[Spaltenumbruch]
nach soll Speise und Tranck unserer Natur und Ge- wonheit einstimmend und nicht widerwärtig seyn/ mit gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/ da die natürliche Wärme bey dem Magen concentrirt ist/ soll man mehr/ und im Sommer weniger essen; das Gegenspiel ist mit dem Getränck; im währenden Ver- dauen aber/ soll man alles Geträncke wenigst 4. oder 5. Stund nach der Mahlzeit gäntzlich meiden. Der Tranck ist der Natur anmüthiger/ der Gesundheit gedeylicher/ und für den Durst bequemer kalt als lau- licht/ weil per antiperistasin die natürliche Wärme dardurch aufgeblasen und vermehret wird; der Tranck gibt eben so wo eine Nahrung/ aufs wenigst ist er ein angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie Athenaeus schreibet/ haben sich etliche allein vom Trin- cken ernähret/ weil solches auch eher verdauet wird; das Tranck erfrischet auch den durch Ubung und Arbeit erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol setzet
-- -- -- Glomerataque multa vaporis Corpora, quae stomacho praebent incendia nostro Dissipat adveniens Liquor, ac restringit, ut ignem, Urere ne possit calor amplius aridus artus.
Jn täglicher Speise/ soll man des Süssen so viel mög- lich sich enthalten/ weil es den Magen schwächet/ die Galle vermehret/ die Zähne verderbet/ den Appetit vertreibet und mancherley Constipationen gebieret. Gesaltzene/ grobe/ geselchte Speisen gehören nur für starcke arbeitsame Leute; doch schadet wenig davon ge- nossen auch wenig/ und wird jeder wissen seine Natur [Spaltenumbruch]
selbst zu erkennen/ und was ihm schädlich ist zu fliehen; fette und gewürtzte Speisen schaden denen/ so zur Gallen geneigt sind. Was fett ist/ macht Unwillen. Vor dem/ was einem von Natur widerstehet/ soll man sich desto billiger hüten. Die Mahlzeiten soll man nach Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Frühstucken und Jausen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har- ten Speisen soll man vor wol käuen/ ehe man sie hinein schluckt/ so verdauen sie desto leichter. Von der Quantitet, wie viel man Speise zu sich nehmen soll/ sind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig; etliche meinen/ wann ein Mensch nahe an viertzig Jahr gereiche/ soll er an 12. oder 16. Untzen Speisen/ und so viel/ oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit zu sagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Stär- cke oder Schwachheit der Menschen unterschieden/ lässet sich auch hier nichts determiniren; das beste und gewisseste ist/ allzeit mit Lust aufhören/ nie so viel essen/ biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entstehet/ und diß ist der Prüf-Stein/ daran ein vernünfftiges Mensch seine Mahlzeiten reguliren und anstellen kan/ also sind sie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/ oder zu Abends mehr essen solle. Da dann die meisten dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die natürliche Austheilung der Feuchtigkeit/ so am füglich- sten noctu per quietem geschiehet/ nicht turbiret wer- den möge.
Cap. LXXI. Von der Gewonheit.
