Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Bekanntlich besteht der Haupt-
kunstgriff derselben darinn, alles pi-
quant und reizend zu machen. Alle
Nahrungsmittel bestehen also, nach die-
ser Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden
erhitzenden Substanzen, und anstatt also
durchs Essen das, was der natürliche
Zweck ist, Ernährung und Wiedererse-
tzung, zu erreichen, vermehrt man viel
mehr durch den Reiz die innre Consum-
tion und thut wirklich gerade das Ge-
gentheil. Nach einer solchen Mahlzeit
hat man immer ein künstliches Fieber,
und bey solchen Menschen heisst es mit
Recht: consumendo consumimur.

2. Das schlimmste ist, dass man
durch diese Kochkunst verleitet wird,
immer zu viel zu essen. Sie weiss sich
den Gaumen so zum Freunde zu machen,
dass alle Gegenvorstellungen des Magens
umsonst sind; und, weil der Gaumen im-
mer auf eine neue angenehme Art ge-
kitzelt wird, so bekommt der Magen wohl
drey und viermal mehr zu thun, als er

1. Bekanntlich beſteht der Haupt-
kunſtgriff derſelben darinn, alles pi-
quant und reizend zu machen. Alle
Nahrungsmittel beſtehen alſo, nach die-
ſer Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden
erhitzenden Subſtanzen, und anſtatt alſo
durchs Eſſen das, was der natürliche
Zweck iſt, Ernährung und Wiedererſe-
tzung, zu erreichen, vermehrt man viel
mehr durch den Reiz die innre Conſum-
tion und thut wirklich gerade das Ge-
gentheil. Nach einer ſolchen Mahlzeit
hat man immer ein künſtliches Fieber,
und bey ſolchen Menſchen heiſst es mit
Recht: conſumendo conſumimur.

2. Das ſchlimmſte iſt, daſs man
durch dieſe Kochkunſt verleitet wird,
immer zu viel zu eſſen. Sie weiſs ſich
den Gaumen ſo zum Freunde zu machen,
daſs alle Gegenvorſtellungen des Magens
umſonſt ſind; und, weil der Gaumen im-
mer auf eine neue angenehme Art ge-
kitzelt wird, ſo bekommt der Magen wohl
drey und viermal mehr zu thun, als er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0407" n="379"/>
            <p>1. Bekanntlich be&#x017F;teht der Haupt-<lb/>
kun&#x017F;tgriff der&#x017F;elben darinn, alles pi-<lb/>
quant und reizend zu machen. Alle<lb/>
Nahrungsmittel be&#x017F;tehen al&#x017F;o, nach die-<lb/>
&#x017F;er Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden<lb/>
erhitzenden Sub&#x017F;tanzen, und an&#x017F;tatt al&#x017F;o<lb/>
durchs E&#x017F;&#x017F;en das, was der natürliche<lb/>
Zweck i&#x017F;t, Ernährung und Wiederer&#x017F;e-<lb/>
tzung, zu erreichen, vermehrt man viel<lb/>
mehr durch den Reiz die innre Con&#x017F;um-<lb/>
tion und thut wirklich gerade das Ge-<lb/>
gentheil. Nach einer &#x017F;olchen Mahlzeit<lb/>
hat man immer ein kün&#x017F;tliches Fieber,<lb/>
und bey &#x017F;olchen Men&#x017F;chen hei&#x017F;st es mit<lb/>
Recht: <hi rendition="#i">con&#x017F;umendo con&#x017F;umimur</hi>.</p><lb/>
            <p>2. Das &#x017F;chlimm&#x017F;te i&#x017F;t, da&#x017F;s man<lb/>
durch die&#x017F;e Kochkun&#x017F;t verleitet wird,<lb/>
immer zu viel zu e&#x017F;&#x017F;en. Sie wei&#x017F;s &#x017F;ich<lb/>
den Gaumen &#x017F;o zum Freunde zu machen,<lb/>
da&#x017F;s alle Gegenvor&#x017F;tellungen des Magens<lb/>
um&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ind; und, weil der Gaumen im-<lb/>
mer auf eine neue angenehme Art ge-<lb/>
kitzelt wird, &#x017F;o bekommt der Magen wohl<lb/>
drey und viermal mehr zu thun, als er<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0407] 1. Bekanntlich beſteht der Haupt- kunſtgriff derſelben darinn, alles pi- quant und reizend zu machen. Alle Nahrungsmittel beſtehen alſo, nach die- ſer Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden erhitzenden Subſtanzen, und anſtatt alſo durchs Eſſen das, was der natürliche Zweck iſt, Ernährung und Wiedererſe- tzung, zu erreichen, vermehrt man viel mehr durch den Reiz die innre Conſum- tion und thut wirklich gerade das Ge- gentheil. Nach einer ſolchen Mahlzeit hat man immer ein künſtliches Fieber, und bey ſolchen Menſchen heiſst es mit Recht: conſumendo conſumimur. 2. Das ſchlimmſte iſt, daſs man durch dieſe Kochkunſt verleitet wird, immer zu viel zu eſſen. Sie weiſs ſich den Gaumen ſo zum Freunde zu machen, daſs alle Gegenvorſtellungen des Magens umſonſt ſind; und, weil der Gaumen im- mer auf eine neue angenehme Art ge- kitzelt wird, ſo bekommt der Magen wohl drey und viermal mehr zu thun, als er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/407
Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/407>, abgerufen am 22.11.2024.