Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Getichte.
Ach aber! grosser GOtt! Was ist ein schwacher mann,
Der sich fast nicht mehr kennt, doch auf der erden nütze?
Du siehest, daß ich mich vor angst nicht lassen kan;
Und dennoch wird dein zorn zu meiner lebens-stütze.
Ach ja! der seufftzer kost ist Hiobs täglich brod:
Mein heulen fährt heraus, wie starcke wasser-fluthen:
Jch bin ein sammel-platz der ungeheuren noth.
Kan ein verwundter geist sich nicht zu tode bluten?
Nun fühl ich, was die furcht mir längst zuvor gesagt:
Und was ich offt besorgt, das hat mich itzt betroffen.
Ach, schmertzen, die ihr mich in marck und adern plagt!
Wenn machet ihr mir einst die burg des todes offen?
Denn mein gelück ist aus! ich bin nicht, der ich war
Der himmel hat den bau der stillen ruh zerrissen:
Mein leben ist mein tod, das betten meine bahr;
Jch aber bin ein brunn, aus welchem thränen fliessen.


Das 4. capitel.
WEnn ein getreuer freund schon mit dir reden will,
So kan es doch dein schmertz vielleichte nicht vertragen;
Allein der ungeduld gehöret maas und ziel:
Und darum muß ich dir die trockne wahrheit sagen.
War auch ein weis'rer mann, als Hiob, auf der welt?
So lange dir der HErr des hertzens wunsch erfüllet,
Da fand des nächsten brust, was krafft und muth erhält:
Und dein behertzter mund hat manche pein gestillet.
Nun aber, da dich GOtt auf scharffe dornen legt,
So liegt die tapfferkeit auf einmahl in dem staube:
Da wird dein weiches hertz, als wie ein rohr, bewegt,
Und Hiobs seele girrt, als eine turtel-taube.
Jst deine gottesfurcht nun nicht ein bloser traum?
Und deiner hoffnung schloß ein haus von karten-blättern?
Bebt der erschrockne geist nicht als ein pappel-baum?
Und läst sich nicht dein muth, wie spröder dohn zerschmettern?
Wenn hat des HErren zorn der unschuld zugesetzt?
Und wahre frömmigkeit mit ruthen heimgesuchet?
Meinst
Z 4
Vermiſchte Getichte.
Ach aber! groſſer GOtt! Was iſt ein ſchwacher mann,
Der ſich faſt nicht mehr kennt, doch auf der erden nuͤtze?
Du ſieheſt, daß ich mich vor angſt nicht laſſen kan;
Und dennoch wird dein zorn zu meiner lebens-ſtuͤtze.
Ach ja! der ſeufftzer koſt iſt Hiobs taͤglich brod:
Mein heulen faͤhrt heraus, wie ſtarcke waſſer-fluthen:
Jch bin ein ſammel-platz der ungeheuren noth.
Kan ein verwundter geiſt ſich nicht zu tode bluten?
Nun fuͤhl ich, was die furcht mir laͤngſt zuvor geſagt:
Und was ich offt beſorgt, das hat mich itzt betroffen.
Ach, ſchmertzen, die ihr mich in marck und adern plagt!
Wenn machet ihr mir einſt die burg des todes offen?
Denn mein geluͤck iſt aus! ich bin nicht, der ich war
Der himmel hat den bau der ſtillen ruh zerriſſen:
Mein leben iſt mein tod, das betten meine bahr;
Jch aber bin ein brunn, aus welchem thraͤnen flieſſen.


Das 4. capitel.
WEnn ein getreuer freund ſchon mit dir reden will,
So kan es doch dein ſchmertz vielleichte nicht vertragen;
Allein der ungeduld gehoͤret maas und ziel:
Und darum muß ich dir die trockne wahrheit ſagen.
War auch ein weiſ’rer mann, als Hiob, auf der welt?
