Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

sen nährte." "Ein Bösewicht! -- der Knabe von
sechs Jahren?" -- fragte die Dame ganz bestürzt.
"Sie wissen," fuhr der alte Herr fort, "die Geschichte
meines jüngern Bruders; Sie wissen, daß er mich
mehrmals auf bübische Weise täuschte, daß, alles
brüderliche Gefühl in seiner Brust ertödtend, ihm
jede Wohlthat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe
gegen mich diente. An ihm, an seinem rastlosen
Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine
bürgerliche Existenz verloren ging. Sie wissen, wie
er vor mehreren Jahren, in das tiefste Elend ver¬
sunken, zu mir kam, wie er mir Aenderung seiner
verworrenen Lebensweise, wieder erwachte Liebe
heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann
seinen Aufenthalt in meinem Hause nutzte, um gewisse
Dokumente -- doch genug davon. Sein Knabe
gefiel mir, und diesen behielt ich bei mir, als der
Schändliche, nachdem seine Ränke, die mich in
einen meine Ehre vernichtenden Criminalprozeß ver¬
wickeln sollten, entdeckt worden, fliehen mußte.
Ein warnender Wink des Schicksals befreiete mich

ſen naͤhrte.“ „Ein Boͤſewicht! — der Knabe von
ſechs Jahren?“ — fragte die Dame ganz beſtuͤrzt.
„Sie wiſſen,“ fuhr der alte Herr fort, „die Geſchichte
meines juͤngern Bruders; Sie wiſſen, daß er mich
mehrmals auf buͤbiſche Weiſe taͤuſchte, daß, alles
bruͤderliche Gefuͤhl in ſeiner Bruſt ertoͤdtend, ihm
jede Wohlthat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe
gegen mich diente. An ihm, an ſeinem raſtloſen
Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine
buͤrgerliche Exiſtenz verloren ging. Sie wiſſen, wie
er vor mehreren Jahren, in das tiefſte Elend ver¬
ſunken, zu mir kam, wie er mir Aenderung ſeiner
verworrenen Lebensweiſe, wieder erwachte Liebe
heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann
ſeinen Aufenthalt in meinem Hauſe nutzte, um gewiſſe
Dokumente — doch genug davon. Sein Knabe
gefiel mir, und dieſen behielt ich bei mir, als der
Schaͤndliche, nachdem ſeine Raͤnke, die mich in
einen meine Ehre vernichtenden Criminalprozeß ver¬
wickeln ſollten, entdeckt worden, fliehen mußte.
Ein warnender Wink des Schickſals befreiete mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0340" n="332"/>
&#x017F;en na&#x0364;hrte.&#x201C; &#x201E;Ein Bo&#x0364;&#x017F;ewicht! &#x2014; der Knabe von<lb/>
&#x017F;echs Jahren?&#x201C; &#x2014; fragte die Dame ganz be&#x017F;tu&#x0364;rzt.<lb/>
&#x201E;Sie wi&#x017F;&#x017F;en,&#x201C; fuhr der alte Herr fort, &#x201E;die Ge&#x017F;chichte<lb/>
meines ju&#x0364;ngern Bruders; Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß er mich<lb/>
mehrmals auf bu&#x0364;bi&#x017F;che Wei&#x017F;e ta&#x0364;u&#x017F;chte, daß, alles<lb/>
bru&#x0364;derliche Gefu&#x0364;hl in &#x017F;einer Bru&#x017F;t erto&#x0364;dtend, ihm<lb/>
jede Wohlthat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe<lb/>
gegen mich diente. An ihm, an &#x017F;einem ra&#x017F;tlo&#x017F;en<lb/>
Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine<lb/>
bu&#x0364;rgerliche Exi&#x017F;tenz verloren ging. Sie wi&#x017F;&#x017F;en, wie<lb/>
er vor mehreren Jahren, in das tief&#x017F;te Elend ver¬<lb/>
&#x017F;unken, zu mir kam, wie er mir Aenderung &#x017F;einer<lb/>
verworrenen Lebenswei&#x017F;e, wieder erwachte Liebe<lb/>
heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann<lb/>
&#x017F;einen Aufenthalt in meinem Hau&#x017F;e nutzte, um gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Dokumente &#x2014; doch genug davon. Sein Knabe<lb/>
gefiel mir, und die&#x017F;en behielt ich bei mir, als der<lb/>
Scha&#x0364;ndliche, nachdem &#x017F;eine Ra&#x0364;nke, die mich in<lb/>
einen meine Ehre vernichtenden Criminalprozeß ver¬<lb/>
wickeln &#x017F;ollten, entdeckt worden, fliehen mußte.<lb/>
Ein warnender Wink des Schick&#x017F;als befreiete mich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0340] ſen naͤhrte.“ „Ein Boͤſewicht! — der Knabe von ſechs Jahren?“ — fragte die Dame ganz beſtuͤrzt. „Sie wiſſen,“ fuhr der alte Herr fort, „die Geſchichte meines juͤngern Bruders; Sie wiſſen, daß er mich mehrmals auf buͤbiſche Weiſe taͤuſchte, daß, alles bruͤderliche Gefuͤhl in ſeiner Bruſt ertoͤdtend, ihm jede Wohlthat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe gegen mich diente. An ihm, an ſeinem raſtloſen Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine buͤrgerliche Exiſtenz verloren ging. Sie wiſſen, wie er vor mehreren Jahren, in das tiefſte Elend ver¬ ſunken, zu mir kam, wie er mir Aenderung ſeiner verworrenen Lebensweiſe, wieder erwachte Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann ſeinen Aufenthalt in meinem Hauſe nutzte, um gewiſſe Dokumente — doch genug davon. Sein Knabe gefiel mir, und dieſen behielt ich bei mir, als der Schaͤndliche, nachdem ſeine Raͤnke, die mich in einen meine Ehre vernichtenden Criminalprozeß ver¬ wickeln ſollten, entdeckt worden, fliehen mußte. Ein warnender Wink des Schickſals befreiete mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/340
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/340>, abgerufen am 22.11.2024.