"Jch denke eben so wenig von diesem Lager wieder aufzustehen, als mein gnädiges Freifräulein an's Heirathen denken will. Kaum noch ein paar Tage; ich spür's am Besten!"
Diese Versicherung wurde eben so leise gegeben, damit Anton sie nicht vernehmen möge, -- als die vorhergegangene Ottiliens laut gegeben worden war, -- vielleicht, damit er sie vernehmen möge!
Ottilie sah der Alten fest in's Auge, wie wenn sie dadurch von dem Gewicht der eben gemachten Prophe- zeiung sich überzeugen wollte; dann reichte sie ihr die Hand und sagte mit zurückgehaltenen Thränen (eine seltene Waare bei Tieletunke!): wenn wir uns dann nicht mehr wiedersehen sollten, alte Frau, so fahret wohl. Jch fürchte in den nächsten Tagen euch nicht mehr besuchen zu können, weil meine Gegen- wart oben nöthig sein wird. Gott geb' euch einen sanften Tod und er tröste den -- -- tröste die leben müssen! Jhr zieht in ein Reich, wo es keine Unter- schiede giebt, keine Rücksichten, wie hier auf Erden. Hebt mir ein leidlich Plätzchen in eurer Nähe auf, wenn sich's thun läßt.
So, sich die Augen trocknend, wollte sie scheiden, da trat Anton in's Zimmer, mit ängstlichen Mienen,
Die Vagabunden. I. 13
„Jch denke eben ſo wenig von dieſem Lager wieder aufzuſtehen, als mein gnaͤdiges Freifraͤulein an’s Heirathen denken will. Kaum noch ein paar Tage; ich ſpuͤr’s am Beſten!“
Dieſe Verſicherung wurde eben ſo leiſe gegeben, damit Anton ſie nicht vernehmen moͤge, — als die vorhergegangene Ottiliens laut gegeben worden war, — vielleicht, damit er ſie vernehmen moͤge!
Ottilie ſah der Alten feſt in’s Auge, wie wenn ſie dadurch von dem Gewicht der eben gemachten Prophe- zeiung ſich uͤberzeugen wollte; dann reichte ſie ihr die Hand und ſagte mit zuruͤckgehaltenen Thraͤnen (eine ſeltene Waare bei Tieletunke!): wenn wir uns dann nicht mehr wiederſehen ſollten, alte Frau, ſo fahret wohl. Jch fuͤrchte in den naͤchſten Tagen euch nicht mehr beſuchen zu koͤnnen, weil meine Gegen- wart oben noͤthig ſein wird. Gott geb’ euch einen ſanften Tod und er troͤſte den — — troͤſte die leben muͤſſen! Jhr zieht in ein Reich, wo es keine Unter- ſchiede giebt, keine Ruͤckſichten, wie hier auf Erden. Hebt mir ein leidlich Plaͤtzchen in eurer Naͤhe auf, wenn ſich’s thun laͤßt.
So, ſich die Augen trocknend, wollte ſie ſcheiden, da trat Anton in’s Zimmer, mit aͤngſtlichen Mienen,
Die Vagabunden. I. 13
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0209"n="193"/><p>„Jch denke eben ſo wenig von dieſem Lager wieder<lb/>
aufzuſtehen, als mein gnaͤdiges Freifraͤulein an’s<lb/>
Heirathen denken will. Kaum noch ein paar Tage;<lb/>
ich ſpuͤr’s am Beſten!“</p><lb/><p>Dieſe Verſicherung wurde eben ſo leiſe gegeben,<lb/>
damit Anton ſie nicht vernehmen moͤge, — als die<lb/>
vorhergegangene Ottiliens laut gegeben worden war,<lb/>— vielleicht, <hirendition="#g">damit</hi> er ſie vernehmen moͤge!</p><lb/><p>Ottilie ſah der Alten feſt in’s Auge, wie wenn ſie<lb/>
dadurch von dem Gewicht der eben gemachten Prophe-<lb/>
zeiung ſich uͤberzeugen wollte; dann reichte ſie ihr<lb/>
die Hand und ſagte mit zuruͤckgehaltenen Thraͤnen<lb/>
(eine ſeltene Waare bei Tieletunke!): wenn wir uns<lb/>
dann nicht mehr wiederſehen ſollten, alte Frau, ſo<lb/>
fahret wohl. Jch fuͤrchte in den naͤchſten Tagen euch<lb/>
nicht mehr beſuchen zu koͤnnen, weil meine Gegen-<lb/>
wart oben noͤthig ſein wird. Gott geb’ euch einen<lb/>ſanften Tod und er troͤſte den —— troͤſte die leben<lb/>
muͤſſen! Jhr zieht in ein Reich, wo es keine Unter-<lb/>ſchiede giebt, keine Ruͤckſichten, wie hier auf Erden.<lb/>
Hebt mir ein leidlich Plaͤtzchen in eurer Naͤhe auf,<lb/>
wenn ſich’s thun laͤßt.</p><lb/><p>So, ſich die Augen trocknend, wollte ſie ſcheiden,<lb/>
da trat Anton in’s Zimmer, mit aͤngſtlichen Mienen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Die Vagabunden. <hirendition="#aq">I.</hi> 13</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[193/0209]
„Jch denke eben ſo wenig von dieſem Lager wieder
aufzuſtehen, als mein gnaͤdiges Freifraͤulein an’s
Heirathen denken will. Kaum noch ein paar Tage;
ich ſpuͤr’s am Beſten!“
Dieſe Verſicherung wurde eben ſo leiſe gegeben,
damit Anton ſie nicht vernehmen moͤge, — als die
vorhergegangene Ottiliens laut gegeben worden war,
— vielleicht, damit er ſie vernehmen moͤge!
Ottilie ſah der Alten feſt in’s Auge, wie wenn ſie
dadurch von dem Gewicht der eben gemachten Prophe-
zeiung ſich uͤberzeugen wollte; dann reichte ſie ihr
die Hand und ſagte mit zuruͤckgehaltenen Thraͤnen
(eine ſeltene Waare bei Tieletunke!): wenn wir uns
dann nicht mehr wiederſehen ſollten, alte Frau, ſo
fahret wohl. Jch fuͤrchte in den naͤchſten Tagen euch
nicht mehr beſuchen zu koͤnnen, weil meine Gegen-
wart oben noͤthig ſein wird. Gott geb’ euch einen
ſanften Tod und er troͤſte den — — troͤſte die leben
muͤſſen! Jhr zieht in ein Reich, wo es keine Unter-
ſchiede giebt, keine Ruͤckſichten, wie hier auf Erden.
Hebt mir ein leidlich Plaͤtzchen in eurer Naͤhe auf,
wenn ſich’s thun laͤßt.
So, ſich die Augen trocknend, wollte ſie ſcheiden,
da trat Anton in’s Zimmer, mit aͤngſtlichen Mienen,
Die Vagabunden. I. 13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/209>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.