guten Rufe und folglich seiner Ruhe gefährlich werden könne? Gab ich ihm nicht deutlich genug zu verstehen, daß mir selbst nichts Gutes ahne? Wider- setzt' ich mich nicht, so weit meine Kraft reichte, seinen Entschließungen? Und er hörte nicht darauf; er lachte mich und meine kindische Schüchternheit aus. Auf ihn fällt die Schuld zurück; auf ihn allein!"
Wenn Anton nicht gewesen wäre, wofür wir ihn kennen: ein edles Herz, ein dankbar-treues Gemüth; und wenn das jugendliche Feuer in ihm nicht durch Adelens unerklärliches Verschwinden und durch seine Sehnsucht sie wieder zu finden, sich nach Jener gerichtet, mithin allem Sinnen und Trachten ein ideales Ziel angewiesen hätte, welches seine Phantasie in Anspruch nahm, ... dann war das blonde Käthchen ein verlorenes Weib; dann wurde ein guter, talent- voller, redlicher Mensch zum schmählich betrogenen und verrathenen Ehemann.
Der arme Vlämert! Bei allen seinen anatomischen Studien, die mit der von ihm zur Vollendung gesteigerten Kunstfertigkeit Hand in Hand gingen, verstand er doch so wenig vom innern Organismus des menschlichen Herzens, wie treffend sein Griffel es sonst immer nachzubilden wußte! Er fühlte sich so
guten Rufe und folglich ſeiner Ruhe gefaͤhrlich werden koͤnne? Gab ich ihm nicht deutlich genug zu verſtehen, daß mir ſelbſt nichts Gutes ahne? Wider- ſetzt’ ich mich nicht, ſo weit meine Kraft reichte, ſeinen Entſchließungen? Und er hoͤrte nicht darauf; er lachte mich und meine kindiſche Schuͤchternheit aus. Auf ihn faͤllt die Schuld zuruͤck; auf ihn allein!“
Wenn Anton nicht geweſen waͤre, wofuͤr wir ihn kennen: ein edles Herz, ein dankbar-treues Gemuͤth; und wenn das jugendliche Feuer in ihm nicht durch Adelens unerklaͤrliches Verſchwinden und durch ſeine Sehnſucht ſie wieder zu finden, ſich nach Jener gerichtet, mithin allem Sinnen und Trachten ein ideales Ziel angewieſen haͤtte, welches ſeine Phantaſie in Anſpruch nahm, ... dann war das blonde Kaͤthchen ein verlorenes Weib; dann wurde ein guter, talent- voller, redlicher Menſch zum ſchmaͤhlich betrogenen und verrathenen Ehemann.
Der arme Vlaͤmert! Bei allen ſeinen anatomiſchen Studien, die mit der von ihm zur Vollendung geſteigerten Kunſtfertigkeit Hand in Hand gingen, verſtand er doch ſo wenig vom innern Organismus des menſchlichen Herzens, wie treffend ſein Griffel es ſonſt immer nachzubilden wußte! Er fuͤhlte ſich ſo
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guten Rufe und folglich ſeiner Ruhe gefaͤhrlich
werden koͤnne? Gab ich ihm nicht deutlich genug zu
verſtehen, daß mir ſelbſt nichts Gutes ahne? Wider-
ſetzt’ ich mich nicht, ſo weit meine Kraft reichte,
ſeinen Entſchließungen? Und er hoͤrte nicht darauf;
er lachte mich und meine kindiſche Schuͤchternheit aus.
Auf ihn faͤllt die Schuld zuruͤck; auf ihn allein!“
Wenn Anton nicht geweſen waͤre, wofuͤr wir ihn
kennen: ein edles Herz, ein dankbar-treues Gemuͤth;
und wenn das jugendliche Feuer in ihm nicht durch
Adelens unerklaͤrliches Verſchwinden und durch ſeine
Sehnſucht ſie wieder zu finden, ſich nach Jener
gerichtet, mithin allem Sinnen und Trachten ein
ideales Ziel angewieſen haͤtte, welches ſeine Phantaſie
in Anſpruch nahm, ... dann war das blonde Kaͤthchen
ein verlorenes Weib; dann wurde ein guter, talent-
voller, redlicher Menſch zum ſchmaͤhlich betrogenen
und verrathenen Ehemann.
Der arme Vlaͤmert! Bei allen ſeinen anatomiſchen
Studien, die mit der von ihm zur Vollendung
geſteigerten Kunſtfertigkeit Hand in Hand gingen,
verſtand er doch ſo wenig vom innern Organismus
des menſchlichen Herzens, wie treffend ſein Griffel
es ſonſt immer nachzubilden wußte! Er fuͤhlte ſich ſo
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/249>, abgerufen am 23.11.2024.
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