Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.der sogenannten Schärfe und Verderbnis des Blutes zuschrieb. Am 8. Juli genas ein Matrose, der schon in den letzten Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute 1 Im Atlantischen Meere ist ein Strich, wo das Wasser immer
milchig erscheint, obgleich die See dort sehr tief ist. Diese merk- der ſogenannten Schärfe und Verderbnis des Blutes zuſchrieb. Am 8. Juli genas ein Matroſe, der ſchon in den letzten Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute 1 Im Atlantiſchen Meere iſt ein Strich, wo das Waſſer immer
milchig erſcheint, obgleich die See dort ſehr tief iſt. Dieſe merk- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0155" n="139"/> der ſogenannten Schärfe und Verderbnis des Blutes zuſchrieb.<lb/> Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und wir hatten<lb/> vergeſſen, beim Einſchiffen uns ſelbſt damit zu verſehen; unſere<lb/> Inſtrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unſere Ge-<lb/> ſundheit, und wir hatten unbedachterweiſe vorausgeſetzt, daß<lb/> es an Bord eines ſpaniſchen Schiffes nicht an peruaniſcher<lb/> Fieberrinde fehlen könne.</p><lb/> <p>Am 8. Juli genas ein Matroſe, der ſchon in den letzten<lb/> Zügen lag, durch einen Zufall, der der Erwähnung wohl wert<lb/> iſt. Seine Hängematte war ſo befeſtigt, daß zwiſchen ſeinem<lb/> Geſicht und dem Deck keine 26 <hi rendition="#aq">cm</hi> Raum blieben. In dieſer<lb/> Lage konnte man ihm unmöglich die Sakramente reichen; nach<lb/> dem Brauch auf den ſpaniſchen Schiffen hätte das Allerheiligſte<lb/> mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze<lb/> Mannſchaft dabei ſein müſſen. Man ſchaffte daher den Kranken<lb/> an einen luftigen Ort bei der Luke, wo man aus Segeln<lb/> und Flaggen ein kleines viereckiges Gemach hergeſtellt hatte.<lb/> Hier ſollte er liegen bis zu ſeinem Tode, den man nahe glaubte;<lb/> aber kaum war er aus einer übermäßig heißen, ſtockenden, mit<lb/> Miasmen erfüllten Luft in eine kühlere, reinere, fortwährend<lb/> erneuerte gebracht, ſo kam er allmählich aus ſeiner Betäubung<lb/> zu ſich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwiſchendeck fort-<lb/> geſchafft worden, fing die Geneſung an, und wie denn in der<lb/> Arzneikunde dieſelben Thatſachen zu Stützen der entgegen-<lb/> geſetzteſten Syſteme werden, ſo wurde unſer Arzt durch dieſen<lb/> Fall von Wiedergeneſung in ſeiner Anſicht von der Entzün-<lb/> dung des Blutes und von der Notwendigkeit des Eingreifens<lb/> durch Aderläſſe, abführende und aſtheniſche Mittel aller Art<lb/> beſtärkt. Wir bekamen bald die verderblichen Folgen dieſer<lb/> Behandlung zu ſehen und ſehnten uns mehr als je nach dem<lb/> Augenblick, wo wir die Küſte Amerikas betreten könnten.</p><lb/> <p>Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute<lb/> um 1° 12′ von der Länge abgewichen, die mir mein Chrono-<lb/> meter angab. Dieſer Unterſchied rührte weniger von der all-<lb/> gemeinen Strömung her, die ich den „Rotationsſtrom“ ge-<lb/> nannt habe, als von dem eigentümlichen Zuge des Waſſers<lb/> nach Nordweſt, von der Küſte von Braſilien gegen die Kleinen<lb/> Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Inſel<lb/> Guadeloupe abgekürzt wird. <note xml:id="seg2pn_7_1" next="#seg2pn_7_2" place="foot" n="1">Im Atlantiſchen Meere iſt ein Strich, wo das Waſſer immer<lb/> milchig erſcheint, obgleich die See dort ſehr tief iſt. Dieſe merk-</note> Am 12. Juli glaubte ich an-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0155]
der ſogenannten Schärfe und Verderbnis des Blutes zuſchrieb.
Es war keine Unze Chinarinde an Bord, und wir hatten
vergeſſen, beim Einſchiffen uns ſelbſt damit zu verſehen; unſere
Inſtrumente hatten uns mehr Sorge gemacht als unſere Ge-
ſundheit, und wir hatten unbedachterweiſe vorausgeſetzt, daß
es an Bord eines ſpaniſchen Schiffes nicht an peruaniſcher
Fieberrinde fehlen könne.
Am 8. Juli genas ein Matroſe, der ſchon in den letzten
Zügen lag, durch einen Zufall, der der Erwähnung wohl wert
iſt. Seine Hängematte war ſo befeſtigt, daß zwiſchen ſeinem
Geſicht und dem Deck keine 26 cm Raum blieben. In dieſer
Lage konnte man ihm unmöglich die Sakramente reichen; nach
dem Brauch auf den ſpaniſchen Schiffen hätte das Allerheiligſte
mit brennenden Kerzen herbeigebracht werden und die ganze
Mannſchaft dabei ſein müſſen. Man ſchaffte daher den Kranken
an einen luftigen Ort bei der Luke, wo man aus Segeln
und Flaggen ein kleines viereckiges Gemach hergeſtellt hatte.
Hier ſollte er liegen bis zu ſeinem Tode, den man nahe glaubte;
aber kaum war er aus einer übermäßig heißen, ſtockenden, mit
Miasmen erfüllten Luft in eine kühlere, reinere, fortwährend
erneuerte gebracht, ſo kam er allmählich aus ſeiner Betäubung
zu ſich. Mit dem Tage, da er aus dem Zwiſchendeck fort-
geſchafft worden, fing die Geneſung an, und wie denn in der
Arzneikunde dieſelben Thatſachen zu Stützen der entgegen-
geſetzteſten Syſteme werden, ſo wurde unſer Arzt durch dieſen
Fall von Wiedergeneſung in ſeiner Anſicht von der Entzün-
dung des Blutes und von der Notwendigkeit des Eingreifens
durch Aderläſſe, abführende und aſtheniſche Mittel aller Art
beſtärkt. Wir bekamen bald die verderblichen Folgen dieſer
Behandlung zu ſehen und ſehnten uns mehr als je nach dem
Augenblick, wo wir die Küſte Amerikas betreten könnten.
Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute
um 1° 12′ von der Länge abgewichen, die mir mein Chrono-
meter angab. Dieſer Unterſchied rührte weniger von der all-
gemeinen Strömung her, die ich den „Rotationsſtrom“ ge-
nannt habe, als von dem eigentümlichen Zuge des Waſſers
nach Nordweſt, von der Küſte von Braſilien gegen die Kleinen
Antillen, wodurch die Ueberfahrt von Cayenne nach der Inſel
Guadeloupe abgekürzt wird. 1 Am 12. Juli glaubte ich an-
1 Im Atlantiſchen Meere iſt ein Strich, wo das Waſſer immer
milchig erſcheint, obgleich die See dort ſehr tief iſt. Dieſe merk-
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