Wolfgang, bist Du hier? fragte Anton mit zit- terndem Tone. Das Stöhnen schwieg und eine hei- sere Stimme erwiederte: "ja, hier!" Alsobald knie'te Anton neben dem Kranken, dessen Hals er sanft um- schlang, dessen Haupt er vorsichtig emporhob und stützte.
Und Wolfgang redete: "Gut, daß Du kam'st; es ist die höchste Zeit. Jch werde leichter sterben, wenn Du bei mir bist. Nun ist's aus, Korbmacher. Jch hab' meinen Willen: die braune Bärbel hat dem schwarzen Wolfgang den Rest gegeben; sie und der Brantwein. Nimm Dich vor beiden in Acht. Sie sagte immer, sie liebe mich? Aber sterben wollte sie mich nicht sehen. Sie meinte, das wäre "grauslich." Sie mag Recht haben. Jch verzeih' ihr, nur weil sie Dich schickte. Zum Leben war sie mir lieber; zum Sterben kann ich Dich besser gebrauchen: Du bist gut; sie ist schlecht; noch schlechter als ich."
Armer Wolfgang, schluchzte Anton, sich und sei- nen eigenen Jammer vergessend; warum suchtest Du nicht eine Ruhestelle in einem friedlichen Hause? Warum schlepptest Du Dich nicht bis zu uns? Gern hätt' ich Dir mein eigenes Lager als Krankenbett ein-
Wolfgang, biſt Du hier? fragte Anton mit zit- terndem Tone. Das Stoͤhnen ſchwieg und eine hei- ſere Stimme erwiederte: „ja, hier!“ Alſobald knie’te Anton neben dem Kranken, deſſen Hals er ſanft um- ſchlang, deſſen Haupt er vorſichtig emporhob und ſtuͤtzte.
Und Wolfgang redete: „Gut, daß Du kam’ſt; es iſt die hoͤchſte Zeit. Jch werde leichter ſterben, wenn Du bei mir biſt. Nun iſt’s aus, Korbmacher. Jch hab’ meinen Willen: die braune Baͤrbel hat dem ſchwarzen Wolfgang den Reſt gegeben; ſie und der Brantwein. Nimm Dich vor beiden in Acht. Sie ſagte immer, ſie liebe mich? Aber ſterben wollte ſie mich nicht ſehen. Sie meinte, das waͤre „grauslich.“ Sie mag Recht haben. Jch verzeih’ ihr, nur weil ſie Dich ſchickte. Zum Leben war ſie mir lieber; zum Sterben kann ich Dich beſſer gebrauchen: Du biſt gut; ſie iſt ſchlecht; noch ſchlechter als ich.“
Armer Wolfgang, ſchluchzte Anton, ſich und ſei- nen eigenen Jammer vergeſſend; warum ſuchteſt Du nicht eine Ruheſtelle in einem friedlichen Hauſe? Warum ſchleppteſt Du Dich nicht bis zu uns? Gern haͤtt’ ich Dir mein eigenes Lager als Krankenbett ein-
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Wolfgang, biſt Du hier? fragte Anton mit zit-
terndem Tone. Das Stoͤhnen ſchwieg und eine hei-
ſere Stimme erwiederte: „ja, hier!“ Alſobald knie’te
Anton neben dem Kranken, deſſen Hals er ſanft um-
ſchlang, deſſen Haupt er vorſichtig emporhob und
ſtuͤtzte.
Und Wolfgang redete: „Gut, daß Du kam’ſt; es
iſt die hoͤchſte Zeit. Jch werde leichter ſterben, wenn
Du bei mir biſt. Nun iſt’s aus, Korbmacher. Jch
hab’ meinen Willen: die braune Baͤrbel hat dem
ſchwarzen Wolfgang den Reſt gegeben; ſie und der
Brantwein. Nimm Dich vor beiden in Acht. Sie
ſagte immer, ſie liebe mich? Aber ſterben wollte ſie
mich nicht ſehen. Sie meinte, das waͤre „grauslich.“
Sie mag Recht haben. Jch verzeih’ ihr, nur weil ſie
Dich ſchickte. Zum Leben war ſie mir lieber; zum
Sterben kann ich Dich beſſer gebrauchen: Du biſt
gut; ſie iſt ſchlecht; noch ſchlechter als ich.“
Armer Wolfgang, ſchluchzte Anton, ſich und ſei-
nen eigenen Jammer vergeſſend; warum ſuchteſt Du
nicht eine Ruheſtelle in einem friedlichen Hauſe?
Warum ſchleppteſt Du Dich nicht bis zu uns? Gern
haͤtt’ ich Dir mein eigenes Lager als Krankenbett ein-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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