Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

kündigen zu können, daß tags darauf vor Sonnenaufgang
Land in Sicht sein werde. Wir befanden uns jetzt nach
meinen Beobachtungen unter 10° 46' der Breite und 60° 54'
westlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen be-
stätigten die Angabe des Chronometers; aber wir wußten
besser, wo sich die Korvette befand, als wo das Land lag,
dem unser Kurs zuging und das auf den französischen, spani-
schen und englischen Karten so verschieden angegeben ist. Die
aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und
Noguera sich ergebenden Längen waren damals noch nicht be-
kannt gemacht.

Die Steuerleute verließen sich mehr auf das Log als
auf den Gang eines Chronometers; sie lächelten zu der Be-
hauptung, daß bald Land in Sicht kommen müsse, und glaubten,
man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir
daher zu großer Befriedigung, als ich am 13. gegen sechs
Uhr morgens hörte, man sehe von den Masten ein sehr
hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur
undeutlich. Es windete sehr stark und die See war sehr un-
ruhig. Es regnete hier und da in großen Tropfen und alles
deutete auf ungestümes Wetter. Der Kapitän des Pizarro
hatte beabsichtigt, durch den Kanal zwischen Tabago und
Trinidad zu laufen, und da er wußte, daß unsere Korvette
sehr langsam wendete, so fürchtete er, gegen Süden unter den
Wind und der Mündung des Dragon nahe zu kommen. Wir
waren allerdings unserer Länge sicherer als der Breite, da
seit dem 11. keine Beobachtung um Mittag gemacht worden
war. Nach doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode
am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11°
6' 50", somit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der
Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinokostrom
seine Gewässer in den Ozean ergießt, mag in diesen Strichen
immerhin den Zug der Strömungen steigern; wenn man aber
behauptet, bis auf 270 km von der Mündung des Orinoko
habe das Meerwasser eine andere Farbe und sei weniger ge-
salzen, so ist dies ein Märchen der Küstenpiloten. Der Ein-
fluß der mächtigsten Ströme Amerikas, des Amazonenstromes,

würdige Erscheinung zeigt sich unter der Breite der Insel Dominica
und etwa unter 57° der Länge. Sollte an diesem Punkt, noch öst-
licher als Barbados, ein versunkenes vulkanisches Eiland unter dem
Meeresspiegel liegen?

kündigen zu können, daß tags darauf vor Sonnenaufgang
Land in Sicht ſein werde. Wir befanden uns jetzt nach
meinen Beobachtungen unter 10° 46′ der Breite und 60° 54′
weſtlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen be-
ſtätigten die Angabe des Chronometers; aber wir wußten
beſſer, wo ſich die Korvette befand, als wo das Land lag,
dem unſer Kurs zuging und das auf den franzöſiſchen, ſpani-
ſchen und engliſchen Karten ſo verſchieden angegeben iſt. Die
aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und
Noguera ſich ergebenden Längen waren damals noch nicht be-
kannt gemacht.

Die Steuerleute verließen ſich mehr auf das Log als
auf den Gang eines Chronometers; ſie lächelten zu der Be-
hauptung, daß bald Land in Sicht kommen müſſe, und glaubten,
man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir
daher zu großer Befriedigung, als ich am 13. gegen ſechs
Uhr morgens hörte, man ſehe von den Maſten ein ſehr
hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur
undeutlich. Es windete ſehr ſtark und die See war ſehr un-
ruhig. Es regnete hier und da in großen Tropfen und alles
deutete auf ungeſtümes Wetter. Der Kapitän des Pizarro
hatte beabſichtigt, durch den Kanal zwiſchen Tabago und
Trinidad zu laufen, und da er wußte, daß unſere Korvette
ſehr langſam wendete, ſo fürchtete er, gegen Süden unter den
Wind und der Mündung des Dragon nahe zu kommen. Wir
waren allerdings unſerer Länge ſicherer als der Breite, da
ſeit dem 11. keine Beobachtung um Mittag gemacht worden
war. Nach doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode
am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11°
6′ 50″, ſomit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der
Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinokoſtrom
ſeine Gewäſſer in den Ozean ergießt, mag in dieſen Strichen
immerhin den Zug der Strömungen ſteigern; wenn man aber
behauptet, bis auf 270 km von der Mündung des Orinoko
habe das Meerwaſſer eine andere Farbe und ſei weniger ge-
ſalzen, ſo iſt dies ein Märchen der Küſtenpiloten. Der Ein-
fluß der mächtigſten Ströme Amerikas, des Amazonenſtromes,