[Spaltenumbruch]
ALLe diese oberzehlte Meinungen können nicht bes- ser als nach der Natur und Gewonheit eines jeglichen Menschen verglichen werden. Die Gewonheit ist ein solcher Tyrann/ daß sie viel unbilliche Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten Gebrauch rechtfertiget/ viel ungesunde Dinge dem Men- schen bequem und zu guter Nahrung verändert/ und gleichsam eine andere Natur ist; wir gedencken nach natürlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrsätzen/ und leben nach der Gewonheit/ consuetudo si non est altera natura, tamen est Simia naturae, wie Herr de Verulam. de augm. scient. fol. 567. wol schreibet/ und S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quae ex longo tempore consueta sunt, etsi deteriora sunt, insuetis tamen minus molestare solent. Sie schläffert unsere Sinnen ein/ daß wir viel Böses für gut/ viel Unbeque- mes für gelegensam/ viel ungesundes für vorträglich hal- ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit schei- net/ das thun/ was man gewohnt ist/ und aus Gewon- heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs schon noch besser/ doch weil wir mehr fremdem als unserm eignen Willen hier folgen müssen/ ist es uns nicht so ange- nehm; daher wer in seiner Diaet eine Gewonheit an sich genommen/ und sich wol dabey befindet/ es sey im [Spaltenumbruch]
Essen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der soll nicht so leicht (aufs wenigst nicht gähling) sich davon abzie- hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns die Natur des Himmels selbst zu erkennen gibt/ der in Abwechslung der Hitz und Kälte nicht gähe Umsprünge nimmet/ sondern nach des Sommers grosser Hitz/ den mittelmässigen Herbst; und nach des Winters strenger Kälte den temperirten Früling untersetzet/ damit die Natur desto leichter per gradus von einem auf das an- dere möge geleitet/ und also erhalten und versichert wer- den. Man sehe die wilden Thier an/ wann sie gefan- gen werden/ sterben sie offt ehe Hungers/ als sie eine fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen; wer der Nidersächsischen/ und Westphalischen starcken Speisen gewohnet ist/ dem werden unsere ob schon bessere und wol bereitete Gerichten nicht schmecken oder wol be- kommen/ & vice versa: also wer von seiner alten Lebens- Art abstehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/ wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge- wisse Intervalla, gelanget; sonst wer bey seiner Lebens- Diaet wol lebet/ thut am besten/ er bleibe dabey/ doch daß er mehr der gesunden Vernunfft/ als der blossen Gewonheit folge.
Cap.
X iij
Anderes Buch/ Haus-Vatter.
[Spaltenumbruch]
nach ſoll Speiſe und Tranck unſerer Natur und Ge- wonheit einſtimmend und nicht widerwaͤrtig ſeyn/ mit gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/ da die natuͤrliche Waͤrme bey dem Magen concentrirt iſt/ ſoll man mehr/ und im Sommer weniger eſſen; das Gegenſpiel iſt mit dem Getraͤnck; im waͤhrendẽ Ver- dauen aber/ ſoll man alles Getraͤncke wenigſt 4. oder 5. Stund nach der Mahlzeit gaͤntzlich meiden. Der Tranck iſt der Natur anmuͤthiger/ der Geſundheit gedeylicher/ und fuͤr den Durſt bequemer kalt als lau- licht/ weil per antiperiſtaſin die natuͤrliche Waͤrme dardurch aufgeblaſen und vermehret wird; der Tranck gibt eben ſo wo eine Nahrung/ aufs wenigſt iſt er ein angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie Athenæus ſchreibet/ haben ſich etliche allein vom Trin- cken ernaͤhret/ weil ſolches auch eher verdauet wird; das Tranck erfriſchet auch den durch Ubung und Arbeit erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol ſetzet
— — — Glomerataquè multa vaporis Corpora, quæ ſtomacho præbent incendia noſtro Diſſipat adveniens Liquor, ac reſtringit, ut ignem, Urere ne poſſit calor amplius aridus artus.
Jn taͤglicher Speiſe/ ſoll man des Suͤſſen ſo viel moͤg- lich ſich enthalten/ weil es den Magen ſchwaͤchet/ die Galle vermehret/ die Zaͤhne verderbet/ den Appetit vertreibet und mancherley Conſtipationen gebieret. Geſaltzene/ grobe/ geſelchte Speiſen gehoͤren nur fuͤr ſtarcke arbeitſame Leute; doch ſchadet wenig davon ge- noſſen auch wenig/ und wird jeder wiſſen ſeine Natur [Spaltenumbruch]
ſelbſt zu erkennen/ und was ihm ſchaͤdlich iſt zu fliehen; fette und gewuͤrtzte Speiſen ſchaden denen/ ſo zur Gallen geneigt ſind. Was fett iſt/ macht Unwillen. Vor dem/ was einem von Natur widerſtehet/ ſoll man ſich deſto billiger huͤten. Die Mahlzeiten ſoll man nach Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fruͤhſtucken und Jauſen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har- ten Speiſen ſoll man vor wol kaͤuen/ ehe man ſie hinein ſchluckt/ ſo verdauen ſie deſto leichter. Von der Quantitet, wie viel man Speiſe zu ſich nehmen ſoll/ ſind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig; etliche meinen/ wann ein Menſch nahe an viertzig Jahr gereiche/ ſoll er an 12. oder 16. Untzen Speiſen/ uñ ſo viel/ oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit zu ſagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Staͤr- cke oder Schwachheit der Menſchen unterſchieden/ laͤſſet ſich auch hier nichts determiniren; das beſte und gewiſſeſte iſt/ allzeit mit Luſt aufhoͤren/ nie ſo viel eſſen/ biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entſtehet/ und diß iſt der Pruͤf-Stein/ daran ein vernuͤnfftiges Menſch ſeine Mahlzeiten reguliren und anſtellen kan/ alſo ſind ſie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/ oder zu Abends mehr eſſen ſolle. Da dann die meiſten dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die natuͤrliche Austheilung der Feuchtigkeit/ ſo am fuͤglich- ſten noctu per quietem geſchiehet/ nicht turbiret wer- den moͤge.
