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Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

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Ob du vor Zeiten einst als junge Sonne
Glorreich emporstiegst über Salamis,
Indeß Diogenes in seiner Tonne
Sich philosophisch in die Nägel biß;
Und ob dir heute noch im fernsten Norden
Ein Opfer bringt der fromme Eskimo,
Wie weiland an des Südmeers blauen Borden
Der alte Mythenkönig Pharao:
Du bist und bleibst der einzig wahre Heiland,
Dein schöner Wahlspruch jauchzt: "Empor! Empor!"
Was soll uns noch ein waldumrauschtes Eiland?
Du wandelst um den Stadtwall auch durchs Thor!
Du bist nicht scheu wie deine Waldgespenster,
Du setzst auch in die Großstadt deinen Fuß
Und wehst tagtäglich durch das offne Fenster
Mir in das Stübchen deinen Morgengruß.
Und jetzt, wo schon der Abend seine Lichter
Rothgolden über alle Dächer strahlt,
Krönst du mich lächelnd nun zu deinem Dichter
Und hast mir rythmisch das Papier bemalt.
Ich aber gebe dieses Blatt den Winden,
Die Fangball spielen um den Kirchthurmknauf,
Und wenn's noch heut die Straßenkehrer finden,
Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf!
Ob du vor Zeiten einſt als junge Sonne
Glorreich emporſtiegſt über Salamis,
Indeß Diogenes in ſeiner Tonne
Sich philoſophiſch in die Nägel biß;
Und ob dir heute noch im fernſten Norden
Ein Opfer bringt der fromme Eskimo,
Wie weiland an des Südmeers blauen Borden
Der alte Mythenkönig Pharao:
Du biſt und bleibſt der einzig wahre Heiland,
Dein ſchöner Wahlſpruch jauchzt: „Empor! Empor!“
Was ſoll uns noch ein waldumrauſchtes Eiland?
Du wandelſt um den Stadtwall auch durchs Thor!
Du biſt nicht ſcheu wie deine Waldgeſpenſter,
Du ſetzſt auch in die Großſtadt deinen Fuß
Und wehſt tagtäglich durch das offne Fenſter
Mir in das Stübchen deinen Morgengruß.
Und jetzt, wo ſchon der Abend ſeine Lichter
Rothgolden über alle Dächer ſtrahlt,
Krönſt du mich lächelnd nun zu deinem Dichter
Und haſt mir rythmiſch das Papier bemalt.
Ich aber gebe dieſes Blatt den Winden,
Die Fangball ſpielen um den Kirchthurmknauf,
Und wenn's noch heut die Straßenkehrer finden,
Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf!
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[35/0057] Ob du vor Zeiten einſt als junge Sonne Glorreich emporſtiegſt über Salamis, Indeß Diogenes in ſeiner Tonne Sich philoſophiſch in die Nägel biß; Und ob dir heute noch im fernſten Norden Ein Opfer bringt der fromme Eskimo, Wie weiland an des Südmeers blauen Borden Der alte Mythenkönig Pharao: Du biſt und bleibſt der einzig wahre Heiland, Dein ſchöner Wahlſpruch jauchzt: „Empor! Empor!“ Was ſoll uns noch ein waldumrauſchtes Eiland? Du wandelſt um den Stadtwall auch durchs Thor! Du biſt nicht ſcheu wie deine Waldgeſpenſter, Du ſetzſt auch in die Großſtadt deinen Fuß Und wehſt tagtäglich durch das offne Fenſter Mir in das Stübchen deinen Morgengruß. Und jetzt, wo ſchon der Abend ſeine Lichter Rothgolden über alle Dächer ſtrahlt, Krönſt du mich lächelnd nun zu deinem Dichter Und haſt mir rythmiſch das Papier bemalt. Ich aber gebe dieſes Blatt den Winden, Die Fangball ſpielen um den Kirchthurmknauf, Und wenn's noch heut die Straßenkehrer finden, Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf!

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Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/57>, abgerufen am 16.05.2024.