Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ernsthaften Messerstiche nicht leiden mochte, sprach die Ansicht aus: einen Feind durchzuprügeln am Sonntag, wenn die Arme von sonst keiner Arbeit müde sind, es gehe doch nichts darüber! Die Lage wurde immer bedenklicher, die Stimmung immer erregter; bei solcher Gewitterschwüle mußte die Entladung bald erfolgen. Am letzten Sonntag vor dem Beginn der Adventszeit sollte Maso's Hochzeit sein, und allgemein nahm man an, es werde an dem Tage die längst erwartete Schlacht geschlagen werden. Zwar die Valtellaner versicherten, den Frieden nicht stören, bloß sich vertheidigen zu wollen, wenn sie angegriffen würden. Die Versicherung war wohl glaublich; seitdem es feststand, daß das schönste Mädchen von Urballa die Frau eines Valtellaners werde, hatten die Mitbürger des glücklichen Bräutigams ein gewaltiges Guthaben voraus in der nie schließenden Rechnung mit ihren Nachbarn und konnten sich gedulden. Dafür waren die Urballesen um so aufgebrachter; der Schimpf, welchen sie in einem ihrer Besten, in Agenore, erlitten hatten, mußte gerächt werden -- und welche Rache hätte ihn genügend vergolten? Auch dem Priore bereitete die Erbitterung seiner Pfarrkinder schwere Sorge; er hegte den Wunsch, daß Gigia's Trauung durch ihn in San Giorgio geschehe, wie von Anfang an bestimmt gewesen. Weil sie nun nicht mehr den Agenore, sondern den Maso heirathete, war das ein Grund, daß sein Amtsbruder von Valtella den ernsthaften Messerstiche nicht leiden mochte, sprach die Ansicht aus: einen Feind durchzuprügeln am Sonntag, wenn die Arme von sonst keiner Arbeit müde sind, es gehe doch nichts darüber! Die Lage wurde immer bedenklicher, die Stimmung immer erregter; bei solcher Gewitterschwüle mußte die Entladung bald erfolgen. Am letzten Sonntag vor dem Beginn der Adventszeit sollte Maso's Hochzeit sein, und allgemein nahm man an, es werde an dem Tage die längst erwartete Schlacht geschlagen werden. Zwar die Valtellaner versicherten, den Frieden nicht stören, bloß sich vertheidigen zu wollen, wenn sie angegriffen würden. Die Versicherung war wohl glaublich; seitdem es feststand, daß das schönste Mädchen von Urballa die Frau eines Valtellaners werde, hatten die Mitbürger des glücklichen Bräutigams ein gewaltiges Guthaben voraus in der nie schließenden Rechnung mit ihren Nachbarn und konnten sich gedulden. Dafür waren die Urballesen um so aufgebrachter; der Schimpf, welchen sie in einem ihrer Besten, in Agenore, erlitten hatten, mußte gerächt werden — und welche Rache hätte ihn genügend vergolten? Auch dem Priore bereitete die Erbitterung seiner Pfarrkinder schwere Sorge; er hegte den Wunsch, daß Gigia's Trauung durch ihn in San Giorgio geschehe, wie von Anfang an bestimmt gewesen. Weil sie nun nicht mehr den Agenore, sondern den Maso heirathete, war das ein Grund, daß sein Amtsbruder von Valtella den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0079"/> ernsthaften Messerstiche nicht leiden mochte, sprach die Ansicht aus: einen Feind durchzuprügeln am Sonntag, wenn die Arme von sonst keiner Arbeit müde sind, es gehe doch nichts darüber!</p><lb/> <p>Die Lage wurde immer bedenklicher, die Stimmung immer erregter; bei solcher Gewitterschwüle mußte die Entladung bald erfolgen. Am letzten Sonntag vor dem Beginn der Adventszeit sollte Maso's Hochzeit sein, und allgemein nahm man an, es werde an dem Tage die längst erwartete Schlacht geschlagen werden. Zwar die Valtellaner versicherten, den Frieden nicht stören, bloß sich vertheidigen zu wollen, wenn sie angegriffen würden. Die Versicherung war wohl glaublich; seitdem es feststand, daß das schönste Mädchen von Urballa die Frau eines Valtellaners werde, hatten die Mitbürger des glücklichen Bräutigams ein gewaltiges Guthaben voraus in der nie schließenden Rechnung mit ihren Nachbarn und konnten sich gedulden. Dafür waren die Urballesen um so aufgebrachter; der Schimpf, welchen sie in einem ihrer Besten, in Agenore, erlitten hatten, mußte gerächt werden — und welche Rache hätte ihn genügend vergolten?</p><lb/> <p>Auch dem Priore bereitete die Erbitterung seiner Pfarrkinder schwere Sorge; er hegte den Wunsch, daß Gigia's Trauung durch ihn in San Giorgio geschehe, wie von Anfang an bestimmt gewesen. Weil sie nun nicht mehr den Agenore, sondern den Maso heirathete, war das ein Grund, daß sein Amtsbruder von Valtella den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
ernsthaften Messerstiche nicht leiden mochte, sprach die Ansicht aus: einen Feind durchzuprügeln am Sonntag, wenn die Arme von sonst keiner Arbeit müde sind, es gehe doch nichts darüber!
Die Lage wurde immer bedenklicher, die Stimmung immer erregter; bei solcher Gewitterschwüle mußte die Entladung bald erfolgen. Am letzten Sonntag vor dem Beginn der Adventszeit sollte Maso's Hochzeit sein, und allgemein nahm man an, es werde an dem Tage die längst erwartete Schlacht geschlagen werden. Zwar die Valtellaner versicherten, den Frieden nicht stören, bloß sich vertheidigen zu wollen, wenn sie angegriffen würden. Die Versicherung war wohl glaublich; seitdem es feststand, daß das schönste Mädchen von Urballa die Frau eines Valtellaners werde, hatten die Mitbürger des glücklichen Bräutigams ein gewaltiges Guthaben voraus in der nie schließenden Rechnung mit ihren Nachbarn und konnten sich gedulden. Dafür waren die Urballesen um so aufgebrachter; der Schimpf, welchen sie in einem ihrer Besten, in Agenore, erlitten hatten, mußte gerächt werden — und welche Rache hätte ihn genügend vergolten?
Auch dem Priore bereitete die Erbitterung seiner Pfarrkinder schwere Sorge; er hegte den Wunsch, daß Gigia's Trauung durch ihn in San Giorgio geschehe, wie von Anfang an bestimmt gewesen. Weil sie nun nicht mehr den Agenore, sondern den Maso heirathete, war das ein Grund, daß sein Amtsbruder von Valtella den
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