Cap. LXXI. Von der Gewonheit.
[Spaltenumbruch]
ALLe dieſe oberzehlte Meinungen koͤnnen nicht beſ- ſer als nach der Natur und Gewonheit eines jeglichen Menſchen verglichen werden. Die Gewonheit iſt ein ſolcher Tyrann/ daß ſie viel unbilliche Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten Gebrauch rechtfertiget/ viel ungeſunde Dinge dem Men- ſchen bequem und zu guter Nahrung veraͤndert/ und gleichſam eine andere Natur iſt; wir gedencken nach natuͤrlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrſaͤtzen/ und leben nach der Gewonheit/ conſuetudo ſi non eſt altera natura, tamen eſt Simia naturæ, wie Herr de Verulam. de augm. ſcient. fol. 567. wol ſchreibet/ und S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quæ ex longo tempore conſueta ſunt, etſi deteriora ſunt, inſuetis tamen minus moleſtare ſolent. Sie ſchlaͤffert unſere Sinnen ein/ daß wir viel Boͤſes fuͤr gut/ viel Unbeque- mes fuͤr gelegenſam/ viel ungeſundes fuͤr vortraͤglich hal- ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit ſchei- net/ das thun/ was man gewohnt iſt/ und aus Gewon- heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs ſchon noch beſſer/ doch weil wir mehr fremdem als unſerm eignen Willen hier folgen muͤſſen/ iſt es uns nicht ſo ange- nehm; daher wer in ſeiner Diæt eine Gewonheit an ſich genommen/ und ſich wol dabey befindet/ es ſey im [Spaltenumbruch]
Eſſen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der ſoll nicht ſo leicht (aufs wenigſt nicht gaͤhling) ſich davon abzie- hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns die Natur des Himmels ſelbſt zu erkennen gibt/ der in Abwechslung der Hitz und Kaͤlte nicht gaͤhe Umſpruͤnge nimmet/ ſondern nach des Sommers groſſer Hitz/ den mittelmaͤſſigen Herbſt; und nach des Winters ſtrenger Kaͤlte den temperirten Fruͤling unterſetzet/ damit die Natur deſto leichter per gradus von einem auf das an- dere moͤge geleitet/ und alſo erhalten und verſichert wer- den. Man ſehe die wilden Thier an/ wann ſie gefan- gen werden/ ſterben ſie offt ehe Hungers/ als ſie eine fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen; wer der Niderſaͤchſiſchen/ und Weſtphaliſchen ſtarcken Speiſen gewohnet iſt/ dem werden unſere ob ſchon beſſere und wol bereitete Gerichten nicht ſchmecken oder wol be- kommen/ & vice verſâ: alſo wer von ſeiner alten Lebens- Art abſtehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/ wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge- wiſſe Intervalla, gelanget; ſonſt wer bey ſeiner Lebens- Diæt wol lebet/ thut am beſten/ er bleibe dabey/ doch daß er mehr der geſunden Vernunfft/ als der bloſſen Gewonheit folge.
Cap.
