dünste, die aus dem See aufsteigen, sehr fruchtbar. Die größte, 3900 m lange, der Burro, ist sogar von ein paar Mestizen- familien bewohnt, die Ziegen halten. Diese einfachen Menschen kommen selten an das Ufer bei Mocundo; der See dünkt ihnen unermeßlich groß, sie haben Bananen, Maniok, Milch und etwas Fische. Eine Rohrhütte, ein paar Hängematten aus Baumwolle, die nebenan wächst, ein großer Stein, um Feuer darauf zu machen, die holzige Frucht des Tutuma zum Wasserschöpfen, das ist ihr ganzer Hausrat. Der alte Mestize, der uns Ziegenmilch anbot, hatte eine sehr hübsche Tochter. Unser Führer erzählte uns, das einsame Leben habe den Mann so argwöhnisch gemacht, als er vielleicht im Verkehr mit Menschen geworden wäre. Tags zuvor waren Jäger auf der Insel gewesen; die Nacht überraschte sie und sie wollten lieber unter freiem Himmel schlafen, als nach Mocundo zurückfahren. Darüber entstand große Unruhe auf der Insel. Der Vater zwang die Tochter, auf eine sehr hohe Akazie zu steigen, die auf dem ebenen Boden nicht weit von der Hütte steht. Er selbst legte sich unter den Baum und ließ die Tochter nicht eher herunter, als bis die Jäger abgezogen waren. Nicht bei allen Inselbewohnern findet der Reisende solch argwöhnische Vorsicht, solch gewaltige Sittenstrenge.
Die See ist meist sehr fischreich; es kommen aber nur drei Arten mit weichlichem, nicht sehr schmackhaftem Fleische darin vor, die Guavina, der Vagre und die Sardina. Die beiden letzteren kommen aus den Bächen in den See. Die Guavina, die ich an Ort und Stelle gezeichnet habe, ist 53 cm lang, 92 mm breit. Es ist vielleicht eine neue Art der Gattung Erythrina des Gronovius. Sie hat große, silberglänzende, grün geränderte Schuppen; sie ist sehr gefräßig und läßt andere Arten nicht aufkommen. Die Fischer versicherten uns, ein kleines Krokodil, der Bava, der uns beim Baden oft nahe kam, helfe auch die Fische ausrotten. Wir konnten dieses Reptils nie habhaft werden, um es näher zu untersuchen. Es wird meist nur 1 bis 1,3 m lang und gilt für unschädlich, aber in der Lebensweise wie in der Gestalt kommt es dem Kaiman oder Crocodilus acutus nahe. Beim Schwimmen sieht man von ihm nur die Spitze der Schnauze und das Schwanzende. Bei Tage liegt es auf kahlen Uferstellen. Es ist sicher weder ein Monitor (die eigentlichen Monitor ge- hören nur der Alten Welt an), noch Sebas Sauvegarde (Lacerta Teguixin), die nur taucht und nicht schwimmt.
dünſte, die aus dem See aufſteigen, ſehr fruchtbar. Die größte, 3900 m lange, der Burro, iſt ſogar von ein paar Meſtizen- familien bewohnt, die Ziegen halten. Dieſe einfachen Menſchen kommen ſelten an das Ufer bei Mocundo; der See dünkt ihnen unermeßlich groß, ſie haben Bananen, Maniok, Milch und etwas Fiſche. Eine Rohrhütte, ein paar Hängematten aus Baumwolle, die nebenan wächſt, ein großer Stein, um Feuer darauf zu machen, die holzige Frucht des Tutuma zum Waſſerſchöpfen, das iſt ihr ganzer Hausrat. Der alte Meſtize, der uns Ziegenmilch anbot, hatte eine ſehr hübſche Tochter. Unſer Führer erzählte uns, das einſame Leben habe den Mann ſo argwöhniſch gemacht, als er vielleicht im Verkehr mit Menſchen geworden wäre. Tags zuvor waren Jäger auf der Inſel geweſen; die Nacht überraſchte ſie und ſie wollten lieber unter freiem Himmel ſchlafen, als nach Mocundo zurückfahren. Darüber entſtand große Unruhe auf der Inſel. Der Vater zwang die Tochter, auf eine ſehr hohe Akazie zu ſteigen, die auf dem ebenen Boden nicht weit von der Hütte ſteht. Er ſelbſt legte ſich unter den Baum und ließ die Tochter nicht eher herunter, als bis die Jäger abgezogen waren. Nicht bei allen Inſelbewohnern findet der Reiſende ſolch argwöhniſche Vorſicht, ſolch gewaltige Sittenſtrenge.
