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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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seine Kunst aufgerieben; der in jungen Jahren ein
Greis dahin welkt; ein Mensch, der ein Spielball
seiner eigenen Nerven, keine Gewalt mehr hat über
sich selbst, keine moralische Kraft sich zu beherrschen;
der sich mit Beifall überschüttet hört, wenn er an sich
zweifelt; den sie kalt vorübergehen lassen, wenn er
den Gott in sich fühlt; der um Beifall buhlen muß,
welchen er verachtet, -- und ohne welchen er doch
nicht leben könnte, weil er nur aus ihm Lebensluft
athmet! Der das Publikum geringschätzt, weil es
kein Urtheil hat, weil es niemals weiß was es will,
weil es dumm ist, -- und der diesem dummen
Publikum dient, wie der Negersklave seinem Pflanzer;
der keuchend bis zur Zerstörung aller Organe, matt
bis zum Tode sich hinschleppt vor die Lampen, die
ihn abscheiden von der bewegten, thörichten, unbestän-
digen, undankbaren Masse. -- Undankbar, ja undank-
bar sind sie. Oh Schande und Schmach! Wenn ich
halb sterbend in einem Winkel lag; wenn kein
Fünkchen mehr glimmen wollte aus dem zerrütteten
Leibe; wenn ich unfähig beinahe mich zu regen, flüs-
siges Feuer hinabstürzte, daß es mich brennend durch-
dringe, daß ich auf eine Stunde nur emporleuchten
könne, sie zu entflammen mit meiner Glut, -- für

ſeine Kunſt aufgerieben; der in jungen Jahren ein
Greis dahin welkt; ein Menſch, der ein Spielball
ſeiner eigenen Nerven, keine Gewalt mehr hat uͤber
ſich ſelbſt, keine moraliſche Kraft ſich zu beherrſchen;
der ſich mit Beifall uͤberſchuͤttet hoͤrt, wenn er an ſich
zweifelt; den ſie kalt voruͤbergehen laſſen, wenn er
den Gott in ſich fuͤhlt; der um Beifall buhlen muß,
welchen er verachtet, — und ohne welchen er doch
nicht leben koͤnnte, weil er nur aus ihm Lebensluft
athmet! Der das Publikum geringſchaͤtzt, weil es
kein Urtheil hat, weil es niemals weiß was es will,
weil es dumm iſt, — und der dieſem dummen
Publikum dient, wie der Negerſklave ſeinem Pflanzer;
der keuchend bis zur Zerſtoͤrung aller Organe, matt
bis zum Tode ſich hinſchleppt vor die Lampen, die
ihn abſcheiden von der bewegten, thoͤrichten, unbeſtaͤn-
digen, undankbaren Maſſe. — Undankbar, ja undank-
bar ſind ſie. Oh Schande und Schmach! Wenn ich
halb ſterbend in einem Winkel lag; wenn kein
Fuͤnkchen mehr glimmen wollte aus dem zerruͤtteten
Leibe; wenn ich unfaͤhig beinahe mich zu regen, fluͤſ-
ſiges Feuer hinabſtuͤrzte, daß es mich brennend durch-
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[110/0112] ſeine Kunſt aufgerieben; der in jungen Jahren ein Greis dahin welkt; ein Menſch, der ein Spielball ſeiner eigenen Nerven, keine Gewalt mehr hat uͤber ſich ſelbſt, keine moraliſche Kraft ſich zu beherrſchen; der ſich mit Beifall uͤberſchuͤttet hoͤrt, wenn er an ſich zweifelt; den ſie kalt voruͤbergehen laſſen, wenn er den Gott in ſich fuͤhlt; der um Beifall buhlen muß, welchen er verachtet, — und ohne welchen er doch nicht leben koͤnnte, weil er nur aus ihm Lebensluft athmet! Der das Publikum geringſchaͤtzt, weil es kein Urtheil hat, weil es niemals weiß was es will, weil es dumm iſt, — und der dieſem dummen Publikum dient, wie der Negerſklave ſeinem Pflanzer; der keuchend bis zur Zerſtoͤrung aller Organe, matt bis zum Tode ſich hinſchleppt vor die Lampen, die ihn abſcheiden von der bewegten, thoͤrichten, unbeſtaͤn- digen, undankbaren Maſſe. — Undankbar, ja undank- bar ſind ſie. Oh Schande und Schmach! Wenn ich halb ſterbend in einem Winkel lag; wenn kein Fuͤnkchen mehr glimmen wollte aus dem zerruͤtteten Leibe; wenn ich unfaͤhig beinahe mich zu regen, fluͤſ- ſiges Feuer hinabſtuͤrzte, daß es mich brennend durch- dringe, daß ich auf eine Stunde nur emporleuchten koͤnne, ſie zu entflammen mit meiner Glut, — fuͤr

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/112>, abgerufen am 27.11.2024.