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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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"Das will ich gern," sagte der Knabe, und steckte
den blanken Thaler ein.

Der Umschlag enthielt nichts als die Bezeichnung
einer Haus- und einer Thüren-Nummer in der
Straße d'Enfer, mit der Angabe: "Heute Abend,
zwischen elf und zwölf Uhr. Parole für die Portiere:
"le vannier." -- Vorausgesetzt, daß A. sich nicht
mehr vor Gespenstern fürchtet!"

Vor Gespenstern fürchtet? wiederholte Anton,
nachdem er die kleinen, mit Bleistift schnell geschrie-
benen Zeilen, mehr errathen, als gelesen. Vor
Gespenstern? -- Hab' ich mich denn je? ... Freilich,
einmal! Nur einmal! Aber wer kann darum wissen?
Wer kann im Fuchswinkel meine Thorheit belauscht
und das Gedächtniß daran länger als drei Jahre
hindurch bewahrt haben? Das ist ja mehr wie wun-
derbar! Jch wähnte damals den schwarzen Wolf-
gang zu erblicken, jagte aber mein Phantom in die
Flucht .... Herr des Himmels, der schwarze Wolf!?
Da ist die braune Bärbel nicht weit. Ja,
wahrhaftig, wo waren meine fünf Sinne! Sie ist
es! So gewiß ich lebe, sie ist es! Blind muß ich
gewesen sein, sie nicht zu erkennen. Weiße Schminke
mag sie aufgelegt haben, ihre Haut zu bleichen; sonst

„Das will ich gern,“ ſagte der Knabe, und ſteckte
den blanken Thaler ein.

Der Umſchlag enthielt nichts als die Bezeichnung
einer Haus- und einer Thuͤren-Nummer in der
Straße d’Enfer, mit der Angabe: „Heute Abend,
zwiſchen elf und zwoͤlf Uhr. Parole fuͤr die Portiere:
„le vannier.“ — Vorausgeſetzt, daß A. ſich nicht
mehr vor Geſpenſtern fuͤrchtet!“

Vor Geſpenſtern fuͤrchtet? wiederholte Anton,
nachdem er die kleinen, mit Bleiſtift ſchnell geſchrie-
benen Zeilen, mehr errathen, als geleſen. Vor
Geſpenſtern? — Hab’ ich mich denn je? ... Freilich,
einmal! Nur einmal! Aber wer kann darum wiſſen?
Wer kann im Fuchswinkel meine Thorheit belauſcht
und das Gedaͤchtniß daran laͤnger als drei Jahre
hindurch bewahrt haben? Das iſt ja mehr wie wun-
derbar! Jch waͤhnte damals den ſchwarzen Wolf-
gang zu erblicken, jagte aber mein Phantom in die
Flucht .... Herr des Himmels, der ſchwarze Wolf!?
Da iſt die braune Baͤrbel nicht weit. Ja,
wahrhaftig, wo waren meine fuͤnf Sinne! Sie iſt
es! So gewiß ich lebe, ſie iſt es! Blind muß ich
geweſen ſein, ſie nicht zu erkennen. Weiße Schminke
mag ſie aufgelegt haben, ihre Haut zu bleichen; ſonſt

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[274/0276] „Das will ich gern,“ ſagte der Knabe, und ſteckte den blanken Thaler ein. Der Umſchlag enthielt nichts als die Bezeichnung einer Haus- und einer Thuͤren-Nummer in der Straße d’Enfer, mit der Angabe: „Heute Abend, zwiſchen elf und zwoͤlf Uhr. Parole fuͤr die Portiere: „le vannier.“ — Vorausgeſetzt, daß A. ſich nicht mehr vor Geſpenſtern fuͤrchtet!“ Vor Geſpenſtern fuͤrchtet? wiederholte Anton, nachdem er die kleinen, mit Bleiſtift ſchnell geſchrie- benen Zeilen, mehr errathen, als geleſen. Vor Geſpenſtern? — Hab’ ich mich denn je? ... Freilich, einmal! Nur einmal! Aber wer kann darum wiſſen? Wer kann im Fuchswinkel meine Thorheit belauſcht und das Gedaͤchtniß daran laͤnger als drei Jahre hindurch bewahrt haben? Das iſt ja mehr wie wun- derbar! Jch waͤhnte damals den ſchwarzen Wolf- gang zu erblicken, jagte aber mein Phantom in die Flucht .... Herr des Himmels, der ſchwarze Wolf!? Da iſt die braune Baͤrbel nicht weit. Ja, wahrhaftig, wo waren meine fuͤnf Sinne! Sie iſt es! So gewiß ich lebe, ſie iſt es! Blind muß ich geweſen ſein, ſie nicht zu erkennen. Weiße Schminke mag ſie aufgelegt haben, ihre Haut zu bleichen; ſonſt

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/276>, abgerufen am 24.11.2024.