Der südliche Abhang der Küstenkordillere ist ziemlich steil da die Steppen nach meinen barometrischen Messungen 324 m tiefer liegen als der Boden des Beckens von Aragua. Vom weiten Plateau von Villa de Cura kamen wir herab an das Ufer des Rio Tucutunemo, der sich ins Serpentingestein ein von Ost nach West streichendes Längenthal gegraben hat, un- gefähr im Niveau von La Victoria. Von da führte uns ein Querthal über die Dörfer Parapara und Ortiz in die Llanos. Dieses Thal streicht im ganzen von Nord nach Süd und ver- engt sich an mehreren Stellen. Becken mit völlig wage- rechtem Boden stehen durch schmale, abschüssige Schluchten mit- einander in Verbindung. Es waren dies einst ohne Zweifel kleine Seen, und durch Aufstauung der Gewässer oder durch eine noch gewaltsamere Katastrophe sind die Dämme zwischen den Wasserbecken durchbrochen worden. Diese Erscheinung kommt gleichzeitig in beiden Kontinenten vor, überall, wo Längenthäler Pässe über die Anden, die Alpen, die Pyrenäen bilden. 1 Wahrscheinlich rührt die ruinenhafte Gestalt der Kuppen von San Juan und San Sebastiano von den ge- waltigen Schwemmungen her, die beim Ausbruch der Ge- wässer gegen die Llanos erfolgten.
Bei der Mesa de Paja, unter dem 9. Grade der Breite, betraten wir das Becken der Llanos. Die Sonne stand beinahe im Zenith; der Boden zeigte überall, wo er von Vegetation entblößt war, eine Temperatur von 48 bis 50°. In der Höhe, in der wir uns auf unseren Maultieren be- fanden, war kein Lufthauch zu spüren; aber in dieser schein- baren Ruhe erhoben sich fortwährend kleine Staubwirbel in- folge der Luftströmungen, die dicht am Boden durch die Temperaturunterschiede zwischen dem nackten Sande und den mit Gras bewachsenen Flecken hervorgebracht werden. Diese "Sandwinde" steigern die erstickende Hitze der Luft. Jedes Quarzkorn, weil es wärmer ist als die umgebende Luft, strahlt ringsum Wärme aus, und es hält schwer, die Lufttemperatur zu beobachten, ohne daß Sandteilchen gegen die Kugel des Thermometers getrieben werden. Die Ebenen ringsum schienen zum Himmel anzusteigen, und die weite unermeßliche Einöde stellte sich unseren Blicken als eine mit Tang und Meeralgen
1 Ich erinnere die Reisenden an den Weg vom Ursernthal zum Gotthardshospiz und von da nach Airolo.
Der ſüdliche Abhang der Küſtenkordillere iſt ziemlich ſteil da die Steppen nach meinen barometriſchen Meſſungen 324 m tiefer liegen als der Boden des Beckens von Aragua. Vom weiten Plateau von Villa de Cura kamen wir herab an das Ufer des Rio Tucutunemo, der ſich ins Serpentingeſtein ein von Oſt nach Weſt ſtreichendes Längenthal gegraben hat, un- gefähr im Niveau von La Victoria. Von da führte uns ein Querthal über die Dörfer Parapara und Ortiz in die Llanos. Dieſes Thal ſtreicht im ganzen von Nord nach Süd und ver- engt ſich an mehreren Stellen. Becken mit völlig wage- rechtem Boden ſtehen durch ſchmale, abſchüſſige Schluchten mit- einander in Verbindung. Es waren dies einſt ohne Zweifel kleine Seen, und durch Aufſtauung der Gewäſſer oder durch eine noch gewaltſamere Kataſtrophe ſind die Dämme zwiſchen den Waſſerbecken durchbrochen worden. Dieſe Erſcheinung kommt gleichzeitig in beiden Kontinenten vor, überall, wo Längenthäler Päſſe über die Anden, die Alpen, die Pyrenäen bilden. 1 Wahrſcheinlich rührt die ruinenhafte Geſtalt der Kuppen von San Juan und San Sebaſtiano von den ge- waltigen Schwemmungen her, die beim Ausbruch der Ge- wäſſer gegen die Llanos erfolgten.
