Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.O wehmuthweiche Trauerkunde, Wie schlugst du schmerzlich an mein Ohr; Mir war's, als ob ich jäh zur Stunde Ein Stück von meinem Selbst verlor! Der Tod, der bleiche Allvernichter, Blies mir ins Herz die Melodie: O, nun ist todt der letzte Dichter Und mit ihm auch die Poesie! Kein armes Wörtchen konnt ich stammeln, Ein Schauer war's, der mich beschlich, Erst mählig wußt ich mich zu sammeln, Der Bann, der mich umfangen, wich. Der Muse Flügel hört ich schlagen Und all mein Wesen war entstammt: Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen, Nun feiern wir sein Todtenamt! Und sacht hieß ich ihn niedersitzen,
Ich aber wandte mich geschwind, Der blanken Lederbände Blitzen Zog magisch mich ans Bücherspind. Durchs Fenster fielen Sonnenstäubchen Und bauten einen goldnen Steig Und draußen wiegte sich ein Täubchen Auf windbewegtem Fliederzweig. O wehmuthweiche Trauerkunde, Wie ſchlugſt du ſchmerzlich an mein Ohr; Mir war's, als ob ich jäh zur Stunde Ein Stück von meinem Selbſt verlor! Der Tod, der bleiche Allvernichter, Blies mir ins Herz die Melodie: O, nun iſt todt der letzte Dichter Und mit ihm auch die Poeſie! Kein armes Wörtchen konnt ich ſtammeln, Ein Schauer war's, der mich beſchlich, Erſt mählig wußt ich mich zu ſammeln, Der Bann, der mich umfangen, wich. Der Muſe Flügel hört ich ſchlagen Und all mein Weſen war entſtammt: Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen, Nun feiern wir ſein Todtenamt! Und ſacht hieß ich ihn niederſitzen,
Ich aber wandte mich geſchwind, Der blanken Lederbände Blitzen Zog magiſch mich ans Bücherſpind. Durchs Fenſter fielen Sonnenſtäubchen Und bauten einen goldnen Steig Und draußen wiegte ſich ein Täubchen Auf windbewegtem Fliederzweig. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0128" n="106"/> <lg n="15"> <l>O wehmuthweiche Trauerkunde,</l><lb/> <l>Wie ſchlugſt du ſchmerzlich an mein Ohr;</l><lb/> <l>Mir war's, als ob ich jäh zur Stunde</l><lb/> <l>Ein Stück von meinem Selbſt verlor!</l><lb/> <l>Der Tod, der bleiche Allvernichter,</l><lb/> <l>Blies mir ins Herz die Melodie:</l><lb/> <l>O, nun iſt todt der letzte Dichter</l><lb/> <l>Und mit ihm auch die Poeſie!</l><lb/> </lg> <lg n="16"> <l>Kein armes Wörtchen konnt ich ſtammeln,</l><lb/> <l>Ein Schauer war's, der mich beſchlich,</l><lb/> <l>Erſt mählig wußt ich mich zu ſammeln,</l><lb/> <l>Der Bann, der mich umfangen, wich.</l><lb/> <l>Der Muſe Flügel hört ich ſchlagen</l><lb/> <l>Und all mein Weſen war entſtammt:</l><lb/> <l>Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen,</l><lb/> <l>Nun feiern wir ſein Todtenamt!</l><lb/> </lg> <lg n="17"> <l>Und ſacht hieß ich ihn niederſitzen,</l><lb/> <l>Ich aber wandte mich geſchwind,</l><lb/> <l>Der blanken Lederbände Blitzen</l><lb/> <l>Zog magiſch mich ans Bücherſpind.</l><lb/> <l>Durchs Fenſter fielen Sonnenſtäubchen</l><lb/> <l>Und bauten einen goldnen Steig</l><lb/> <l>Und draußen wiegte ſich ein Täubchen</l><lb/> <l>Auf windbewegtem Fliederzweig.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0128]
O wehmuthweiche Trauerkunde,
Wie ſchlugſt du ſchmerzlich an mein Ohr;
Mir war's, als ob ich jäh zur Stunde
Ein Stück von meinem Selbſt verlor!
Der Tod, der bleiche Allvernichter,
Blies mir ins Herz die Melodie:
O, nun iſt todt der letzte Dichter
Und mit ihm auch die Poeſie!
Kein armes Wörtchen konnt ich ſtammeln,
Ein Schauer war's, der mich beſchlich,
Erſt mählig wußt ich mich zu ſammeln,
Der Bann, der mich umfangen, wich.
Der Muſe Flügel hört ich ſchlagen
Und all mein Weſen war entſtammt:
Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen,
Nun feiern wir ſein Todtenamt!
Und ſacht hieß ich ihn niederſitzen,
Ich aber wandte mich geſchwind,
Der blanken Lederbände Blitzen
Zog magiſch mich ans Bücherſpind.
Durchs Fenſter fielen Sonnenſtäubchen
Und bauten einen goldnen Steig
Und draußen wiegte ſich ein Täubchen
Auf windbewegtem Fliederzweig.
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