X iij
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0183"n="165"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Anderes Buch/ Haus-Vatter.</hi></fw><lb/><cb/>
nach ſoll Speiſe und Tranck unſerer Natur und Ge-<lb/>
wonheit einſtimmend und nicht widerwaͤrtig ſeyn/ mit<lb/>
gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/<lb/>
da die natuͤrliche Waͤrme bey dem Magen <hirendition="#aq">concentrirt</hi><lb/>
iſt/ ſoll man mehr/ und im Sommer weniger eſſen;<lb/>
das Gegenſpiel iſt mit dem Getraͤnck; im waͤhrendẽ Ver-<lb/>
dauen aber/ ſoll man alles Getraͤncke wenigſt 4. oder<lb/>
5. Stund nach der Mahlzeit gaͤntzlich meiden. Der<lb/>
Tranck iſt der Natur anmuͤthiger/ der Geſundheit<lb/>
gedeylicher/ und fuͤr den Durſt bequemer kalt als lau-<lb/>
licht/ weil <hirendition="#aq">per antiperiſtaſin</hi> die natuͤrliche Waͤrme<lb/>
dardurch aufgeblaſen und vermehret wird; der Tranck<lb/>
gibt eben ſo wo eine Nahrung/ aufs wenigſt iſt er ein<lb/>
angenehmes <hirendition="#aq">Vehiculum Alimentorum,</hi> und/ wie<lb/><hirendition="#aq">Athenæus</hi>ſchreibet/ haben ſich etliche allein vom Trin-<lb/>
cken ernaͤhret/ weil ſolches auch eher verdauet wird;<lb/>
das Tranck erfriſchet auch den durch Ubung und Arbeit<lb/>
erhitzten Leibe/ wie <hirendition="#aq">Lucretius lib.</hi> 4. wol ſetzet</p><lb/><cit><quote>———<hirendition="#aq">Glomerataquè multa vaporis<lb/>
Corpora, quæ ſtomacho præbent incendia noſtro<lb/>
Diſſipat adveniens Liquor, ac reſtringit, ut ignem,<lb/>
Urere ne poſſit calor amplius aridus artus.</hi></quote></cit><lb/><p>Jn taͤglicher Speiſe/ ſoll man des Suͤſſen ſo viel moͤg-<lb/>
lich ſich enthalten/ weil es den Magen ſchwaͤchet/ die<lb/>
Galle vermehret/ die Zaͤhne verderbet/ den <hirendition="#aq">Appetit</hi><lb/>
vertreibet und mancherley <hirendition="#aq">Conſtipatio</hi>nen gebieret.<lb/>
Geſaltzene/ grobe/ geſelchte Speiſen gehoͤren nur fuͤr<lb/>ſtarcke arbeitſame Leute; doch ſchadet wenig davon ge-<lb/>
noſſen auch wenig/ und wird jeder wiſſen ſeine Natur<lb/><cb/>ſelbſt zu erkennen/ und was ihm ſchaͤdlich iſt zu fliehen;<lb/>
fette und gewuͤrtzte Speiſen ſchaden denen/ ſo zur<lb/>
Gallen geneigt ſind. Was fett iſt/ macht Unwillen.<lb/>
Vor dem/ was einem von Natur widerſtehet/ ſoll man<lb/>ſich deſto billiger huͤten. Die Mahlzeiten ſoll man nach<lb/>
Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fruͤhſtucken<lb/>
und Jauſen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har-<lb/>
ten Speiſen ſoll man vor wol kaͤuen/ ehe man ſie hinein<lb/>ſchluckt/ ſo verdauen ſie deſto leichter. Von der<lb/><hirendition="#aq">Quantitet,</hi> wie viel man Speiſe zu ſich nehmen ſoll/<lb/>ſind die <hirendition="#aq">Medici</hi> (wie in vielen Sachen) nicht einig;<lb/>
etliche meinen/ wann ein Menſch nahe an viertzig Jahr<lb/>
gereiche/ ſoll er an 12. oder 16. Untzen Speiſen/ uñſo viel/<lb/>
oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere<lb/>
geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit<lb/>
