Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
Er sieht, er hört, er fühlt den Jammer
Und wandelt tags von Haus zu Haus
Und grollt dann nachts in seiner Kammer
Sein Herz in wilde Lieder aus.
Er hat es längst, schon längst vergessen,
Wie wohl im Lenz die Sonne thut,
Und wie's im Wald, umblüht von Kressen,
Sich einst so schön, so schön geruht!
Nur manchmal, manchmal noch durchziehen
Sein Herz, das nach Erlösung schreit,
Die grünen Waldhornmelodieen
Der längst verrauschten Kinderzeit.
Dann stöhnt er auf, und seine Hände
Preßt er verzweifelt vors Gesicht
Und rings die weißgetünchten Wände
Erzittern, wenn er schluchzend spricht:
"O Poesie, du Heiligschöne,
Von Thränen ist mein Herz durchnäßt,
Weil du den treusten deiner Söhne
In Nacht und Noth verkümmern läßt.
Er ſieht, er hört, er fühlt den Jammer
Und wandelt tags von Haus zu Haus
Und grollt dann nachts in ſeiner Kammer
Sein Herz in wilde Lieder aus.
Er hat es längſt, ſchon längſt vergeſſen,
Wie wohl im Lenz die Sonne thut,
Und wie's im Wald, umblüht von Kreſſen,
Sich einſt ſo ſchön, ſo ſchön geruht!
Nur manchmal, manchmal noch durchziehen
Sein Herz, das nach Erlöſung ſchreit,
Die grünen Waldhornmelodieen
Der längſt verrauſchten Kinderzeit.
Dann ſtöhnt er auf, und ſeine Hände
Preßt er verzweifelt vors Geſicht
Und rings die weißgetünchten Wände
Erzittern, wenn er ſchluchzend ſpricht:
„O Poeſie, du Heiligſchöne,
Von Thränen iſt mein Herz durchnäßt,
Weil du den treuſten deiner Söhne
In Nacht und Noth verkümmern läßt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0278" n="256"/>
            <lg n="19">
              <l>Er &#x017F;ieht, er hört, er fühlt den Jammer</l><lb/>
              <l>Und wandelt tags von Haus zu Haus</l><lb/>
              <l>Und grollt dann nachts in &#x017F;einer Kammer</l><lb/>
              <l>Sein Herz in wilde Lieder aus.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="20">
              <l>Er hat es läng&#x017F;t, &#x017F;chon läng&#x017F;t verge&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Wie <hi rendition="#g">wohl</hi> im Lenz die Sonne thut,</l><lb/>
              <l>Und wie's im Wald, umblüht von Kre&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Sich ein&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;chön, &#x017F;o &#x017F;chön geruht!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="21">
              <l>Nur manchmal, manchmal noch durchziehen</l><lb/>
              <l>Sein Herz, das nach Erlö&#x017F;ung &#x017F;chreit,</l><lb/>
              <l>Die grünen Waldhornmelodieen</l><lb/>
              <l>Der läng&#x017F;t verrau&#x017F;chten Kinderzeit.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="22">
              <l>Dann &#x017F;töhnt er auf, und &#x017F;eine Hände</l><lb/>
              <l>Preßt er verzweifelt vors Ge&#x017F;icht</l><lb/>
              <l>Und rings die weißgetünchten Wände</l><lb/>
              <l>Erzittern, wenn er &#x017F;chluchzend &#x017F;pricht:</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="23">
              <l>&#x201E;O Poe&#x017F;ie, du Heilig&#x017F;chöne,</l><lb/>
              <l>Von Thränen i&#x017F;t mein Herz durchnäßt,</l><lb/>
              <l>Weil du den treu&#x017F;ten deiner Söhne</l><lb/>
              <l>In Nacht und Noth verkümmern läßt.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0278] Er ſieht, er hört, er fühlt den Jammer Und wandelt tags von Haus zu Haus Und grollt dann nachts in ſeiner Kammer Sein Herz in wilde Lieder aus. Er hat es längſt, ſchon längſt vergeſſen, Wie wohl im Lenz die Sonne thut, Und wie's im Wald, umblüht von Kreſſen, Sich einſt ſo ſchön, ſo ſchön geruht! Nur manchmal, manchmal noch durchziehen Sein Herz, das nach Erlöſung ſchreit, Die grünen Waldhornmelodieen Der längſt verrauſchten Kinderzeit. Dann ſtöhnt er auf, und ſeine Hände Preßt er verzweifelt vors Geſicht Und rings die weißgetünchten Wände Erzittern, wenn er ſchluchzend ſpricht: „O Poeſie, du Heiligſchöne, Von Thränen iſt mein Herz durchnäßt, Weil du den treuſten deiner Söhne In Nacht und Noth verkümmern läßt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/278
Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/278>, abgerufen am 31.10.2024.