liegen auf der einen Seite des Sees zwischen Maracay und Valencia, auf der anderen zwischen Guayra und Guigue. Die großen Plantagen ertragen 30000 bis 35000 kg jährlich. Bedenkt man, daß in den Vereinigten Staaten, also außer- halb der Tropen, in einem unbeständigen, dem Gedeihen der Pflanze nicht selten feindlichen Klima die Ausfuhr der ein- heimischen Baumwolle in 18 Jahren (1797 bis 1815) von 1200000 auf 42500000 kg gestiegen ist, so kann man sich nicht leicht einen Begriff davon machen, in welch ungeheurem Maßstab dieser Handelszweig sich entwickeln muß, wenn ein- mal in den vereinigten Provinzen von Venezuela, in Neu- granada, in Mexiko und an den Ufern des La Plata der Gewerbfleiß nicht mehr in Fesseln geschlagen ist. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen erzeugen nach Brasilien die Küsten von holländisch Guyana, der Meerbusen von Cariaco, die Thäler von Aragua und die Provinzen Maracaybo und Car- tagena am meisten Baumwolle in Südamerika.
Während unseres Aufenthaltes in Cura machten wir viele Ausflüge auf die Felseninseln im See von Valencia, zu den heißen Quellen von Mariara und auf den hohen Granit- berg Cucurucho del Coco. Ein schmaler, gefährlicher Pfad führt an den Hafen Turiamo und zu den berühmten Kakao- pflanzungen an der Küste. Auf allen diesen Ausflügen sahen wir uns angenehm überrascht nicht nur durch die Fortschritte des Landbaus, sondern auch durch das Wachstum einer freien Bevölkerung, die fleißig, an Arbeit gewöhnt und zu arm ist, um Sklavenarbeit in Anspruch nehmen zu können. Ueberall hatten kleine Landbauer, Weiße und Mulatten, zerstreute Höfe angelegt. Unser Wirt, dessen Vater 40000 Piaster Einkünfte hat, besaß mehr Land, als er urbar machen konnte; er ver- teilte es in den Thälern von Aragua unter arme Leute, die Baumwolle bauen wollten. Sein Streben ging dahin, daß sich um seine großen Pflanzungen freie Leute ansiedelten, die nach freiem Ermessen bald für sich, bald auf den benachbarten Pflanzungen arbeiteten und in der Ernte ihm als Tagelöhner dienten. Graf Tovar verfolgte eifrig das edle Ziel, die Neger- sklaverei im Lande allmählich auszurotten, und er hegte die dop- pelte Hoffnung, einmal den Grundbesitzern die Sklaven weniger nötig zu machen, und dann die Freigelassenen in den Stand zu setzen, Pächter zu werden. Bei seiner Abreise nach Europa hatte er einen Teil seiner Ländereien bei Cura, westlich vom Felsen Las Viruelas, in einzelne Grundstücke zerschlagen und
liegen auf der einen Seite des Sees zwiſchen Maracay und Valencia, auf der anderen zwiſchen Guayra und Guigue. Die großen Plantagen ertragen 30000 bis 35000 kg jährlich. Bedenkt man, daß in den Vereinigten Staaten, alſo außer- halb der Tropen, in einem unbeſtändigen, dem Gedeihen der Pflanze nicht ſelten feindlichen Klima die Ausfuhr der ein- heimiſchen Baumwolle in 18 Jahren (1797 bis 1815) von 1200000 auf 42500000 kg geſtiegen iſt, ſo kann man ſich nicht leicht einen Begriff davon machen, in welch ungeheurem Maßſtab dieſer Handelszweig ſich entwickeln muß, wenn ein- mal in den vereinigten Provinzen von Venezuela, in Neu- granada, in Mexiko und an den Ufern des La Plata der Gewerbfleiß nicht mehr in Feſſeln geſchlagen iſt. Unter den gegenwärtigen Verhältniſſen erzeugen nach Braſilien die Küſten von holländiſch Guyana, der Meerbuſen von Cariaco, die Thäler von Aragua und die Provinzen Maracaybo und Car- tagena am meiſten Baumwolle in Südamerika.