zu ſagen/ weil die Naturen und <hirendition="#aq">Complexio</hi>nen/ Staͤr-<lb/>
cke oder Schwachheit der Menſchen unterſchieden/<lb/>
laͤſſet ſich auch hier nichts <hirendition="#aq">determini</hi>ren; das beſte und<lb/>
gewiſſeſte iſt/ allzeit mit Luſt aufhoͤren/ nie ſo viel eſſen/<lb/>
biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entſtehet/<lb/>
und diß iſt der Pruͤf-Stein/ daran ein vernuͤnfftiges<lb/>
Menſch ſeine Mahlzeiten <hirendition="#aq">reguli</hi>ren und anſtellen kan/<lb/>
alſo ſind ſie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/<lb/>
oder zu Abends mehr eſſen ſolle. Da dann die meiſten<lb/>
dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die<lb/>
natuͤrliche Austheilung der Feuchtigkeit/ ſo am fuͤglich-<lb/>ſten <hirendition="#aq">noctu per quietem</hi> geſchiehet/ nicht <hirendition="#aq">turbi</hi>ret wer-<lb/>
den moͤge.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#aq"><hirendition="#g"><hirendition="#k">Cap.</hi> LXXI.</hi></hi><lb/><hirendition="#fr">Von der Gewonheit.</hi></head><lb/><cb/><p><hirendition="#in">A</hi>LLe dieſe oberzehlte Meinungen koͤnnen nicht beſ-<lb/>ſer als nach der Natur und Gewonheit eines<lb/>
jeglichen Menſchen verglichen werden. Die<lb/>
Gewonheit iſt ein ſolcher Tyrann/ daß ſie viel unbilliche<lb/>
Sachen in denen <hirendition="#aq">Republi</hi>ken durch alt-hergebrachten<lb/>
Gebrauch rechtfertiget/ viel ungeſunde Dinge dem Men-<lb/>ſchen bequem und zu guter Nahrung veraͤndert/ und<lb/>
gleichſam eine andere Natur iſt; wir gedencken nach<lb/>
natuͤrlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrſaͤtzen/<lb/>
und leben nach der Gewonheit/ <hirendition="#aq">conſuetudo ſi non eſt<lb/>
altera natura, tamen eſt Simia naturæ,</hi> wie Herr <hirendition="#aq">de<lb/>
Verulam. de augm. ſcient. fol.</hi> 567. wol ſchreibet/ und<lb/><hirendition="#aq">S. 2. aphor. 50. Hippocrates</hi> meldet/ <hirendition="#aq">quæ ex longo<lb/>
tempore conſueta ſunt, etſi deteriora ſunt, inſuetis<lb/>
tamen minus moleſtare ſolent.</hi> Sie ſchlaͤffert unſere<lb/>
Sinnen ein/ daß wir viel Boͤſes fuͤr gut/ viel Unbeque-<lb/>
mes fuͤr gelegenſam/ viel ungeſundes fuͤr vortraͤglich hal-<lb/>
ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit ſchei-<lb/>
net/ das thun/ was man gewohnt iſt/ und aus Gewon-<lb/>
heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs<lb/>ſchon noch beſſer/ doch weil wir mehr fremdem als unſerm<lb/>
eignen Willen hier folgen muͤſſen/ iſt es uns nicht ſo ange-<lb/>
nehm; daher wer in ſeiner <hirendition="#aq">Diæt</hi> eine Gewonheit an<lb/>ſich genommen/ und ſich wol dabey befindet/ es ſey im<lb/><cb/>
Eſſen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der ſoll nicht<lb/>ſo leicht (aufs wenigſt nicht gaͤhling) ſich davon abzie-<lb/>
hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns<lb/>
die Natur des Himmels ſelbſt zu erkennen gibt/ der in<lb/>
Abwechslung der Hitz und Kaͤlte nicht gaͤhe Umſpruͤnge<lb/>
nimmet/ ſondern nach des Sommers groſſer Hitz/ den<lb/>
mittelmaͤſſigen Herbſt; und nach des Winters ſtrenger<lb/>