Die See iſt meiſt ſehr fiſchreich; es kommen aber nur drei Arten mit weichlichem, nicht ſehr ſchmackhaftem Fleiſche darin vor, die Guavina, der Vagre und die Sardina. Die beiden letzteren kommen aus den Bächen in den See. Die Guavina, die ich an Ort und Stelle gezeichnet habe, iſt 53 cm lang, 92 mm breit. Es iſt vielleicht eine neue Art der Gattung Erythrina des Gronovius. Sie hat große, ſilberglänzende, grün geränderte Schuppen; ſie iſt ſehr gefräßig und läßt andere Arten nicht aufkommen. Die Fiſcher verſicherten uns, ein kleines Krokodil, der Bava, der uns beim Baden oft nahe kam, helfe auch die Fiſche ausrotten. Wir konnten dieſes Reptils nie habhaft werden, um es näher zu unterſuchen. Es wird meiſt nur 1 bis 1,3 m lang und gilt für unſchädlich, aber in der Lebensweiſe wie in der Geſtalt kommt es dem Kaiman oder Crocodilus acutus nahe. Beim Schwimmen ſieht man von ihm nur die Spitze der Schnauze und das Schwanzende. Bei Tage liegt es auf kahlen Uferſtellen. Es iſt ſicher weder ein Monitor (die eigentlichen Monitor ge- hören nur der Alten Welt an), noch Sebas Sauvegarde (Lacerta Teguixin), die nur taucht und nicht ſchwimmt.
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familien bewohnt, die Ziegen halten. Dieſe einfachen Menſchen
kommen ſelten an das Ufer bei Mocundo; der See dünkt
ihnen unermeßlich groß, ſie haben Bananen, Maniok, Milch
und etwas Fiſche. Eine Rohrhütte, ein paar Hängematten
aus Baumwolle, die nebenan wächſt, ein großer Stein, um
Feuer darauf zu machen, die holzige Frucht des Tutuma zum
Waſſerſchöpfen, das iſt ihr ganzer Hausrat. Der alte Meſtize,
der uns Ziegenmilch anbot, hatte eine ſehr hübſche Tochter.
Unſer Führer erzählte uns, das einſame Leben habe den Mann
ſo argwöhniſch gemacht, als er vielleicht im Verkehr mit
Menſchen geworden wäre. Tags zuvor waren Jäger auf der
Inſel geweſen; die Nacht überraſchte ſie und ſie wollten lieber
unter freiem Himmel ſchlafen, als nach Mocundo zurückfahren.
Darüber entſtand große Unruhe auf der Inſel. Der Vater
zwang die Tochter, auf eine ſehr hohe Akazie zu ſteigen, die
auf dem ebenen Boden nicht weit von der Hütte ſteht. Er
ſelbſt legte ſich unter den Baum und ließ die Tochter nicht
eher herunter, als bis die Jäger abgezogen waren. Nicht bei
allen Inſelbewohnern findet der Reiſende ſolch argwöhniſche
Vorſicht, ſolch gewaltige Sittenſtrenge.
Die See iſt meiſt ſehr fiſchreich; es kommen aber nur
drei Arten mit weichlichem, nicht ſehr ſchmackhaftem Fleiſche
darin vor, die Guavina, der Vagre und die Sardina. Die
beiden letzteren kommen aus den Bächen in den See. Die
Guavina, die ich an Ort und Stelle gezeichnet habe, iſt 53 cm
lang, 92 mm breit. Es iſt vielleicht eine neue Art der Gattung
Erythrina des Gronovius. Sie hat große, ſilberglänzende,
grün geränderte Schuppen; ſie iſt ſehr gefräßig und läßt andere
Arten nicht aufkommen. Die Fiſcher verſicherten uns, ein
kleines Krokodil, der Bava, der uns beim Baden oft nahe
kam, helfe auch die Fiſche ausrotten. Wir konnten dieſes
Reptils nie habhaft werden, um es näher zu unterſuchen. Es
wird meiſt nur 1 bis 1,3 m lang und gilt für unſchädlich,
aber in der Lebensweiſe wie in der Geſtalt kommt es dem
Kaiman oder Crocodilus acutus nahe. Beim Schwimmen
ſieht man von ihm nur die Spitze der Schnauze und das
Schwanzende. Bei Tage liegt es auf kahlen Uferſtellen. Es
iſt ſicher weder ein Monitor (die eigentlichen Monitor ge-
hören nur der Alten Welt an), noch Sebas Sauvegarde
(Lacerta Teguixin), die nur taucht und nicht ſchwimmt.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/223>, abgerufen am 16.02.2025.
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