würdige Erſcheinung zeigt ſich unter der Breite der Inſel Dominica
und etwa unter 57° der Länge. Sollte an dieſem Punkt, noch öſt-
licher als Barbados, ein verſunkenes vulkaniſches Eiland unter dem
Meeresſpiegel liegen?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0156" n="140"/>
kündigen zu können, daß tags darauf vor Sonnenaufgang<lb/>
Land in Sicht &#x017F;ein werde. Wir befanden uns jetzt nach<lb/>
meinen Beobachtungen unter 10° 46&#x2032; der Breite und 60° 54&#x2032;<lb/>
we&#x017F;tlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen be-<lb/>
&#x017F;tätigten die Angabe des Chronometers; aber wir wußten<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, wo &#x017F;ich die Korvette befand, als wo das Land lag,<lb/>
dem un&#x017F;er Kurs zuging und das auf den franzö&#x017F;i&#x017F;chen, &#x017F;pani-<lb/>
&#x017F;chen und engli&#x017F;chen Karten &#x017F;o ver&#x017F;chieden angegeben i&#x017F;t. Die<lb/>
aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und<lb/>
Noguera &#x017F;ich ergebenden Längen waren damals noch nicht be-<lb/>
kannt gemacht.</p><lb/>
          <p>Die Steuerleute verließen &#x017F;ich mehr auf das Log als<lb/>
auf den Gang eines Chronometers; &#x017F;ie lächelten zu der Be-<lb/>
hauptung, daß bald Land in Sicht kommen mü&#x017F;&#x017F;e, und glaubten,<lb/>
man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir<lb/>
daher zu großer Befriedigung, als ich am 13. gegen &#x017F;echs<lb/>
Uhr morgens hörte, man &#x017F;ehe von den Ma&#x017F;ten ein &#x017F;ehr<lb/>
hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur<lb/>
undeutlich. Es windete &#x017F;ehr &#x017F;tark und die See war &#x017F;ehr un-<lb/>
ruhig. Es regnete hier und da in großen Tropfen und alles<lb/>
deutete auf unge&#x017F;tümes Wetter. Der Kapitän des Pizarro<lb/>
hatte beab&#x017F;ichtigt, durch den Kanal zwi&#x017F;chen Tabago und<lb/>
Trinidad zu laufen, und da er wußte, daß un&#x017F;ere Korvette<lb/>
&#x017F;ehr lang&#x017F;am wendete, &#x017F;o fürchtete er, gegen Süden unter den<lb/>
Wind und der Mündung des Dragon nahe zu kommen. Wir<lb/>
waren allerdings un&#x017F;erer Länge &#x017F;icherer als der Breite, da<lb/>
&#x017F;eit dem 11. keine Beobachtung um Mittag gemacht worden<lb/>
war. Nach doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode<lb/>
am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11°<lb/>
6&#x2032; 50&#x2033;, &#x017F;omit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der<lb/>
Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinoko&#x017F;trom<lb/>
&#x017F;eine Gewä&#x017F;&#x017F;er in den Ozean ergießt, mag in die&#x017F;en Strichen<lb/>
immerhin den Zug der Strömungen &#x017F;teigern; wenn man aber<lb/>
behauptet, bis auf 270 <hi rendition="#aq">km</hi> von der Mündung des Orinoko<lb/>
habe das Meerwa&#x017F;&#x017F;er eine andere Farbe und &#x017F;ei weniger ge-<lb/>
&#x017F;alzen, &#x017F;o i&#x017F;t dies ein Märchen der Kü&#x017F;tenpiloten. Der Ein-<lb/>
fluß der mächtig&#x017F;ten Ströme Amerikas, des Amazonen&#x017F;tromes,<lb/><note xml:id="seg2pn_7_2" prev="#seg2pn_7_1" place="foot" n="1">würdige Er&#x017F;cheinung zeigt &#x017F;ich unter der Breite der In&#x017F;el Dominica<lb/>
und etwa unter 57° der Länge. Sollte an die&#x017F;em Punkt, noch ö&#x017F;t-<lb/>
licher als Barbados, ein ver&#x017F;unkenes vulkani&#x017F;ches Eiland unter dem<lb/>
Meeres&#x017F;piegel liegen?</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0156] kündigen zu können, daß tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht ſein werde. Wir befanden uns jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10° 46′ der Breite und 60° 54′ weſtlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen be- ſtätigten die Angabe des Chronometers; aber wir wußten beſſer, wo ſich die Korvette befand, als wo das Land lag, dem unſer Kurs zuging und das auf den franzöſiſchen, ſpani- ſchen und engliſchen Karten ſo verſchieden angegeben iſt. Die aus den genauen Beobachtungen von Churruca, Fidalgo und Noguera ſich ergebenden Längen waren damals noch nicht be- kannt gemacht. Die Steuerleute verließen ſich mehr auf das Log als auf den Gang eines Chronometers; ſie lächelten zu der Be- hauptung, daß bald Land in Sicht kommen müſſe, und glaubten, man habe noch zwei, drei Tage zu fahren. Es gereichte mir daher zu großer Befriedigung, als ich am 13. gegen ſechs Uhr morgens hörte, man ſehe von den Maſten ein ſehr hohes Land, jedoch wegen des Nebels, der darauf lag, nur undeutlich. Es windete ſehr ſtark und die See war ſehr un- ruhig. Es regnete hier und da in großen Tropfen und alles deutete auf ungeſtümes Wetter. Der Kapitän des Pizarro hatte beabſichtigt, durch den Kanal zwiſchen Tabago und Trinidad zu laufen, und da er wußte, daß unſere Korvette ſehr langſam wendete, ſo fürchtete er, gegen Süden unter den Wind und der Mündung des Dragon nahe zu kommen. Wir waren allerdings unſerer Länge ſicherer als der Breite, da ſeit dem 11. keine Beobachtung um Mittag gemacht worden war. Nach doppelten Höhen, die ich nach Douwes Methode am Morgen aufgenommen hatte, befanden wir uns in 11° 6′ 50″, ſomit 15 Minuten weiter nach Nord als nach der Schätzung. Die Gewalt, mit der der große Orinokoſtrom ſeine Gewäſſer in den Ozean ergießt, mag in dieſen Strichen immerhin den Zug der Strömungen ſteigern; wenn man aber behauptet, bis auf 270 km von der Mündung des Orinoko habe das Meerwaſſer eine andere Farbe und ſei weniger ge- ſalzen, ſo iſt dies ein Märchen der Küſtenpiloten. Der Ein- fluß der mächtigſten Ströme Amerikas, des Amazonenſtromes, 1 1 würdige Erſcheinung zeigt ſich unter der Breite der Inſel Dominica und etwa unter 57° der Länge. Sollte an dieſem Punkt, noch öſt- licher als Barbados, ein verſunkenes vulkaniſches Eiland unter dem Meeresſpiegel liegen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/156
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/156>, abgerufen am 21.11.2024.