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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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sich um Anton und seine außergewöhnliche Aufregung
zu bekümmern. Nur Ottilien entging nicht, was ihn
bewegte. Sie sah, wie er mit verklärtem Antlitz an
den Lippen des Redenden hing, und sie fand ihn, wie
er gleichsam in eine neue Lebens-Epoche gehoben,
aus tiefen Augen schaute, wunderbar schön. Jhrem
wunderlich-trotzigen Charakter sagte eine gewisse Noth-
wehr gegen solche Bewunderung zu, deshalb zerstörte
sie sogleich absichtlich den Eindruck, den der Anblick
des Korbmacherjungens auf sie, wider ihren Willen,
hervorgebracht, indem sie spöttisch fragte: ob denn der
Herr Musikdirektor über seinen eigenen unbedeuten-
den Schicksalen den bedeutenden jugendlichen Kunst-
genossen gänzlich vergessen wolle, der ja auf seinen
Wunsch hierhergerufen worden wäre, um ihm vorzu-
spielen?

Carino lachte laut auf, hemmte den Strom seiner
Rede und zeigte das lebhafteste Verlangen, Anton zu
hören. Rubs reichte diesem seine armselige Geige,
aber schon beim ersten Griff platzten die Saiten. Sehr
natürlich: Ottilie hatte alle vier mit ihrer kleinen
Etuischeere unbemerkt durchschnitten. Das Gelächter
wurde allgemein. Anton, in sprachloser Verwirrung,
starrte Ottilien an, als ob er sie befragen wollte:

Die Vagabunden. I. 5

ſich um Anton und ſeine außergewoͤhnliche Aufregung
zu bekuͤmmern. Nur Ottilien entging nicht, was ihn
bewegte. Sie ſah, wie er mit verklaͤrtem Antlitz an
den Lippen des Redenden hing, und ſie fand ihn, wie
er gleichſam in eine neue Lebens-Epoche gehoben,
aus tiefen Augen ſchaute, wunderbar ſchoͤn. Jhrem
wunderlich-trotzigen Charakter ſagte eine gewiſſe Noth-
wehr gegen ſolche Bewunderung zu, deshalb zerſtoͤrte
ſie ſogleich abſichtlich den Eindruck, den der Anblick
des Korbmacherjungens auf ſie, wider ihren Willen,
hervorgebracht, indem ſie ſpoͤttiſch fragte: ob denn der
Herr Muſikdirektor uͤber ſeinen eigenen unbedeuten-
den Schickſalen den bedeutenden jugendlichen Kunſt-
genoſſen gaͤnzlich vergeſſen wolle, der ja auf ſeinen
Wunſch hierhergerufen worden waͤre, um ihm vorzu-
ſpielen?

Carino lachte laut auf, hemmte den Strom ſeiner
Rede und zeigte das lebhafteſte Verlangen, Anton zu
hoͤren. Rubs reichte dieſem ſeine armſelige Geige,
aber ſchon beim erſten Griff platzten die Saiten. Sehr
natuͤrlich: Ottilie hatte alle vier mit ihrer kleinen
Etuiſcheere unbemerkt durchſchnitten. Das Gelaͤchter
wurde allgemein. Anton, in ſprachloſer Verwirrung,
ſtarrte Ottilien an, als ob er ſie befragen wollte:

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[65/0081] ſich um Anton und ſeine außergewoͤhnliche Aufregung zu bekuͤmmern. Nur Ottilien entging nicht, was ihn bewegte. Sie ſah, wie er mit verklaͤrtem Antlitz an den Lippen des Redenden hing, und ſie fand ihn, wie er gleichſam in eine neue Lebens-Epoche gehoben, aus tiefen Augen ſchaute, wunderbar ſchoͤn. Jhrem wunderlich-trotzigen Charakter ſagte eine gewiſſe Noth- wehr gegen ſolche Bewunderung zu, deshalb zerſtoͤrte ſie ſogleich abſichtlich den Eindruck, den der Anblick des Korbmacherjungens auf ſie, wider ihren Willen, hervorgebracht, indem ſie ſpoͤttiſch fragte: ob denn der Herr Muſikdirektor uͤber ſeinen eigenen unbedeuten- den Schickſalen den bedeutenden jugendlichen Kunſt- genoſſen gaͤnzlich vergeſſen wolle, der ja auf ſeinen Wunſch hierhergerufen worden waͤre, um ihm vorzu- ſpielen? Carino lachte laut auf, hemmte den Strom ſeiner Rede und zeigte das lebhafteſte Verlangen, Anton zu hoͤren. Rubs reichte dieſem ſeine armſelige Geige, aber ſchon beim erſten Griff platzten die Saiten. Sehr natuͤrlich: Ottilie hatte alle vier mit ihrer kleinen Etuiſcheere unbemerkt durchſchnitten. Das Gelaͤchter wurde allgemein. Anton, in ſprachloſer Verwirrung, ſtarrte Ottilien an, als ob er ſie befragen wollte: Die Vagabunden. I. 5

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/81>, abgerufen am 18.12.2024.