1. Bekanntlich besteht der Haupt- kunstgriff derselben darinn, alles pi- quant und reizend zu machen. Alle Nahrungsmittel bestehen also, nach die- ser Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden erhitzenden Substanzen, und anstatt also durchs Essen das, was der natürliche Zweck ist, Ernährung und Wiedererse- tzung, zu erreichen, vermehrt man viel mehr durch den Reiz die innre Consum- tion und thut wirklich gerade das Ge- gentheil. Nach einer solchen Mahlzeit hat man immer ein künstliches Fieber, und bey solchen Menschen heisst es mit Recht: consumendo consumimur.
2. Das schlimmste ist, dass man durch diese Kochkunst verleitet wird, immer zu viel zu essen. Sie weiss sich den Gaumen so zum Freunde zu machen, dass alle Gegenvorstellungen des Magens umsonst sind; und, weil der Gaumen im- mer auf eine neue angenehme Art ge- kitzelt wird, so bekommt der Magen wohl drey und viermal mehr zu thun, als er
1. Bekanntlich beſteht der Haupt- kunſtgriff derſelben darinn, alles pi- quant und reizend zu machen. Alle Nahrungsmittel beſtehen alſo, nach die- ſer Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden erhitzenden Subſtanzen, und anſtatt alſo durchs Eſſen das, was der natürliche Zweck iſt, Ernährung und Wiedererſe- tzung, zu erreichen, vermehrt man viel mehr durch den Reiz die innre Conſum- tion und thut wirklich gerade das Ge- gentheil. Nach einer ſolchen Mahlzeit hat man immer ein künſtliches Fieber, und bey ſolchen Menſchen heiſst es mit Recht: conſumendo conſumimur.
2. Das ſchlimmſte iſt, daſs man durch dieſe Kochkunſt verleitet wird, immer zu viel zu eſſen. Sie weiſs ſich den Gaumen ſo zum Freunde zu machen, daſs alle Gegenvorſtellungen des Magens umſonſt ſind; und, weil der Gaumen im- mer auf eine neue angenehme Art ge- kitzelt wird, ſo bekommt der Magen wohl drey und viermal mehr zu thun, als er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0407"n="379"/><p>1. Bekanntlich beſteht der Haupt-<lb/>
kunſtgriff derſelben darinn, alles pi-<lb/>
quant und reizend zu machen. Alle<lb/>
Nahrungsmittel beſtehen alſo, nach die-<lb/>ſer Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden<lb/>
erhitzenden Subſtanzen, und anſtatt alſo<lb/>
durchs Eſſen das, was der natürliche<lb/>
Zweck iſt, Ernährung und Wiedererſe-<lb/>
tzung, zu erreichen, vermehrt man viel<lb/>
mehr durch den Reiz die innre Conſum-<lb/>
tion und thut wirklich gerade das Ge-<lb/>
gentheil. Nach einer ſolchen Mahlzeit<lb/>
hat man immer ein künſtliches Fieber,<lb/>
und bey ſolchen Menſchen heiſst es mit<lb/>
Recht: <hirendition="#i">conſumendo conſumimur</hi>.</p><lb/><p>2. Das ſchlimmſte iſt, daſs man<lb/>
durch dieſe Kochkunſt verleitet wird,<lb/>
immer zu viel zu eſſen. Sie weiſs ſich<lb/>
den Gaumen ſo zum Freunde zu machen,<lb/>
daſs alle Gegenvorſtellungen des Magens<lb/>
umſonſt ſind; und, weil der Gaumen im-<lb/>
mer auf eine neue angenehme Art ge-<lb/>
kitzelt wird, ſo bekommt der Magen wohl<lb/>
drey und viermal mehr zu thun, als er<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[379/0407]
1. Bekanntlich beſteht der Haupt-
kunſtgriff derſelben darinn, alles pi-
quant und reizend zu machen. Alle
Nahrungsmittel beſtehen alſo, nach die-
ſer Zurichtung, zur Hälfte aus reizenden
erhitzenden Subſtanzen, und anſtatt alſo
durchs Eſſen das, was der natürliche
Zweck iſt, Ernährung und Wiedererſe-
tzung, zu erreichen, vermehrt man viel
mehr durch den Reiz die innre Conſum-
tion und thut wirklich gerade das Ge-
gentheil. Nach einer ſolchen Mahlzeit
hat man immer ein künſtliches Fieber,
und bey ſolchen Menſchen heiſst es mit
Recht: conſumendo conſumimur.
2. Das ſchlimmſte iſt, daſs man
durch dieſe Kochkunſt verleitet wird,
immer zu viel zu eſſen. Sie weiſs ſich
den Gaumen ſo zum Freunde zu machen,
daſs alle Gegenvorſtellungen des Magens
umſonſt ſind; und, weil der Gaumen im-
mer auf eine neue angenehme Art ge-
kitzelt wird, ſo bekommt der Magen wohl
drey und viermal mehr zu thun, als er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/407>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.