Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Persönlichkeiten soll ich ihnen zeigen, soll diese vor
ihnen schaffen, entfalten, zerstören! Soll vor ihnen
grollen, rasen, sterben! Soll Alles mitempfinden, mit
durchleben, -- blos weil sie ihr Legegeld an der Kasse
entrichtet? -- und ich soll keiner großen Leidenschaften
in mir selbst fähig, soll derselben nicht bedürftig, soll
ein Spießbürger sein, wie sie? Soll fein-säuberlich
heimgehen, unter meine Decke kriechen und Fliederthee
saufen, wenn meine Pulse noch glühen, mein Herz
noch tobt, meine Nerven zu zerreißen drohen? Die
großen Leidenschaften sind es ja, ihr ewigen Phili-
ster, sie allein, die den großen Schauspieler geben! --
Ein großer Schauspieler! Ha, ich muß lachen. Was
ist er ihnen? Der Affe, der für sie springt. Jhr
Aplaus ist die Peitsche, die ihn springen macht. Und
dieser Aplaus nach dem ich trachte, dessen ich bedarf,
wenn ich gut spielen soll, wie des geistigen Getränkes,
wenn ich nicht zusammen sinken will! -- Wie ver-
theilen sie ihn? Wem spenden sie ihn am lautesten?
am häufigsten? -- Laß mich's nicht denken, Du
gutes, unerfahrenes, leichtgläubiges Kind! Laß mich
schweigen!"

Bleich und stumm stand Anton vor dem zürnen-
den Künstler, der nur nach und nach wieder einige

Perſoͤnlichkeiten ſoll ich ihnen zeigen, ſoll dieſe vor
ihnen ſchaffen, entfalten, zerſtoͤren! Soll vor ihnen
grollen, raſen, ſterben! Soll Alles mitempfinden, mit
durchleben, — blos weil ſie ihr Legegeld an der Kaſſe
entrichtet? — und ich ſoll keiner großen Leidenſchaften
in mir ſelbſt faͤhig, ſoll derſelben nicht beduͤrftig, ſoll
ein Spießbuͤrger ſein, wie ſie? Soll fein-ſaͤuberlich
heimgehen, unter meine Decke kriechen und Fliederthee
ſaufen, wenn meine Pulſe noch gluͤhen, mein Herz
noch tobt, meine Nerven zu zerreißen drohen? Die
großen Leidenſchaften ſind es ja, ihr ewigen Phili-
ſter, ſie allein, die den großen Schauſpieler geben! —
Ein großer Schauſpieler! Ha, ich muß lachen. Was
iſt er ihnen? Der Affe, der fuͤr ſie ſpringt. Jhr
Aplaus iſt die Peitſche, die ihn ſpringen macht. Und
dieſer Aplaus nach dem ich trachte, deſſen ich bedarf,
wenn ich gut ſpielen ſoll, wie des geiſtigen Getraͤnkes,
wenn ich nicht zuſammen ſinken will! — Wie ver-
theilen ſie ihn? Wem ſpenden ſie ihn am lauteſten?
am haͤufigſten? — Laß mich’s nicht denken, Du
gutes, unerfahrenes, leichtglaͤubiges Kind! Laß mich
ſchweigen!“

