Mißtrauen in ihre Seele, das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgend einem von jeder Willkuͤhr unabhaͤngigen Ereigniß Verderben und Unheil ahnet?“ „Hege ich denn nicht alles,“ ſprach der alte Herr mit weicherer Stimme und Thraͤnen in den Augen, „hege ich denn nicht alles, was ſich mir naͤhert, mit der vollſten Liebe. Aber dieſe Liebe zerreißt mir das Herz, ſtatt es zu
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Selbſtqual, peinigte ſie mich nicht bis zur Todes¬
ermattung?“ Der alte Herr unterbrach die Dame,
indem er ihre Hand fahren ließ: „O Sie haben
Recht, Frau Geheime Raͤthin, ich muß allein ſtehen,
kein menſchliches Herz darf ſich mir anſchmiegen,
alles was Freundſchaft, was Liebe vermag, prallt
wirkungslos ab von dieſem ſteinernen Herzen.“ „Wie
bitter“ fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede,
„wie bitter, wie ungerecht gegen ſich ſelbſt, und an¬
dere ſind Sie, Maximilian! — Wer kennt Sie
denn nicht als den freigebigſten Wohlthaͤter der
Beduͤrftigen, als den unwandelbarſten Verfechter
des Rechts, der Billigkeit, aber welches boͤſe Ge¬
ſchick warf jenes entſetzliche Mißtrauen in ihre Seele,
das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgend
einem von jeder Willkuͤhr unabhaͤngigen Ereigniß
Verderben und Unheil ahnet?“ „Hege ich denn nicht
alles,“ ſprach der alte Herr mit weicherer Stimme
und Thraͤnen in den Augen, „hege ich denn nicht
alles, was ſich mir naͤhert, mit der vollſten Liebe.
Aber dieſe Liebe zerreißt mir das Herz, ſtatt es zu
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/338>, abgerufen am 21.11.2024.
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