Kaͤlte den temperirten Fruͤling unterſetzet/ damit die<lb/>
Natur deſto leichter <hirendition="#aq">per gradus</hi> von einem auf das an-<lb/>
dere moͤge geleitet/ und alſo erhalten und verſichert wer-<lb/>
den. Man ſehe die wilden Thier an/ wann ſie gefan-<lb/>
gen werden/ ſterben ſie offt ehe Hungers/ als ſie eine<lb/>
fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen;<lb/>
wer der Niderſaͤchſiſchen/ und Weſtphaliſchen ſtarcken<lb/>
Speiſen gewohnet iſt/ dem werden unſere ob ſchon beſſere<lb/>
und wol bereitete Gerichten nicht ſchmecken oder wol be-<lb/>
kommen/ <hirendition="#aq">& vice verſâ:</hi> alſo wer von ſeiner alten Lebens-<lb/>
Art abſtehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/<lb/>
wann er von einem <hirendition="#aq">Extremo</hi> auf das andere/ durch ge-<lb/>
wiſſe <hirendition="#aq">Intervalla,</hi> gelanget; ſonſt wer bey ſeiner Lebens-<lb/><hirendition="#aq">Diæt</hi> wol lebet/ thut am beſten/ er bleibe dabey/ doch<lb/>
daß er mehr der geſunden Vernunfft/ als der bloſſen<lb/>
Gewonheit folge.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">X iij</hi></fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq"><hirendition="#g"><hirendition="#k">Cap.</hi></hi></hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[165/0183]
Anderes Buch/ Haus-Vatter.
nach ſoll Speiſe und Tranck unſerer Natur und Ge-
wonheit einſtimmend und nicht widerwaͤrtig ſeyn/ mit
gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/
da die natuͤrliche Waͤrme bey dem Magen concentrirt
iſt/ ſoll man mehr/ und im Sommer weniger eſſen;
das Gegenſpiel iſt mit dem Getraͤnck; im waͤhrendẽ Ver-
dauen aber/ ſoll man alles Getraͤncke wenigſt 4. oder
5. Stund nach der Mahlzeit gaͤntzlich meiden. Der
Tranck iſt der Natur anmuͤthiger/ der Geſundheit
gedeylicher/ und fuͤr den Durſt bequemer kalt als lau-
licht/ weil per antiperiſtaſin die natuͤrliche Waͤrme
dardurch aufgeblaſen und vermehret wird; der Tranck
gibt eben ſo wo eine Nahrung/ aufs wenigſt iſt er ein
angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie
Athenæus ſchreibet/ haben ſich etliche allein vom Trin-
cken ernaͤhret/ weil ſolches auch eher verdauet wird;
das Tranck erfriſchet auch den durch Ubung und Arbeit
erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol ſetzet
— — — Glomerataquè multa vaporis
Corpora, quæ ſtomacho præbent incendia noſtro
Diſſipat adveniens Liquor, ac reſtringit, ut ignem,
Urere ne poſſit calor amplius aridus artus.
Jn taͤglicher Speiſe/ ſoll man des Suͤſſen ſo viel moͤg-
lich ſich enthalten/ weil es den Magen ſchwaͤchet/ die
Galle vermehret/ die Zaͤhne verderbet/ den Appetit
vertreibet und mancherley Conſtipationen gebieret.
Geſaltzene/ grobe/ geſelchte Speiſen gehoͤren nur fuͤr
ſtarcke arbeitſame Leute; doch ſchadet wenig davon ge-
noſſen auch wenig/ und wird jeder wiſſen ſeine Natur
ſelbſt zu erkennen/ und was ihm ſchaͤdlich iſt zu fliehen;
fette und gewuͤrtzte Speiſen ſchaden denen/ ſo zur
Gallen geneigt ſind. Was fett iſt/ macht Unwillen.
