gen der Drang nach ungebundenem Leben, die tadelnswerthe Sehnsucht ihren häuslichen Verhält- nissen zu entfliehen, heftiger sein mag, als der eigent- liche innere Beruf zur Kunst, daß folglich auf diese Weise Viele die Bretter besteigen, ohne edleren An- trieb, -- ja ohne wahre Neigung und Lust zur Sache. Desto schlimmer für Jene! Aber paßt denn das auf mich? Jch bin ja frei, ungebunden; treibe ja schon ein Handwerk, welches gleichsam außer allen Schran- ken des bürgerlichen Lebens liegt. Jch, wenn ich mich dem Theater widme, trete so zu sagen in's geregelte Dasein zurück; ich beschränke mich selbst, indem ich darauf hinarbeiten will, aus einem länderdurchstrei- fenden Vagabunden ein solider Künstler zu werden. Was Jhren Beamten und ernsten Geschäftsmännern ein Tummelplatz ungebundener Willkühr erscheint: die Bühne -- mir, dem Aufwärter in einer Mena- gerie, dem Eleven einer Reiterbande, -- mir wird sie zum Tempel, zum Heiligthume, wo ich die Gottheit und deren Nähe ahnen darf! Von dieser Seite kann mich also der Vorwurf des Leichtsinns gewiß nicht treffen. Von der andern Seite aber, was Jhren Zweifel an meinem Talente gilt, -- reden Sie auf- richtig: ist Jhre Berechtigung mir dieses abzusprechen,
gen der Drang nach ungebundenem Leben, die tadelnswerthe Sehnſucht ihren haͤuslichen Verhaͤlt- niſſen zu entfliehen, heftiger ſein mag, als der eigent- liche innere Beruf zur Kunſt, daß folglich auf dieſe Weiſe Viele die Bretter beſteigen, ohne edleren An- trieb, — ja ohne wahre Neigung und Luſt zur Sache. Deſto ſchlimmer fuͤr Jene! Aber paßt denn das auf mich? Jch bin ja frei, ungebunden; treibe ja ſchon ein Handwerk, welches gleichſam außer allen Schran- ken des buͤrgerlichen Lebens liegt. Jch, wenn ich mich dem Theater widme, trete ſo zu ſagen in’s geregelte Daſein zuruͤck; ich beſchraͤnke mich ſelbſt, indem ich darauf hinarbeiten will, aus einem laͤnderdurchſtrei- fenden Vagabunden ein ſolider Kuͤnſtler zu werden. Was Jhren Beamten und ernſten Geſchaͤftsmaͤnnern ein Tummelplatz ungebundener Willkuͤhr erſcheint: die Buͤhne — mir, dem Aufwaͤrter in einer Mena- gerie, dem Eleven einer Reiterbande, — mir wird ſie zum Tempel, zum Heiligthume, wo ich die Gottheit und deren Naͤhe ahnen darf! Von dieſer Seite kann mich alſo der Vorwurf des Leichtſinns gewiß nicht treffen. Von der andern Seite aber, was Jhren Zweifel an meinem Talente gilt, — reden Sie auf- richtig: iſt Jhre Berechtigung mir dieſes abzuſprechen,
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gen der Drang nach ungebundenem Leben, die
tadelnswerthe Sehnſucht ihren haͤuslichen Verhaͤlt-
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liche innere Beruf zur Kunſt, daß folglich auf dieſe
Weiſe Viele die Bretter beſteigen, ohne edleren An-
trieb, — ja ohne wahre Neigung und Luſt zur Sache.
Deſto ſchlimmer fuͤr Jene! Aber paßt denn das auf
mich? Jch bin ja frei, ungebunden; treibe ja ſchon
ein Handwerk, welches gleichſam außer allen Schran-
ken des buͤrgerlichen Lebens liegt. Jch, wenn ich mich
dem Theater widme, trete ſo zu ſagen in’s geregelte
Daſein zuruͤck; ich beſchraͤnke mich ſelbſt, indem ich
darauf hinarbeiten will, aus einem laͤnderdurchſtrei-
fenden Vagabunden ein ſolider Kuͤnſtler zu werden.
Was Jhren Beamten und ernſten Geſchaͤftsmaͤnnern
ein Tummelplatz ungebundener Willkuͤhr erſcheint:
die Buͤhne — mir, dem Aufwaͤrter in einer Mena-
gerie, dem Eleven einer Reiterbande, — mir wird ſie
zum Tempel, zum Heiligthume, wo ich die Gottheit
und deren Naͤhe ahnen darf! Von dieſer Seite kann
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/110>, abgerufen am 27.11.2024.
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