ter guten Morgen wünschte, nahm er die fromme Fassung, welche aus ihren Zügen auf ihn strahlte, für neue Lebenskraft. Du bist besser, viel besser, jubelte das treue Herz ihr entgegen; der Schlaf hat Dich geheilt; Deine Krankheit ist gebrochen! Ganz anders schau'st Du darein, als heute Nacht. Gott sei gelobt, Du lebst und wirst noch lange leben!
"Sicherlich, mein Sohn," antwortete sie, "leben werd' ich. Und was noch mehr: mein wahres Leben wird erst beginnen. Davon später. Jetzt geh' und gieb dem Vieh draußen sein Bissel Futter. Vergiß auch die Turteltaube nicht. Die ist Tieletunke's Liebling."
All' jene kleinen Wirthschaftsmühen, die nun Anton's Fürsorge oblagen, nahmen ihn fast den gan- zen Tag über in Anspruch. Er ging ab und zu, nach jeder häuslichen Verrichtung wieder einmal zur Mut- ter laufend, um zu fragen, was sie wünsche und bedürfe.
Solch' ein Herbsttag ist kurz. Wenn seine Sonne sich einmal zu neigen beginnt, ist sie geschwind hinab. Das giebt die schönste Feierstunde im kleinen wohn- lichen Raume. Zu dieser fand sich auch Anton mit
ter guten Morgen wuͤnſchte, nahm er die fromme Faſſung, welche aus ihren Zuͤgen auf ihn ſtrahlte, fuͤr neue Lebenskraft. Du biſt beſſer, viel beſſer, jubelte das treue Herz ihr entgegen; der Schlaf hat Dich geheilt; Deine Krankheit iſt gebrochen! Ganz anders ſchau’ſt Du darein, als heute Nacht. Gott ſei gelobt, Du lebſt und wirſt noch lange leben!
„Sicherlich, mein Sohn,“ antwortete ſie, „leben werd’ ich. Und was noch mehr: mein wahres Leben wird erſt beginnen. Davon ſpaͤter. Jetzt geh’ und gieb dem Vieh draußen ſein Biſſel Futter. Vergiß auch die Turteltaube nicht. Die iſt Tieletunke’s Liebling.“
All’ jene kleinen Wirthſchaftsmuͤhen, die nun Anton’s Fuͤrſorge oblagen, nahmen ihn faſt den gan- zen Tag uͤber in Anſpruch. Er ging ab und zu, nach jeder haͤuslichen Verrichtung wieder einmal zur Mut- ter laufend, um zu fragen, was ſie wuͤnſche und beduͤrfe.
Solch’ ein Herbſttag iſt kurz. Wenn ſeine Sonne ſich einmal zu neigen beginnt, iſt ſie geſchwind hinab. Das giebt die ſchoͤnſte Feierſtunde im kleinen wohn- lichen Raume. Zu dieſer fand ſich auch Anton mit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0218"n="202"/>
ter guten Morgen wuͤnſchte, nahm er die fromme<lb/>
Faſſung, welche aus ihren Zuͤgen auf ihn ſtrahlte, fuͤr<lb/>
neue Lebenskraft. Du biſt beſſer, viel beſſer, jubelte<lb/>
das treue Herz ihr entgegen; der Schlaf hat Dich<lb/>
geheilt; Deine Krankheit iſt gebrochen! Ganz anders<lb/>ſchau’ſt Du darein, als heute Nacht. Gott ſei gelobt,<lb/>
Du lebſt und wirſt noch lange leben!</p><lb/><p>„Sicherlich, mein Sohn,“ antwortete ſie, „leben<lb/>
werd’ ich. Und was noch mehr: mein wahres Leben<lb/>
wird erſt beginnen. Davon ſpaͤter. Jetzt geh’ und<lb/>
gieb dem Vieh draußen ſein Biſſel Futter. Vergiß<lb/>
auch die Turteltaube nicht. Die iſt Tieletunke’s<lb/>
Liebling.“</p><lb/><p>All’ jene kleinen Wirthſchaftsmuͤhen, die nun<lb/>
Anton’s Fuͤrſorge oblagen, nahmen ihn faſt den gan-<lb/>
zen Tag uͤber in Anſpruch. Er ging ab und zu, nach<lb/>
jeder haͤuslichen Verrichtung wieder einmal zur Mut-<lb/>
ter laufend, um zu fragen, was ſie wuͤnſche und<lb/>
beduͤrfe.</p><lb/><p>Solch’ ein Herbſttag iſt kurz. Wenn ſeine Sonne<lb/>ſich einmal zu neigen beginnt, iſt ſie geſchwind hinab.<lb/>
Das giebt die ſchoͤnſte Feierſtunde im kleinen wohn-<lb/>
lichen Raume. Zu dieſer fand ſich auch Anton mit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[202/0218]
ter guten Morgen wuͤnſchte, nahm er die fromme
Faſſung, welche aus ihren Zuͤgen auf ihn ſtrahlte, fuͤr
neue Lebenskraft. Du biſt beſſer, viel beſſer, jubelte
das treue Herz ihr entgegen; der Schlaf hat Dich
geheilt; Deine Krankheit iſt gebrochen! Ganz anders
ſchau’ſt Du darein, als heute Nacht. Gott ſei gelobt,
Du lebſt und wirſt noch lange leben!
„Sicherlich, mein Sohn,“ antwortete ſie, „leben
werd’ ich. Und was noch mehr: mein wahres Leben
wird erſt beginnen. Davon ſpaͤter. Jetzt geh’ und
gieb dem Vieh draußen ſein Biſſel Futter. Vergiß
auch die Turteltaube nicht. Die iſt Tieletunke’s
Liebling.“
All’ jene kleinen Wirthſchaftsmuͤhen, die nun
Anton’s Fuͤrſorge oblagen, nahmen ihn faſt den gan-
zen Tag uͤber in Anſpruch. Er ging ab und zu, nach
jeder haͤuslichen Verrichtung wieder einmal zur Mut-
ter laufend, um zu fragen, was ſie wuͤnſche und
beduͤrfe.
Solch’ ein Herbſttag iſt kurz. Wenn ſeine Sonne
ſich einmal zu neigen beginnt, iſt ſie geſchwind hinab.
Das giebt die ſchoͤnſte Feierſtunde im kleinen wohn-
lichen Raume. Zu dieſer fand ſich auch Anton mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/218>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.