Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

geräumt. Und unser alter Herr Pastor hätte Dich
besucht mit geistlichem Trost und Zuspruch....

"Geh' mir mit Deinem luther'schen Schwarzrock,
der kann mir nicht helfen. Einen Priester von meiner
Kirche giebt es in eurer Ketzergegend nicht; ich muß
ohne Oelung abfahren, mir wird mein Reisewagen
nicht geschmiert. Da war mein Alter glücklicher
daran, wie sie ihn aufhingen. Sapperment war das
ein schöner Zug! Tausend und aber tausend Men-
schen! Und er das Kruzifix in der Linken, von dem
ein kleiner, daumlanger, beinerner Heiland aus blut-
rothen Nelken und Rosen hervorguckte, den er einmal
um's andremal an die bleichen Lippen drückte und
küßte. Und ein dicker Kapuziner neben ihm, der ihm
unaufhörlich in's Ohr schrie, daß er gen Himmel fah-
ren werde. Ha, wie er dann in der Luft zappelte, --
da hing er, wie eine reife Frucht; und ich muß am
Boden verfaulen. Oh, der Schmerz, Anton, der zer-
reißt mir die Brust. Jedes Wort, das ich spreche,
giebt mir einen Stich."

So rede nicht, Wolf. Ruh' ein wenig; versuch'
ob Du schlummern magst? Jch verlasse Dich nicht;
ich weiche nicht von Dir. Gewiß nicht.

"Jch muß reden! -- Versprich mir, Anton, daß

geraͤumt. Und unſer alter Herr Paſtor haͤtte Dich
beſucht mit geiſtlichem Troſt und Zuſpruch....

„Geh’ mir mit Deinem luther’ſchen Schwarzrock,
der kann mir nicht helfen. Einen Prieſter von meiner
Kirche giebt es in eurer Ketzergegend nicht; ich muß
ohne Oelung abfahren, mir wird mein Reiſewagen
nicht geſchmiert. Da war mein Alter gluͤcklicher
daran, wie ſie ihn aufhingen. Sapperment war das
ein ſchoͤner Zug! Tauſend und aber tauſend Men-
ſchen! Und er das Kruzifix in der Linken, von dem
ein kleiner, daumlanger, beinerner Heiland aus blut-
rothen Nelken und Roſen hervorguckte, den er einmal
um’s andremal an die bleichen Lippen druͤckte und
kuͤßte. Und ein dicker Kapuziner neben ihm, der ihm
unaufhoͤrlich in’s Ohr ſchrie, daß er gen Himmel fah-
ren werde. Ha, wie er dann in der Luft zappelte, —
da hing er, wie eine reife Frucht; und ich muß am
Boden verfaulen. Oh, der Schmerz, Anton, der zer-
reißt mir die Bruſt. Jedes Wort, das ich ſpreche,
giebt mir einen Stich.“

So rede nicht, Wolf. Ruh’ ein wenig; verſuch’
ob Du ſchlummern magſt? Jch verlaſſe Dich nicht;
ich weiche nicht von Dir. Gewiß nicht.

„Jch muß reden! — Verſprich mir, Anton, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0160" n="144"/>
gera&#x0364;umt. Und un&#x017F;er alter Herr Pa&#x017F;tor ha&#x0364;tte Dich<lb/>
be&#x017F;ucht mit gei&#x017F;tlichem Tro&#x017F;t und Zu&#x017F;pruch....</p><lb/>
        <p>&#x201E;Geh&#x2019; mir mit Deinem luther&#x2019;&#x017F;chen Schwarzrock,<lb/>
der kann mir nicht helfen. Einen Prie&#x017F;ter von meiner<lb/>
Kirche giebt es in eurer Ketzergegend nicht; ich muß<lb/>
ohne Oelung abfahren, mir wird mein Rei&#x017F;ewagen<lb/>
nicht ge&#x017F;chmiert. Da war mein Alter glu&#x0364;cklicher<lb/>
daran, wie &#x017F;ie ihn aufhingen. Sapperment war das<lb/>
ein &#x017F;cho&#x0364;ner Zug! Tau&#x017F;end und aber tau&#x017F;end Men-<lb/>
&#x017F;chen! Und er das Kruzifix in der Linken, von dem<lb/>
ein kleiner, daumlanger, beinerner Heiland aus blut-<lb/>
rothen Nelken und Ro&#x017F;en hervorguckte, den er einmal<lb/>
um&#x2019;s andremal an die bleichen Lippen dru&#x0364;ckte und<lb/>
ku&#x0364;ßte. Und ein dicker Kapuziner neben ihm, der ihm<lb/>
unaufho&#x0364;rlich in&#x2019;s Ohr &#x017F;chrie, daß er gen Himmel fah-<lb/>
ren werde. Ha, wie er dann in der Luft zappelte, &#x2014;<lb/>
da hing er, wie eine reife Frucht; und ich muß am<lb/>
Boden verfaulen. Oh, der Schmerz, Anton, der zer-<lb/>
reißt mir die Bru&#x017F;t. Jedes Wort, das ich &#x017F;preche,<lb/>
giebt mir einen Stich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>So rede nicht, Wolf. Ruh&#x2019; ein wenig; ver&#x017F;uch&#x2019;<lb/>
ob Du &#x017F;chlummern mag&#x017F;t? Jch verla&#x017F;&#x017F;e Dich nicht;<lb/>
ich weiche nicht von Dir. Gewiß nicht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch muß reden! &#x2014; Ver&#x017F;prich mir, Anton, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0160] geraͤumt. Und unſer alter Herr Paſtor haͤtte Dich beſucht mit geiſtlichem Troſt und Zuſpruch.... „Geh’ mir mit Deinem luther’ſchen Schwarzrock, der kann mir nicht helfen. Einen Prieſter von meiner Kirche giebt es in eurer Ketzergegend nicht; ich muß ohne Oelung abfahren, mir wird mein Reiſewagen nicht geſchmiert. Da war mein Alter gluͤcklicher daran, wie ſie ihn aufhingen. Sapperment war das ein ſchoͤner Zug! Tauſend und aber tauſend Men- ſchen! Und er das Kruzifix in der Linken, von dem ein kleiner, daumlanger, beinerner Heiland aus blut- rothen Nelken und Roſen hervorguckte, den er einmal um’s andremal an die bleichen Lippen druͤckte und kuͤßte. Und ein dicker Kapuziner neben ihm, der ihm unaufhoͤrlich in’s Ohr ſchrie, daß er gen Himmel fah- ren werde. Ha, wie er dann in der Luft zappelte, — da hing er, wie eine reife Frucht; und ich muß am Boden verfaulen. Oh, der Schmerz, Anton, der zer- reißt mir die Bruſt. Jedes Wort, das ich ſpreche, giebt mir einen Stich.“ So rede nicht, Wolf. Ruh’ ein wenig; verſuch’ ob Du ſchlummern magſt? Jch verlaſſe Dich nicht; ich weiche nicht von Dir. Gewiß nicht. „Jch muß reden! — Verſprich mir, Anton, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/160
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/160>, abgerufen am 21.11.2024.