gel ein wundervolles Mädchen erblickt, das hinter mir im Fenster des öden Hauses gelegen. -- Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz gesehen. "Dort drüben? -- in dem alten Hause -- in dem letzten Fenster?" so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. "Allerdings, allerdings," sprach ich; da lächelte der Alte sehr und fing an: "Nun das ist doch eine wunderliche Täuschung -- nun meine alten Augen -- Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das hübsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Oel gemahltes Portrait." Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war ver¬ schwunden, die Jalousie herunter gelassen. "Ja!" fuhr der Alte fort, "ja, mein Herr, nun ist's zu spät, sich davon zu überzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Castellan das Absteigequartier der Gräfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestäubt,
gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt‚ das hinter mir im Fenſter des oͤden Hauſes gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz geſehen. „Dort druͤben? — in dem alten Hauſe — in dem letzten Fenſter?“ ſo fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. „Allerdings, allerdings,“ ſprach ich; da laͤchelte der Alte ſehr und fing an: „Nun das iſt doch eine wunderliche Taͤuſchung — nun meine alten Augen — Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das huͤbſche Geſicht dort im Fenſter geſehen, aber es war ja ein, wie es mir ſchien, recht gut und lebendig in Oel gemahltes Portrait.“ Schnell drehte ich mich um nach dem Fenſter, alles war ver¬ ſchwunden, die Jalouſie herunter gelaſſen. „Ja!“ fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun iſt's zu ſpaͤt, ſich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Caſtellan das Abſteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgeſtaͤubt,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="34"/>
gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt‚ das hinter<lb/>
mir im Fenſter des oͤden Hauſes gelegen. — Noch<lb/>
weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht<lb/>
auch das holde Antlitz geſehen. „Dort druͤben? —<lb/>
in dem alten Hauſe — in dem letzten Fenſter?“<lb/>ſo fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte.<lb/>„Allerdings, allerdings,“ſprach ich; da laͤchelte<lb/>
der Alte ſehr und fing an: „Nun das iſt doch eine<lb/>
wunderliche Taͤuſchung — nun meine alten Augen<lb/>— Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei,<lb/>
mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge<lb/>
das huͤbſche Geſicht dort im Fenſter geſehen, aber<lb/>
es war ja ein, wie es mir ſchien, recht gut und<lb/>
lebendig in Oel gemahltes Portrait.“ Schnell<lb/>
drehte ich mich um nach dem Fenſter, alles war ver¬<lb/>ſchwunden, die Jalouſie herunter gelaſſen. „Ja!“<lb/>
fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun iſt's zu<lb/>ſpaͤt, ſich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm<lb/>
der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Caſtellan<lb/>
das Abſteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein<lb/>
bewohnt, das Bild, nachdem er es abgeſtaͤubt,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[34/0042]
gel ein wundervolles Maͤdchen erblickt‚ das hinter
mir im Fenſter des oͤden Hauſes gelegen. — Noch
weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht
auch das holde Antlitz geſehen. „Dort druͤben? —
in dem alten Hauſe — in dem letzten Fenſter?“
ſo fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte.
„Allerdings, allerdings,“ ſprach ich; da laͤchelte
der Alte ſehr und fing an: „Nun das iſt doch eine
wunderliche Taͤuſchung — nun meine alten Augen
— Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei,
mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge
das huͤbſche Geſicht dort im Fenſter geſehen, aber
es war ja ein, wie es mir ſchien, recht gut und
lebendig in Oel gemahltes Portrait.“ Schnell
drehte ich mich um nach dem Fenſter, alles war ver¬
ſchwunden, die Jalouſie herunter gelaſſen. „Ja!“
fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun iſt's zu
ſpaͤt, ſich davon zu uͤberzeugen, denn eben nahm
der Bediente, der dort, wie ich weiß, als Caſtellan
das Abſteigequartier der Graͤfin von S. ganz allein
bewohnt, das Bild, nachdem er es abgeſtaͤubt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/42>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.