Vor dem/ was einem von Natur widerſtehet/ ſoll man
ſich deſto billiger huͤten. Die Mahlzeiten ſoll man nach
Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fruͤhſtucken
und Jauſen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har-
ten Speiſen ſoll man vor wol kaͤuen/ ehe man ſie hinein
ſchluckt/ ſo verdauen ſie deſto leichter. Von der
Quantitet, wie viel man Speiſe zu ſich nehmen ſoll/
ſind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig;
etliche meinen/ wann ein Menſch nahe an viertzig Jahr
gereiche/ ſoll er an 12. oder 16. Untzen Speiſen/ uñ ſo viel/
oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere
geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit
zu ſagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Staͤr-
cke oder Schwachheit der Menſchen unterſchieden/
laͤſſet ſich auch hier nichts determiniren; das beſte und
gewiſſeſte iſt/ allzeit mit Luſt aufhoͤren/ nie ſo viel eſſen/
biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entſtehet/
und diß iſt der Pruͤf-Stein/ daran ein vernuͤnfftiges
Menſch ſeine Mahlzeiten reguliren und anſtellen kan/
alſo ſind ſie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/
oder zu Abends mehr eſſen ſolle. Da dann die meiſten
dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die
natuͤrliche Austheilung der Feuchtigkeit/ ſo am fuͤglich-
ſten noctu per quietem geſchiehet/ nicht turbiret wer-
den moͤge.
Cap. LXXI.
Von der Gewonheit.
ALLe dieſe oberzehlte Meinungen koͤnnen nicht beſ-
ſer als nach der Natur und Gewonheit eines
jeglichen Menſchen verglichen werden. Die
Gewonheit iſt ein ſolcher Tyrann/ daß ſie viel unbilliche
Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten
Gebrauch rechtfertiget/ viel ungeſunde Dinge dem Men-
ſchen bequem und zu guter Nahrung veraͤndert/ und
gleichſam eine andere Natur iſt; wir gedencken nach
natuͤrlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrſaͤtzen/
und leben nach der Gewonheit/ conſuetudo ſi non eſt
altera natura, tamen eſt Simia naturæ, wie Herr de
Verulam. de augm. ſcient. fol. 567. wol ſchreibet/ und
S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quæ ex longo
tempore conſueta ſunt, etſi deteriora ſunt, inſuetis
tamen minus moleſtare ſolent. Sie ſchlaͤffert unſere
Sinnen ein/ daß wir viel Boͤſes fuͤr gut/ viel Unbeque-
mes fuͤr gelegenſam/ viel ungeſundes fuͤr vortraͤglich hal-
ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit ſchei-
net/ das thun/ was man gewohnt iſt/ und aus Gewon-
heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs
ſchon noch beſſer/ doch weil wir mehr fremdem als unſerm
eignen Willen hier folgen muͤſſen/ iſt es uns nicht ſo ange-
nehm; daher wer in ſeiner Diæt eine Gewonheit an
ſich genommen/ und ſich wol dabey befindet/ es ſey im
Eſſen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der ſoll nicht
ſo leicht (aufs wenigſt nicht gaͤhling) ſich davon abzie-
hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns
die Natur des Himmels ſelbſt zu erkennen gibt/ der in
Abwechslung der Hitz und Kaͤlte nicht gaͤhe Umſpruͤnge
nimmet/ ſondern nach des Sommers groſſer Hitz/ den
mittelmaͤſſigen Herbſt; und nach des Winters ſtrenger
Kaͤlte den temperirten Fruͤling unterſetzet/ damit die
Natur deſto leichter per gradus von einem auf das an-
dere moͤge geleitet/ und alſo erhalten und verſichert wer-
den. Man ſehe die wilden Thier an/ wann ſie gefan-
gen werden/ ſterben ſie offt ehe Hungers/ als ſie eine
fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen;
wer der Niderſaͤchſiſchen/ und Weſtphaliſchen ſtarcken
Speiſen gewohnet iſt/ dem werden unſere ob ſchon beſſere
und wol bereitete Gerichten nicht ſchmecken oder wol be-
kommen/ & vice verſâ: alſo wer von ſeiner alten Lebens-
Art abſtehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/
wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge-
wiſſe Intervalla, gelanget; ſonſt wer bey ſeiner Lebens-
Diæt wol lebet/ thut am beſten/ er bleibe dabey/ doch
daß er mehr der geſunden Vernunfft/ als der bloſſen
Gewonheit folge.
Cap.
X iij
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hohberg, Wolf Helmhard von: Georgica Curiosa. Bd. 1. Nürnberg, 1682, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hohberg_georgica01_1682/183>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.