dieses Landstriches nicht sowohl von der Beschaffenheit der Gebirgsart her, etwa von der Zersetzung des Gneises, als vielmehr davon, daß das Wasser lange darüber gestanden und die Strömungen ihre Wirkungen geäußert haben. Die Kalkberge von Cumana, nördlich vom Turimiquiri, zeigen die- selbe Bildung.
Von Las Lagunetas ging es in das Thal des Tuy hinunter. Dieser westliche Abhang der Berggruppe Los Teques heißt Las Cocuyzas; er ist mit zwei Pflanzen mit Agaveblättern, mit dem Maguey de Cocuyza und dem Maguey de Co- cuy bewachsen. Letzterer gehört zur Gattung Yukka (unsere Yucca acaulis); aus dem gegorenen, mit Zucker versetzten Saft wird Branntwein gebrannt, auch habe ich die jungen Blätter essen sehen. Aus den Fasern der ausgewachsenen Blätter werden ungemein feste Stricke verfertigt.1 Hat man die Berge Higuerote und Los Teques hinter sich, so betritt man ein reich bebautes Land, bedeckt mit Weilern und Dörfern, unter denen welche sind, die in Europa Städte hießen. Von Ost nach West, auf einer Strecke von 54 km, kommt man durch Victoria, San Mateo, Turmero und Maracay, die zusammen über 28000 Einwohner haben. Die Ebenen am Tuy sind als der östliche Ausläufer der Thäler von Aragua zu betrachten, die sich von Guigue, am Ufer des Sees von Valencia, bis an den Fuß der Berge Las Cocuyzas erstrecken. Durch barometrische Messung fand ich das Tuythal beim Hofe Manterola 575 m und den Spiegel des Sees 432 m über dem Meere. Der Tuy, der in den Bergen Las Cocuyzas ent- springt, läuft anfangs gegen West, wendet sich dann nach Süd und Ost längs der hohen Savannen von Ocumare, nimmt die Gewässer des Thales von Caracas auf und fällt unter dem Winde des Kap Codera ins Meer.
Wir waren schon lange an eine mäßige Temperatur ge- wöhnt, und so kamen uns die Ebenen am Tuy sehr heiß vor, und doch stand der Thermometer bei Tag zwischen 11 Uhr morgens und 5 Uhr abends nur auf 23 bis 24°. Die Nächte waren köstlich kühl, da die Lufttemperatur bis auf 17,5° sank. Je mehr die Hitze abnahm, desto stärker schienen die Wohl- gerüche der Blumen die Luft zu erfüllen. Aus allen heraus erkannten wir den köstlichen Geruch des Lirio hermoso, einer
1 An der Uhr in der Hauptkirche von Caracas trug ein 1 cm dicker Magueystrick seit 15 Jahren ein Gewicht von 175 kg.
A. v. Humboldt, Reise. II. 12
dieſes Landſtriches nicht ſowohl von der Beſchaffenheit der Gebirgsart her, etwa von der Zerſetzung des Gneiſes, als vielmehr davon, daß das Waſſer lange darüber geſtanden und die Strömungen ihre Wirkungen geäußert haben. Die Kalkberge von Cumana, nördlich vom Turimiquiri, zeigen die- ſelbe Bildung.
Von Las Lagunetas ging es in das Thal des Tuy hinunter. Dieſer weſtliche Abhang der Berggruppe Los Teques heißt Las Cocuyzas; er iſt mit zwei Pflanzen mit Agaveblättern, mit dem Maguey de Cocuyza und dem Maguey de Co- cuy bewachſen. Letzterer gehört zur Gattung Yukka (unſere Yucca acaulis); aus dem gegorenen, mit Zucker verſetzten Saft wird Branntwein gebrannt, auch habe ich die jungen Blätter eſſen ſehen. Aus den Faſern der ausgewachſenen Blätter werden ungemein feſte Stricke verfertigt.1 Hat man die Berge Higuerote und Los Teques hinter ſich, ſo betritt man ein reich bebautes Land, bedeckt mit Weilern und Dörfern, unter denen welche ſind, die in Europa Städte hießen. Von Oſt nach Weſt, auf einer Strecke von 54 km, kommt man durch Victoria, San Mateo, Turmero und Maracay, die zuſammen über 28000 Einwohner haben. Die Ebenen am Tuy ſind als der öſtliche Ausläufer der Thäler von Aragua zu betrachten, die ſich von Guigue, am Ufer des Sees von Valencia, bis an den Fuß der Berge Las Cocuyzas erſtrecken. Durch barometriſche Meſſung fand ich das Tuythal beim Hofe Manterola 575 m und den Spiegel des Sees 432 m über dem Meere. Der Tuy, der in den Bergen Las Cocuyzas ent- ſpringt, läuft anfangs gegen Weſt, wendet ſich dann nach Süd und Oſt längs der hohen Savannen von Ocumare, nimmt die Gewäſſer des Thales von Caracas auf und fällt unter dem Winde des Kap Codera ins Meer.
