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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.

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Bösewicht heranziehen konnten, wenn nicht schon in
des Kindes innerstem Wesen der Grund dazu gelegen
hätte. Woher diese Keime der Verworfenheit mei-
nem
Sohne kamen? Welche finstere Macht meinem
einzigen Kinde sie eingepflanzt? Nun, der Himmel
weiß, daß ich es nicht weiß. Dir, Anton, ist bekannt,
weß Geistes Dein Halbbruder gewesen. Die Absicht,
Dich zu ermorden, hat das Siegel auf seine Unthaten
gedrückt.

Von Sophienthal zurückkehrend, fand ich Deiner
Mutter erschütterndes Schreiben, fand ich den Gra-
fen, meinen Gemahl, sterbend. Was zwischen ihm
und Dir, was zwischem ihm und Louis vorgefallen,
that er mir scheidend kund, empfahl Dich meiner
Obhut, -- verfluchte unsern Sohn ... und starb.

Als Louis seines Vaters Tod erfuhr; als der
Arzt, gerechten Unwillens voll, ihm rücksichtslos
erklärte, er sei es, der den Vater umgebracht, seinen
raschen Tod herbeigeführt, da schien in ihm, dem
Lieblosen, eine Umwandlung vorzugehen. Er warf
sich zu meinen Füßen und begann, dies verstockte Herz
zu öffnen. Frevel auf Frevel floß über seine zucken-
den Lippen; ich schauderte vor ihm -- aber es war
mein Sohn. Jch suchte den wilden Erguß fruchtloser

Boͤſewicht heranziehen konnten, wenn nicht ſchon in
des Kindes innerſtem Weſen der Grund dazu gelegen
haͤtte. Woher dieſe Keime der Verworfenheit mei-
nem
Sohne kamen? Welche finſtere Macht meinem
einzigen Kinde ſie eingepflanzt? Nun, der Himmel
weiß, daß ich es nicht weiß. Dir, Anton, iſt bekannt,
weß Geiſtes Dein Halbbruder geweſen. Die Abſicht,
Dich zu ermorden, hat das Siegel auf ſeine Unthaten
gedruͤckt.

Von Sophienthal zuruͤckkehrend, fand ich Deiner
Mutter erſchuͤtterndes Schreiben, fand ich den Gra-
fen, meinen Gemahl, ſterbend. Was zwiſchen ihm
und Dir, was zwiſchem ihm und Louis vorgefallen,
that er mir ſcheidend kund, empfahl Dich meiner
Obhut, — verfluchte unſern Sohn ... und ſtarb.

Als Louis ſeines Vaters Tod erfuhr; als der
Arzt, gerechten Unwillens voll, ihm ruͤckſichtslos
erklaͤrte, er ſei es, der den Vater umgebracht, ſeinen
raſchen Tod herbeigefuͤhrt, da ſchien in ihm, dem
Liebloſen, eine Umwandlung vorzugehen. Er warf
ſich zu meinen Fuͤßen und begann, dies verſtockte Herz
zu oͤffnen. Frevel auf Frevel floß uͤber ſeine zucken-
den Lippen; ich ſchauderte vor ihm — aber es war
mein Sohn. Jch ſuchte den wilden Erguß fruchtloſer

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[108/0112] Boͤſewicht heranziehen konnten, wenn nicht ſchon in des Kindes innerſtem Weſen der Grund dazu gelegen haͤtte. Woher dieſe Keime der Verworfenheit mei- nem Sohne kamen? Welche finſtere Macht meinem einzigen Kinde ſie eingepflanzt? Nun, der Himmel weiß, daß ich es nicht weiß. Dir, Anton, iſt bekannt, weß Geiſtes Dein Halbbruder geweſen. Die Abſicht, Dich zu ermorden, hat das Siegel auf ſeine Unthaten gedruͤckt. Von Sophienthal zuruͤckkehrend, fand ich Deiner Mutter erſchuͤtterndes Schreiben, fand ich den Gra- fen, meinen Gemahl, ſterbend. Was zwiſchen ihm und Dir, was zwiſchem ihm und Louis vorgefallen, that er mir ſcheidend kund, empfahl Dich meiner Obhut, — verfluchte unſern Sohn ... und ſtarb. Als Louis ſeines Vaters Tod erfuhr; als der Arzt, gerechten Unwillens voll, ihm ruͤckſichtslos erklaͤrte, er ſei es, der den Vater umgebracht, ſeinen raſchen Tod herbeigefuͤhrt, da ſchien in ihm, dem Liebloſen, eine Umwandlung vorzugehen. Er warf ſich zu meinen Fuͤßen und begann, dies verſtockte Herz zu oͤffnen. Frevel auf Frevel floß uͤber ſeine zucken- den Lippen; ich ſchauderte vor ihm — aber es war mein Sohn. Jch ſuchte den wilden Erguß fruchtloſer

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/112>, abgerufen am 24.11.2024.