So lange dir der HErꝛ des hertzens wunſch erfuͤllet,
Da fand des naͤchſten bruſt, was krafft und muth erhaͤlt:
Und dein behertzter mund hat manche pein geſtillet.
Nun aber, da dich GOtt auf ſcharffe dornen legt,
So liegt die tapfferkeit auf einmahl in dem ſtaube:
Da wird dein weiches hertz, als wie ein rohr, bewegt,
Und Hiobs ſeele girꝛt, als eine turtel-taube.
Jſt deine gottesfurcht nun nicht ein bloſer traum?
Und deiner hoffnung ſchloß ein haus von karten-blaͤttern?
Bebt der erſchrockne geiſt nicht als ein pappel-baum?
Und laͤſt ſich nicht dein muth, wie ſproͤder dohn zerſchmettern?
Wenn hat des HErren zorn der unſchuld zugeſetzt?
Und wahre froͤmmigkeit mit ruthen heimgeſuchet?
Meinſt
Z 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0383" n="359"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Getichte.</hi> </fw><lb/>
            <l>Ach aber! gro&#x017F;&#x017F;er GOtt! Was i&#x017F;t ein &#x017F;chwacher mann,</l><lb/>
            <l>Der &#x017F;ich fa&#x017F;t nicht mehr kennt, doch auf der erden nu&#x0364;tze?</l><lb/>
            <l>Du &#x017F;iehe&#x017F;t, daß ich mich vor ang&#x017F;t nicht la&#x017F;&#x017F;en kan;</l><lb/>
            <l>Und dennoch wird dein zorn zu meiner lebens-&#x017F;tu&#x0364;tze.</l><lb/>
            <l>Ach ja! der &#x017F;eufftzer ko&#x017F;t i&#x017F;t Hiobs ta&#x0364;glich brod:</l><lb/>
            <l>Mein heulen fa&#x0364;hrt heraus, wie &#x017F;tarcke wa&#x017F;&#x017F;er-fluthen:</l><lb/>
            <l>Jch bin ein &#x017F;ammel-platz der ungeheuren noth.</l><lb/>
            <l>Kan ein verwundter gei&#x017F;t &#x017F;ich nicht zu tode bluten?</l><lb/>
            <l>Nun fu&#x0364;hl ich, was die furcht mir la&#x0364;ng&#x017F;t zuvor ge&#x017F;agt:</l><lb/>
            <l>Und was ich offt be&#x017F;orgt, das hat mich itzt betroffen.</l><lb/>
            <l>Ach, &#x017F;chmertzen, die ihr mich in marck und adern plagt!</l><lb/>
            <l>Wenn machet ihr mir ein&#x017F;t die burg des todes offen?</l><lb/>
            <l>Denn mein gelu&#x0364;ck i&#x017F;t aus! ich bin nicht, der ich war</l><lb/>
            <l>Der himmel hat den bau der &#x017F;tillen ruh zerri&#x017F;&#x017F;en:</l><lb/>
            <l>Mein leben i&#x017F;t mein tod, das betten meine bahr;</l><lb/>
            <l>Jch aber bin ein brunn, aus welchem thra&#x0364;nen flie&#x017F;&#x017F;en.</l>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <lg type="poem">
            <head> <hi rendition="#b">Das 4. capitel.</hi> </head><lb/>
            <l><hi rendition="#in">W</hi>Enn ein getreuer freund &#x017F;chon mit dir reden will,</l><lb/>
            <l>So kan es doch dein &#x017F;chmertz vielleichte nicht vertragen;</l><lb/>
            <l>Allein der ungeduld geho&#x0364;ret maas und ziel:</l><lb/>
            <l>Und darum muß ich dir die trockne wahrheit &#x017F;agen.</l><lb/>
            <l>War auch ein wei&#x017F;&#x2019;rer mann, als Hiob, auf der welt?</l><lb/>
            <l>So lange dir der HEr&#xA75B; des hertzens wun&#x017F;ch erfu&#x0364;llet,</l><lb/>
            <l>Da fand des na&#x0364;ch&#x017F;ten bru&#x017F;t, was krafft und muth erha&#x0364;lt:</l><lb/>