Bleich und ſtumm ſtand Anton vor dem zuͤrnen-
den Kuͤnſtler, der nur nach und nach wieder einige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0114" n="112"/>
Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeiten &#x017F;oll ich ihnen zeigen, &#x017F;oll die&#x017F;e vor<lb/>
ihnen &#x017F;chaffen, entfalten, zer&#x017F;to&#x0364;ren! Soll vor ihnen<lb/>
grollen, ra&#x017F;en, &#x017F;terben! Soll Alles mitempfinden, mit<lb/>
durchleben, &#x2014; blos weil &#x017F;ie ihr Legegeld an der Ka&#x017F;&#x017F;e<lb/>
entrichtet? &#x2014; und <hi rendition="#g">ich</hi> &#x017F;oll keiner großen Leiden&#x017F;chaften<lb/>
in mir &#x017F;elb&#x017F;t fa&#x0364;hig, &#x017F;oll der&#x017F;elben nicht bedu&#x0364;rftig, &#x017F;oll<lb/>
ein Spießbu&#x0364;rger &#x017F;ein, wie &#x017F;ie? Soll fein-&#x017F;a&#x0364;uberlich<lb/>
heimgehen, unter meine Decke kriechen und Fliederthee<lb/>
&#x017F;aufen, wenn meine Pul&#x017F;e noch glu&#x0364;hen, mein Herz<lb/>
noch tobt, meine Nerven zu zerreißen drohen? Die<lb/>
großen Leiden&#x017F;chaften <hi rendition="#g">&#x017F;ind</hi> es ja, ihr ewigen Phili-<lb/>
&#x017F;ter, &#x017F;ie allein, die den großen Schau&#x017F;pieler geben! &#x2014;<lb/>
Ein großer Schau&#x017F;pieler! Ha, ich muß lachen. Was<lb/>
i&#x017F;t er ihnen? Der Affe, der fu&#x0364;r &#x017F;ie &#x017F;pringt. Jhr<lb/>
Aplaus i&#x017F;t die Peit&#x017F;che, die ihn &#x017F;pringen macht. Und<lb/>
die&#x017F;er Aplaus nach dem ich trachte, de&#x017F;&#x017F;en ich bedarf,<lb/>
wenn ich gut &#x017F;pielen &#x017F;oll, wie des gei&#x017F;tigen Getra&#x0364;nkes,<lb/>
wenn ich nicht zu&#x017F;ammen &#x017F;inken will! &#x2014; Wie ver-<lb/>
theilen &#x017F;ie ihn? Wem &#x017F;penden &#x017F;ie ihn am laute&#x017F;ten?<lb/>
am ha&#x0364;ufig&#x017F;ten? &#x2014; Laß mich&#x2019;s nicht denken, Du<lb/>
gutes, unerfahrenes, leichtgla&#x0364;ubiges Kind! Laß mich<lb/>
&#x017F;chweigen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bleich und &#x017F;tumm &#x017F;tand Anton vor dem zu&#x0364;rnen-<lb/>
den Ku&#x0364;n&#x017F;tler, der nur nach und nach wieder einige<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0114] Perſoͤnlichkeiten ſoll ich ihnen zeigen, ſoll dieſe vor ihnen ſchaffen, entfalten, zerſtoͤren! Soll vor ihnen grollen, raſen, ſterben! Soll Alles mitempfinden, mit durchleben, — blos weil ſie ihr Legegeld an der Kaſſe entrichtet? — und ich ſoll keiner großen Leidenſchaften in mir ſelbſt faͤhig, ſoll derſelben nicht beduͤrftig, ſoll ein Spießbuͤrger ſein, wie ſie? Soll fein-ſaͤuberlich heimgehen, unter meine Decke kriechen und Fliederthee ſaufen, wenn meine Pulſe noch gluͤhen, mein Herz noch tobt, meine Nerven zu zerreißen drohen? Die großen Leidenſchaften ſind es ja, ihr ewigen Phili- ſter, ſie allein, die den großen Schauſpieler geben! — Ein großer Schauſpieler! Ha, ich muß lachen. Was iſt er ihnen? Der Affe, der fuͤr ſie ſpringt. Jhr Aplaus iſt die Peitſche, die ihn ſpringen macht. Und dieſer Aplaus nach dem ich trachte, deſſen ich bedarf, wenn ich gut ſpielen ſoll, wie des geiſtigen Getraͤnkes, wenn ich nicht zuſammen ſinken will! — Wie ver- theilen ſie ihn? Wem ſpenden ſie ihn am lauteſten? am haͤufigſten? — Laß mich’s nicht denken, Du gutes, unerfahrenes, leichtglaͤubiges Kind! Laß mich ſchweigen!“ Bleich und ſtumm ſtand Anton vor dem zuͤrnen- den Kuͤnſtler, der nur nach und nach wieder einige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/114
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/114>, abgerufen am 27.11.2024.