heute, die jüngste Vergangenheit vergessend, sich an- schloß. Er überlegte weiter nicht, welche Folgen dies möglicherweise haben könnte? Seine Großmutter schüttelte ängstlich das alte Haupt, wie er dahin zog -- in seinem besten Putze!
Er war sehr schön. Weiße Beinkleider aus dem feinsten selbstgesponnenen Leinwandstücke der Mutter Goksch geschnitten und vom Dorfschneider mit beson- derer Vorliebe und Sorgfalt gearbeitet, saßen ihm so nett und knapp und hoben seine schlanke, kräftige Gestalt so anmuthig hervor, daß man nichts Hübsche- res sehen konnte; ein kurzes Jäckchen von dunkel- blauem Tuche schmiegte sich wie gegossen an die breiten Schultern; um den halboffenen Hemdkragen schlang sich ein rothseidenes Tuch, dessen Zipfel lang umher flatterten; auf den vollen braunen Locken, nach dem rechten Ohre hin gesenkt, saß ein strohgelbes Ledermützchen. Und das edle Angesicht, aus welchem unter dunklen Brauen und Wimpern ein blaufeuchtes Auge hervorstrahlte, bildete in wehmüthigem Ernst den wirksamsten Gegensatz zu der fast spöttisch lächeln- den Oberlippe, auf der sich der erste Anflug eines regelmäßig geformten Bartes wölbte. Sein Gang war fest und leicht, beides zugleich, ohne Spur von
Die Vagabunden. I. 9
heute, die juͤngſte Vergangenheit vergeſſend, ſich an- ſchloß. Er uͤberlegte weiter nicht, welche Folgen dies moͤglicherweiſe haben koͤnnte? Seine Großmutter ſchuͤttelte aͤngſtlich das alte Haupt, wie er dahin zog — in ſeinem beſten Putze!
Er war ſehr ſchoͤn. Weiße Beinkleider aus dem feinſten ſelbſtgeſponnenen Leinwandſtuͤcke der Mutter Gokſch geſchnitten und vom Dorfſchneider mit beſon- derer Vorliebe und Sorgfalt gearbeitet, ſaßen ihm ſo nett und knapp und hoben ſeine ſchlanke, kraͤftige Geſtalt ſo anmuthig hervor, daß man nichts Huͤbſche- res ſehen konnte; ein kurzes Jaͤckchen von dunkel- blauem Tuche ſchmiegte ſich wie gegoſſen an die breiten Schultern; um den halboffenen Hemdkragen ſchlang ſich ein rothſeidenes Tuch, deſſen Zipfel lang umher flatterten; auf den vollen braunen Locken, nach dem rechten Ohre hin geſenkt, ſaß ein ſtrohgelbes Ledermuͤtzchen. Und das edle Angeſicht, aus welchem unter dunklen Brauen und Wimpern ein blaufeuchtes Auge hervorſtrahlte, bildete in wehmuͤthigem Ernſt den wirkſamſten Gegenſatz zu der faſt ſpoͤttiſch laͤcheln- den Oberlippe, auf der ſich der erſte Anflug eines regelmaͤßig geformten Bartes woͤlbte. Sein Gang war feſt und leicht, beides zugleich, ohne Spur von
Die Vagabunden. I. 9
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heute, die juͤngſte Vergangenheit vergeſſend, ſich an-
ſchloß. Er uͤberlegte weiter nicht, welche Folgen dies
moͤglicherweiſe haben koͤnnte? Seine Großmutter
ſchuͤttelte aͤngſtlich das alte Haupt, wie er dahin zog
— in ſeinem beſten Putze!
Er war ſehr ſchoͤn. Weiße Beinkleider aus dem
feinſten ſelbſtgeſponnenen Leinwandſtuͤcke der Mutter
Gokſch geſchnitten und vom Dorfſchneider mit beſon-
derer Vorliebe und Sorgfalt gearbeitet, ſaßen ihm ſo
nett und knapp und hoben ſeine ſchlanke, kraͤftige
Geſtalt ſo anmuthig hervor, daß man nichts Huͤbſche-
res ſehen konnte; ein kurzes Jaͤckchen von dunkel-
blauem Tuche ſchmiegte ſich wie gegoſſen an die
breiten Schultern; um den halboffenen Hemdkragen
ſchlang ſich ein rothſeidenes Tuch, deſſen Zipfel lang
umher flatterten; auf den vollen braunen Locken, nach
dem rechten Ohre hin geſenkt, ſaß ein ſtrohgelbes
Ledermuͤtzchen. Und das edle Angeſicht, aus welchem
unter dunklen Brauen und Wimpern ein blaufeuchtes
Auge hervorſtrahlte, bildete in wehmuͤthigem Ernſt
den wirkſamſten Gegenſatz zu der faſt ſpoͤttiſch laͤcheln-
den Oberlippe, auf der ſich der erſte Anflug eines
regelmaͤßig geformten Bartes woͤlbte. Sein Gang
war feſt und leicht, beides zugleich, ohne Spur von
Die Vagabunden. I. 9
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/145>, abgerufen am 21.11.2024.
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