            <l>Und dein behertzter mund hat manche pein ge&#x017F;tillet.</l><lb/>
            <l>Nun aber, da dich GOtt auf &#x017F;charffe dornen legt,</l><lb/>
            <l>So liegt die tapfferkeit auf einmahl in dem &#x017F;taube:</l><lb/>
            <l>Da wird dein weiches hertz, als wie ein rohr, bewegt,</l><lb/>
            <l>Und Hiobs &#x017F;eele gir&#xA75B;t, als eine turtel-taube.</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t deine gottesfurcht nun nicht ein blo&#x017F;er traum?</l><lb/>
            <l>Und deiner hoffnung &#x017F;chloß ein haus von karten-bla&#x0364;ttern?</l><lb/>
            <l>Bebt der er&#x017F;chrockne gei&#x017F;t nicht als ein pappel-baum?</l><lb/>
            <l>Und la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich nicht dein muth, wie &#x017F;pro&#x0364;der dohn zer&#x017F;chmettern?</l><lb/>
            <l>Wenn hat des HErren zorn der un&#x017F;chuld zuge&#x017F;etzt?</l><lb/>
            <l>Und wahre fro&#x0364;mmigkeit mit ruthen heimge&#x017F;uchet?</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">Z 4</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Mein&#x017F;t</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0383] Vermiſchte Getichte. Ach aber! groſſer GOtt! Was iſt ein ſchwacher mann, Der ſich faſt nicht mehr kennt, doch auf der erden nuͤtze? Du ſieheſt, daß ich mich vor angſt nicht laſſen kan; Und dennoch wird dein zorn zu meiner lebens-ſtuͤtze. Ach ja! der ſeufftzer koſt iſt Hiobs taͤglich brod: Mein heulen faͤhrt heraus, wie ſtarcke waſſer-fluthen: Jch bin ein ſammel-platz der ungeheuren noth. Kan ein verwundter geiſt ſich nicht zu tode bluten? Nun fuͤhl ich, was die furcht mir laͤngſt zuvor geſagt: Und was ich offt beſorgt, das hat mich itzt betroffen. Ach, ſchmertzen, die ihr mich in marck und adern plagt! Wenn machet ihr mir einſt die burg des todes offen? Denn mein geluͤck iſt aus! ich bin nicht, der ich war Der himmel hat den bau der ſtillen ruh zerriſſen: Mein leben iſt mein tod, das betten meine bahr; Jch aber bin ein brunn, aus welchem thraͤnen flieſſen. Das 4. capitel. WEnn ein getreuer freund ſchon mit dir reden will, So kan es doch dein ſchmertz vielleichte nicht vertragen; Allein der ungeduld gehoͤret maas und ziel: Und darum muß ich dir die trockne wahrheit ſagen. War auch ein weiſ’rer mann, als Hiob, auf der welt? So lange dir der HErꝛ des hertzens wunſch erfuͤllet, Da fand des naͤchſten bruſt, was krafft und muth erhaͤlt: Und dein behertzter mund hat manche pein geſtillet. Nun aber, da dich GOtt auf ſcharffe dornen legt, So liegt die tapfferkeit auf einmahl in dem ſtaube: Da wird dein weiches hertz, als wie ein rohr, bewegt, Und Hiobs ſeele girꝛt, als eine turtel-taube. Jſt deine gottesfurcht nun nicht ein bloſer traum? Und deiner hoffnung ſchloß ein haus von karten-blaͤttern? Bebt der erſchrockne geiſt nicht als ein pappel-baum? Und laͤſt ſich nicht dein muth, wie ſproͤder dohn zerſchmettern? Wenn hat des HErren zorn der unſchuld zugeſetzt? Und wahre froͤmmigkeit mit ruthen heimgeſuchet? Meinſt Z 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/383
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/383>, abgerufen am 16.05.2024.