Bei der Meſa de Paja, unter dem 9. Grade der Breite, betraten wir das Becken der Llanos. Die Sonne ſtand beinahe im Zenith; der Boden zeigte überall, wo er von Vegetation entblößt war, eine Temperatur von 48 bis 50°. In der Höhe, in der wir uns auf unſeren Maultieren be- fanden, war kein Lufthauch zu ſpüren; aber in dieſer ſchein- baren Ruhe erhoben ſich fortwährend kleine Staubwirbel in- folge der Luftſtrömungen, die dicht am Boden durch die Temperaturunterſchiede zwiſchen dem nackten Sande und den mit Gras bewachſenen Flecken hervorgebracht werden. Dieſe „Sandwinde“ ſteigern die erſtickende Hitze der Luft. Jedes Quarzkorn, weil es wärmer iſt als die umgebende Luft, ſtrahlt ringsum Wärme aus, und es hält ſchwer, die Lufttemperatur zu beobachten, ohne daß Sandteilchen gegen die Kugel des Thermometers getrieben werden. Die Ebenen ringsum ſchienen zum Himmel anzuſteigen, und die weite unermeßliche Einöde ſtellte ſich unſeren Blicken als eine mit Tang und Meeralgen
1 Ich erinnere die Reiſenden an den Weg vom Urſernthal zum Gotthardshoſpiz und von da nach Airolo.
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Der ſüdliche Abhang der Küſtenkordillere iſt ziemlich ſteil
da die Steppen nach meinen barometriſchen Meſſungen 324 m
tiefer liegen als der Boden des Beckens von Aragua. Vom
weiten Plateau von Villa de Cura kamen wir herab an das
Ufer des Rio Tucutunemo, der ſich ins Serpentingeſtein ein
von Oſt nach Weſt ſtreichendes Längenthal gegraben hat, un-
gefähr im Niveau von La Victoria. Von da führte uns ein
Querthal über die Dörfer Parapara und Ortiz in die Llanos.
Dieſes Thal ſtreicht im ganzen von Nord nach Süd und ver-
engt ſich an mehreren Stellen. Becken mit völlig wage-
rechtem Boden ſtehen durch ſchmale, abſchüſſige Schluchten mit-
einander in Verbindung. Es waren dies einſt ohne Zweifel
kleine Seen, und durch Aufſtauung der Gewäſſer oder durch
eine noch gewaltſamere Kataſtrophe ſind die Dämme zwiſchen
den Waſſerbecken durchbrochen worden. Dieſe Erſcheinung
kommt gleichzeitig in beiden Kontinenten vor, überall, wo
Längenthäler Päſſe über die Anden, die Alpen, die Pyrenäen
bilden. 1 Wahrſcheinlich rührt die ruinenhafte Geſtalt der
Kuppen von San Juan und San Sebaſtiano von den ge-
waltigen Schwemmungen her, die beim Ausbruch der Ge-
wäſſer gegen die Llanos erfolgten.
Bei der Meſa de Paja, unter dem 9. Grade der
Breite, betraten wir das Becken der Llanos. Die Sonne
ſtand beinahe im Zenith; der Boden zeigte überall, wo er von
Vegetation entblößt war, eine Temperatur von 48 bis 50°.
In der Höhe, in der wir uns auf unſeren Maultieren be-
fanden, war kein Lufthauch zu ſpüren; aber in dieſer ſchein-
baren Ruhe erhoben ſich fortwährend kleine Staubwirbel in-
folge der Luftſtrömungen, die dicht am Boden durch die
Temperaturunterſchiede zwiſchen dem nackten Sande und den
mit Gras bewachſenen Flecken hervorgebracht werden. Dieſe
„Sandwinde“ ſteigern die erſtickende Hitze der Luft. Jedes
Quarzkorn, weil es wärmer iſt als die umgebende Luft, ſtrahlt
ringsum Wärme aus, und es hält ſchwer, die Lufttemperatur
zu beobachten, ohne daß Sandteilchen gegen die Kugel des
Thermometers getrieben werden. Die Ebenen ringsum ſchienen
zum Himmel anzuſteigen, und die weite unermeßliche Einöde
ſtellte ſich unſeren Blicken als eine mit Tang und Meeralgen
1 Ich erinnere die Reiſenden an den Weg vom Urſernthal zum
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/275>, abgerufen am 16.06.2024.
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