Wir waren ſchon lange an eine mäßige Temperatur ge- wöhnt, und ſo kamen uns die Ebenen am Tuy ſehr heiß vor, und doch ſtand der Thermometer bei Tag zwiſchen 11 Uhr morgens und 5 Uhr abends nur auf 23 bis 24°. Die Nächte waren köſtlich kühl, da die Lufttemperatur bis auf 17,5° ſank. Je mehr die Hitze abnahm, deſto ſtärker ſchienen die Wohl- gerüche der Blumen die Luft zu erfüllen. Aus allen heraus erkannten wir den köſtlichen Geruch des Lirio hermoso, einer
1 An der Uhr in der Hauptkirche von Caracas trug ein 1 cm dicker Magueyſtrick ſeit 15 Jahren ein Gewicht von 175 kg.
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 12
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dieſes Landſtriches nicht ſowohl von der Beſchaffenheit der
Gebirgsart her, etwa von der Zerſetzung des Gneiſes, als
vielmehr davon, daß das Waſſer lange darüber geſtanden
und die Strömungen ihre Wirkungen geäußert haben. Die
Kalkberge von Cumana, nördlich vom Turimiquiri, zeigen die-
ſelbe Bildung.
Von Las Lagunetas ging es in das Thal des Tuy hinunter.
Dieſer weſtliche Abhang der Berggruppe Los Teques heißt
Las Cocuyzas; er iſt mit zwei Pflanzen mit Agaveblättern,
mit dem Maguey de Cocuyza und dem Maguey de Co-
cuy bewachſen. Letzterer gehört zur Gattung Yukka (unſere
Yucca acaulis); aus dem gegorenen, mit Zucker verſetzten
Saft wird Branntwein gebrannt, auch habe ich die jungen
Blätter eſſen ſehen. Aus den Faſern der ausgewachſenen
Blätter werden ungemein feſte Stricke verfertigt. 1 Hat man
die Berge Higuerote und Los Teques hinter ſich, ſo betritt
man ein reich bebautes Land, bedeckt mit Weilern und Dörfern,
unter denen welche ſind, die in Europa Städte hießen. Von
Oſt nach Weſt, auf einer Strecke von 54 km, kommt man
durch Victoria, San Mateo, Turmero und Maracay, die
zuſammen über 28000 Einwohner haben. Die Ebenen am
Tuy ſind als der öſtliche Ausläufer der Thäler von Aragua
zu betrachten, die ſich von Guigue, am Ufer des Sees von
Valencia, bis an den Fuß der Berge Las Cocuyzas erſtrecken.
Durch barometriſche Meſſung fand ich das Tuythal beim Hofe
Manterola 575 m und den Spiegel des Sees 432 m über
dem Meere. Der Tuy, der in den Bergen Las Cocuyzas ent-
ſpringt, läuft anfangs gegen Weſt, wendet ſich dann nach
Süd und Oſt längs der hohen Savannen von Ocumare, nimmt
die Gewäſſer des Thales von Caracas auf und fällt unter
dem Winde des Kap Codera ins Meer.
Wir waren ſchon lange an eine mäßige Temperatur ge-
wöhnt, und ſo kamen uns die Ebenen am Tuy ſehr heiß vor,
und doch ſtand der Thermometer bei Tag zwiſchen 11 Uhr
morgens und 5 Uhr abends nur auf 23 bis 24°. Die Nächte
waren köſtlich kühl, da die Lufttemperatur bis auf 17,5° ſank.
Je mehr die Hitze abnahm, deſto ſtärker ſchienen die Wohl-
gerüche der Blumen die Luft zu erfüllen. Aus allen heraus
erkannten wir den köſtlichen Geruch des Lirio hermoso, einer
1 An der Uhr in der Hauptkirche von Caracas trug ein 1 cm
dicker Magueyſtrick ſeit 15 Jahren ein Gewicht von 175 kg.
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 12
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/185>, abgerufen am 16.02.2025.
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