Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

darinn einen grossen Schild der Tugend.
Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein
gewisses innres Gefühl von Unrechtthun,
genug, alle die zarten Empfindungen,
die den Begriff der Jungfräulichkeit aus-
machen, werden ihn immer noch, auch
bey sehr grosser Verführung, zurück-
schrecken. Aber eine einzige Uebertre-
tung vernichtet sie alle unwiderbring-
lich. Dazu kommt noch, dass der erste
Genuss oft erst das Bedürfniss dazu er-
regt, und den ersten Keim jenes noch
schlafenden Triebs erweckt, so wie jeder
Sinn erst durch Kultur zum vollkomm-
nen Sinn wird. Es ist in diesem Betracht
nicht blos die physische sondern auch
die moralische Jungfrauschaft etwas sehr
Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde
Geschlechter sorgfältig bewahren sollten.
Aber eben so gewiss ist es, dass ein ein-
ziger Fall hinreicht, um uns dieselbe,
nicht blos physisch sondern auch mora-
lisch zu rauben, und wer einmal gefal-
len ist, der wird zuverlässig öftrer
fallen.


darinn einen groſsen Schild der Tugend.
Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein
gewiſſes innres Gefühl von Unrechtthun,
genug, alle die zarten Empfindungen,
die den Begriff der Jungfräulichkeit aus-
machen, werden ihn immer noch, auch
bey ſehr groſser Verführung, zurück-
ſchrecken. Aber eine einzige Uebertre-
tung vernichtet ſie alle unwiderbring-
lich. Dazu kommt noch, daſs der erſte
Genuſs oft erſt das Bedürfniſs dazu er-
regt, und den erſten Keim jenes noch
ſchlafenden Triebs erweckt, ſo wie jeder
Sinn erſt durch Kultur zum vollkomm-
nen Sinn wird. Es iſt in dieſem Betracht
nicht blos die phyſiſche ſondern auch
die moraliſche Jungfrauſchaft etwas ſehr
Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde
Geſchlechter ſorgfältig bewahren ſollten.
Aber eben ſo gewiſs iſt es, daſs ein ein-
ziger Fall hinreicht, um uns dieſelbe,
nicht blos phyſiſch ſondern auch mora-
liſch zu rauben, und wer einmal gefal-
len iſt, der wird zuverläſſig öftrer
fallen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0560" n="532"/>
darinn einen gro&#x017F;sen Schild der Tugend.<lb/>
Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;es innres Gefühl von Unrechtthun,<lb/>
genug, alle die zarten Empfindungen,<lb/>
die den Begriff der Jungfräulichkeit aus-<lb/>
machen, werden ihn immer noch, auch<lb/>
bey &#x017F;ehr gro&#x017F;ser Verführung, zurück-<lb/>
&#x017F;chrecken. Aber eine einzige Uebertre-<lb/>
tung vernichtet &#x017F;ie alle unwiderbring-<lb/>
lich. Dazu kommt noch, da&#x017F;s der er&#x017F;te<lb/>
Genu&#x017F;s oft er&#x017F;t das Bedürfni&#x017F;s dazu er-<lb/>
regt, und den er&#x017F;ten Keim jenes noch<lb/>
&#x017F;chlafenden Triebs erweckt, &#x017F;o wie jeder<lb/>
Sinn er&#x017F;t durch Kultur zum vollkomm-<lb/>
nen Sinn wird. Es i&#x017F;t in die&#x017F;em Betracht<lb/>
nicht blos die phy&#x017F;i&#x017F;che &#x017F;ondern auch<lb/>
die morali&#x017F;che Jungfrau&#x017F;chaft etwas &#x017F;ehr<lb/>
Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde<lb/>
Ge&#x017F;chlechter &#x017F;orgfältig bewahren &#x017F;ollten.<lb/>
Aber eben &#x017F;o gewi&#x017F;s i&#x017F;t es, da&#x017F;s ein ein-<lb/>
ziger Fall hinreicht, um uns die&#x017F;elbe,<lb/>
nicht blos phy&#x017F;i&#x017F;ch &#x017F;ondern auch mora-<lb/>
li&#x017F;ch zu rauben, und wer einmal gefal-<lb/>
len i&#x017F;t, der wird zuverlä&#x017F;&#x017F;ig öftrer<lb/>
fallen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[532/0560] darinn einen groſsen Schild der Tugend. Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein gewiſſes innres Gefühl von Unrechtthun, genug, alle die zarten Empfindungen, die den Begriff der Jungfräulichkeit aus- machen, werden ihn immer noch, auch bey ſehr groſser Verführung, zurück- ſchrecken. Aber eine einzige Uebertre- tung vernichtet ſie alle unwiderbring- lich. Dazu kommt noch, daſs der erſte Genuſs oft erſt das Bedürfniſs dazu er- regt, und den erſten Keim jenes noch ſchlafenden Triebs erweckt, ſo wie jeder Sinn erſt durch Kultur zum vollkomm- nen Sinn wird. Es iſt in dieſem Betracht nicht blos die phyſiſche ſondern auch die moraliſche Jungfrauſchaft etwas ſehr Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde Geſchlechter ſorgfältig bewahren ſollten. Aber eben ſo gewiſs iſt es, daſs ein ein- ziger Fall hinreicht, um uns dieſelbe, nicht blos phyſiſch ſondern auch mora- liſch zu rauben, und wer einmal gefal- len iſt, der wird zuverläſſig öftrer fallen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/560
Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/560>, abgerufen am 28.06.2024.