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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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wenig Worte zu machen; sie ließ auch mich die Auf-
gaben stellen. Herr Jeantet, nicht wissend, daß sie
eine Britin ist und nur spärlich Deutsch redet, oder
Französisch, wendete sich auch an sie und schlug ihr
vor, seinen Professor auf eine noch schwierigere Probe
zu stellen, indem sie ihm anbefehle, er solle den Namen
Desjenigen zusammentragen, welcher ihr "der Liebste
sei." Er sagte ihr das in seinem Schweizer-Franzö-
sisch und ich vermuthete, sie verstände den Sinn sei-
ner Anrede nicht. Um so mehr mußte ich erstaunen,
als sie dem Vogel mit englischen Ausdrücken zurief,
was Herr Jeantet ihr vorgeschlagen. Sie hatte ihn
also doch verstanden! Jetzt war ich nur voll Erwartung,
ob nun der Zunamen meines Herrn erscheinen, oder
ob Herr Jeantet dessen Taufnamen (Hyacinthe) wissen
werde? Doch schon der erste Sprung den der kleine
Professor der an ihn ergangenen Aufforderung zu
Folge nach der Buchstaben-Reihe that, überzeugte
mich, daß weder von einem V. noch von einem H.
die Rede sei, daß vielmehr der harmlos aussehende
Schweizer eine Schelmerei im Sinne habe, die er
wahrscheinlich für ganz unschuldig und unverfänglich
hielt! Der Vogel holte ein großes A. herbei. Es
dauerte nicht zwei Minuten, so stand ich groß und

wenig Worte zu machen; ſie ließ auch mich die Auf-
gaben ſtellen. Herr Jeantet, nicht wiſſend, daß ſie
eine Britin iſt und nur ſpaͤrlich Deutſch redet, oder
Franzoͤſiſch, wendete ſich auch an ſie und ſchlug ihr
vor, ſeinen Profeſſor auf eine noch ſchwierigere Probe
zu ſtellen, indem ſie ihm anbefehle, er ſolle den Namen
Desjenigen zuſammentragen, welcher ihr „der Liebſte
ſei.“ Er ſagte ihr das in ſeinem Schweizer-Franzoͤ-
ſiſch und ich vermuthete, ſie verſtaͤnde den Sinn ſei-
ner Anrede nicht. Um ſo mehr mußte ich erſtaunen,
als ſie dem Vogel mit engliſchen Ausdruͤcken zurief,
was Herr Jeantet ihr vorgeſchlagen. Sie hatte ihn
alſo doch verſtanden! Jetzt war ich nur voll Erwartung,
ob nun der Zunamen meines Herrn erſcheinen, oder
ob Herr Jeantet deſſen Taufnamen (Hyacinthe) wiſſen
werde? Doch ſchon der erſte Sprung den der kleine
Profeſſor der an ihn ergangenen Aufforderung zu
Folge nach der Buchſtaben-Reihe that, uͤberzeugte
mich, daß weder von einem V. noch von einem H.
die Rede ſei, daß vielmehr der harmlos ausſehende
Schweizer eine Schelmerei im Sinne habe, die er
wahrſcheinlich fuͤr ganz unſchuldig und unverfaͤnglich
hielt! Der Vogel holte ein großes A. herbei. Es
dauerte nicht zwei Minuten, ſo ſtand ich groß und

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[238/0240] wenig Worte zu machen; ſie ließ auch mich die Auf- gaben ſtellen. Herr Jeantet, nicht wiſſend, daß ſie eine Britin iſt und nur ſpaͤrlich Deutſch redet, oder Franzoͤſiſch, wendete ſich auch an ſie und ſchlug ihr vor, ſeinen Profeſſor auf eine noch ſchwierigere Probe zu ſtellen, indem ſie ihm anbefehle, er ſolle den Namen Desjenigen zuſammentragen, welcher ihr „der Liebſte ſei.“ Er ſagte ihr das in ſeinem Schweizer-Franzoͤ- ſiſch und ich vermuthete, ſie verſtaͤnde den Sinn ſei- ner Anrede nicht. Um ſo mehr mußte ich erſtaunen, als ſie dem Vogel mit engliſchen Ausdruͤcken zurief, was Herr Jeantet ihr vorgeſchlagen. Sie hatte ihn alſo doch verſtanden! Jetzt war ich nur voll Erwartung, ob nun der Zunamen meines Herrn erſcheinen, oder ob Herr Jeantet deſſen Taufnamen (Hyacinthe) wiſſen werde? Doch ſchon der erſte Sprung den der kleine Profeſſor der an ihn ergangenen Aufforderung zu Folge nach der Buchſtaben-Reihe that, uͤberzeugte mich, daß weder von einem V. noch von einem H. die Rede ſei, daß vielmehr der harmlos ausſehende Schweizer eine Schelmerei im Sinne habe, die er wahrſcheinlich fuͤr ganz unſchuldig und unverfaͤnglich hielt! Der Vogel holte ein großes A. herbei. Es dauerte nicht zwei Minuten, ſo ſtand ich groß und

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/240>, abgerufen am 23.11.2024.