Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.sterbende Greisin krank nennen dürfen, empfand den Soll ich Dir ein hübsches Lied vorlesen aus dem "Nein, Anton, nein! Jetzt nicht. Jetzt mag ich Was denn, liebe Großmutter? "Die Sterbeglocke, mein Sohn. Aber die mei- 13 *
ſterbende Greiſin krank nennen duͤrfen, empfand den Soll ich Dir ein huͤbſches Lied vorleſen aus dem „Nein, Anton, nein! Jetzt nicht. Jetzt mag ich Was denn, liebe Großmutter? „Die Sterbeglocke, mein Sohn. Aber die mei- 13 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0211" n="195"/> ſterbende Greiſin krank nennen duͤrfen, empfand den<lb/> Wechſel der Witterung ſehr hart. Sie ſchlief mit<lb/> ſteter Unterbrechung und ſchreckte den von langen<lb/> Nachtwachen ſchwer ermuͤdeten Enkelſohn haͤufig durch<lb/> ihre Unruhe auf. Ganz gegen ihre ſonſtige duldſame<lb/> Art und Weiſe klagte ſie wiederholt, daß es gar nicht<lb/> Morgen werden wolle. Und doch war es kaum mit-<lb/> ten in der Nacht. Anton fuͤhlte ſeine Bruſt wie zuſam-<lb/> mengeſchnuͤrt. Angſt und Schlafſucht uͤbermannten<lb/> ihn abwechſelnd.</p><lb/> <p>Soll ich Dir ein huͤbſches Lied vorleſen aus dem<lb/> Geſangbuche? fragte er, um nur etwas zu ſprechen.</p><lb/> <p>„Nein, Anton, nein! Jetzt nicht. Jetzt mag ich<lb/> nichts hoͤren. Jetzt koͤnnt’ ich’s doch nicht faſſen. Jch<lb/> horche auf etwas Anders. Sei nur ſtill; horche nur<lb/> auch, es wird ſich bald melden.“</p><lb/> <p>Was denn, liebe Großmutter?</p><lb/> <p>„Die Sterbeglocke, mein Sohn. Aber die mei-<lb/> nige noch nicht. <hi rendition="#g">Mein</hi> Stuͤndlein hat noch nicht<lb/> geſchlagen. Jn einer ſo regnichten wuͤſten Nacht laͤßt<lb/> unſer Herrgott meine arme Seele nicht ſcheiden. Mir<lb/> vergoͤnnt er einen Sonnenſtrahl, auf dem ſie hinauf<lb/> ſchweben kann! .... Nein, Anton: der Baron — —<lb/> der Baron — hoͤrſt Du ihn? Er fluchte graͤßlich!“</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">13 *</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [195/0211]
ſterbende Greiſin krank nennen duͤrfen, empfand den
Wechſel der Witterung ſehr hart. Sie ſchlief mit
ſteter Unterbrechung und ſchreckte den von langen
Nachtwachen ſchwer ermuͤdeten Enkelſohn haͤufig durch
ihre Unruhe auf. Ganz gegen ihre ſonſtige duldſame
Art und Weiſe klagte ſie wiederholt, daß es gar nicht
Morgen werden wolle. Und doch war es kaum mit-
ten in der Nacht. Anton fuͤhlte ſeine Bruſt wie zuſam-
mengeſchnuͤrt. Angſt und Schlafſucht uͤbermannten
ihn abwechſelnd.
Soll ich Dir ein huͤbſches Lied vorleſen aus dem
Geſangbuche? fragte er, um nur etwas zu ſprechen.
„Nein, Anton, nein! Jetzt nicht. Jetzt mag ich
nichts hoͤren. Jetzt koͤnnt’ ich’s doch nicht faſſen. Jch
horche auf etwas Anders. Sei nur ſtill; horche nur
auch, es wird ſich bald melden.“
Was denn, liebe Großmutter?
„Die Sterbeglocke, mein Sohn. Aber die mei-
nige noch nicht. Mein Stuͤndlein hat noch nicht
geſchlagen. Jn einer ſo regnichten wuͤſten Nacht laͤßt
unſer Herrgott meine arme Seele nicht ſcheiden. Mir
vergoͤnnt er einen Sonnenſtrahl, auf dem ſie hinauf
ſchweben kann! .... Nein, Anton: der Baron — —
der Baron — hoͤrſt Du ihn? Er fluchte graͤßlich!“
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