Während unſeres Aufenthaltes in Cura machten wir viele Ausflüge auf die Felſeninſeln im See von Valencia, zu den heißen Quellen von Mariara und auf den hohen Granit- berg Cucurucho del Coco. Ein ſchmaler, gefährlicher Pfad führt an den Hafen Turiamo und zu den berühmten Kakao- pflanzungen an der Küſte. Auf allen dieſen Ausflügen ſahen wir uns angenehm überraſcht nicht nur durch die Fortſchritte des Landbaus, ſondern auch durch das Wachstum einer freien Bevölkerung, die fleißig, an Arbeit gewöhnt und zu arm iſt, um Sklavenarbeit in Anſpruch nehmen zu können. Ueberall hatten kleine Landbauer, Weiße und Mulatten, zerſtreute Höfe angelegt. Unſer Wirt, deſſen Vater 40000 Piaſter Einkünfte hat, beſaß mehr Land, als er urbar machen konnte; er ver- teilte es in den Thälern von Aragua unter arme Leute, die Baumwolle bauen wollten. Sein Streben ging dahin, daß ſich um ſeine großen Pflanzungen freie Leute anſiedelten, die nach freiem Ermeſſen bald für ſich, bald auf den benachbarten Pflanzungen arbeiteten und in der Ernte ihm als Tagelöhner dienten. Graf Tovar verfolgte eifrig das edle Ziel, die Neger- ſklaverei im Lande allmählich auszurotten, und er hegte die dop- pelte Hoffnung, einmal den Grundbeſitzern die Sklaven weniger nötig zu machen, und dann die Freigelaſſenen in den Stand zu ſetzen, Pächter zu werden. Bei ſeiner Abreiſe nach Europa hatte er einen Teil ſeiner Ländereien bei Cura, weſtlich vom Felſen Las Viruelas, in einzelne Grundſtücke zerſchlagen und
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liegen auf der einen Seite des Sees zwiſchen Maracay und
Valencia, auf der anderen zwiſchen Guayra und Guigue. Die
großen Plantagen ertragen 30000 bis 35000 kg jährlich.
Bedenkt man, daß in den Vereinigten Staaten, alſo außer-
halb der Tropen, in einem unbeſtändigen, dem Gedeihen der
Pflanze nicht ſelten feindlichen Klima die Ausfuhr der ein-
heimiſchen Baumwolle in 18 Jahren (1797 bis 1815) von
1200000 auf 42500000 kg geſtiegen iſt, ſo kann man ſich
nicht leicht einen Begriff davon machen, in welch ungeheurem
Maßſtab dieſer Handelszweig ſich entwickeln muß, wenn ein-
mal in den vereinigten Provinzen von Venezuela, in Neu-
granada, in Mexiko und an den Ufern des La Plata der
Gewerbfleiß nicht mehr in Feſſeln geſchlagen iſt. Unter den
gegenwärtigen Verhältniſſen erzeugen nach Braſilien die Küſten
von holländiſch Guyana, der Meerbuſen von Cariaco, die
Thäler von Aragua und die Provinzen Maracaybo und Car-
tagena am meiſten Baumwolle in Südamerika.
Während unſeres Aufenthaltes in Cura machten wir
viele Ausflüge auf die Felſeninſeln im See von Valencia, zu
den heißen Quellen von Mariara und auf den hohen Granit-
berg Cucurucho del Coco. Ein ſchmaler, gefährlicher Pfad
führt an den Hafen Turiamo und zu den berühmten Kakao-
pflanzungen an der Küſte. Auf allen dieſen Ausflügen ſahen
wir uns angenehm überraſcht nicht nur durch die Fortſchritte
des Landbaus, ſondern auch durch das Wachstum einer freien
Bevölkerung, die fleißig, an Arbeit gewöhnt und zu arm iſt,
um Sklavenarbeit in Anſpruch nehmen zu können. Ueberall
hatten kleine Landbauer, Weiße und Mulatten, zerſtreute Höfe
angelegt. Unſer Wirt, deſſen Vater 40000 Piaſter Einkünfte
hat, beſaß mehr Land, als er urbar machen konnte; er ver-
teilte es in den Thälern von Aragua unter arme Leute, die
Baumwolle bauen wollten. Sein Streben ging dahin, daß
ſich um ſeine großen Pflanzungen freie Leute anſiedelten, die
nach freiem Ermeſſen bald für ſich, bald auf den benachbarten
Pflanzungen arbeiteten und in der Ernte ihm als Tagelöhner
dienten. Graf Tovar verfolgte eifrig das edle Ziel, die Neger-
ſklaverei im Lande allmählich auszurotten, und er hegte die dop-
pelte Hoffnung, einmal den Grundbeſitzern die Sklaven weniger
nötig zu machen, und dann die Freigelaſſenen in den Stand
zu ſetzen, Pächter zu werden. Bei ſeiner Abreiſe nach Europa
hatte er einen Teil ſeiner Ländereien bei Cura, weſtlich vom
Felſen Las Viruelas, in einzelne Grundſtücke zerſchlagen und
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/206>, abgerufen am 16.02.2025.
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