bedeckte See dar. Da die Dunstmassen in der Luft ungleich verteilt waren, und die Temperaturabnahme in den überein- andergelagerten Luftschichten keine gleichförmige ist, so zeigte sich der Horizont in gewissen Richtungen hell und scharf be- grenzt, in anderen wellenförmig auf und ab gebogen und wie gestreift. Erde und Himmel schmolzen dort ineinander. Durch den trockenen Nebel und die Dunstschichten gewahrte man in der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer grünenden Wipfel beraubt, erschienen diese Stämme wie Schiffsmasten, die am Horizont auftauchten.
Der einförmige Anblick dieser Steppen hat etwas Groß- artiges, aber auch etwas Trauriges und Niederschlagendes. Es ist als ob die ganze Natur erstarrt wäre; kaum daß hin und wieder der Schatten einer kleinen Wolke, die durch den Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Sa- vanne fällt. Der erste Anblick der Llanos überrascht vielleicht nicht weniger als der der Andeskette. Alle Gebirgsländer, welches auch die absolute Höhe ihrer höchsten Gipfel sein mag, haben eine gemeinsame Physiognomie; aber nur schwer gewöhnt man sich an den Anblick der Llanos von Venezuela und Casanare, der Pampas von Buenos Ayres und Chaco, die beständig, 20, 30 Tagereisen lang, ein Bild der Meeres- fläche bieten. Ich kannte die Ebenen oder Llanos der spani- schen Mancha und die Heiden (ericeta), die sich von den Grenzen Jütlands durch Lüneburg und Westfalen bis nach Belgien hinein erstrecken. Letztere sind wahre Steppen, von denen der Mensch seit Jahrhunderten nur kleine Strecken kulturfähig zu machen imstande war; aber die Ebenen im Westen und Norden von Europa geben nur ein schwaches Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im Südosten unseres Kontinentes, in Ungarn zwischen der Donau und der Theiß, in Rußland zwischen dem Dnjepr, dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten Weide- länder auf, die durch langen Aufenthalt der Wasser geebnet scheinen und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die ungarischen Ebenen bereist habe, an den Grenzen Deutschlands zwischen Preßburg und Oedenburg, beschäftigen sie die Ein- bildungskraft des Reisenden durch das fortwährende Spiel der Luftspiegelung; aber ihre weiteste Erstreckung ist ostwärts zwischen Czegled, Debreczin und Tittel. Es ist ein grünes Meer mit zwei Ausgängen, dem einen bei Gran und Waitzen, dem anderen zwischen Belgrad und Widdin.
bedeckte See dar. Da die Dunſtmaſſen in der Luft ungleich verteilt waren, und die Temperaturabnahme in den überein- andergelagerten Luftſchichten keine gleichförmige iſt, ſo zeigte ſich der Horizont in gewiſſen Richtungen hell und ſcharf be- grenzt, in anderen wellenförmig auf und ab gebogen und wie geſtreift. Erde und Himmel ſchmolzen dort ineinander. Durch den trockenen Nebel und die Dunſtſchichten gewahrte man in der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer grünenden Wipfel beraubt, erſchienen dieſe Stämme wie Schiffsmaſten, die am Horizont auftauchten.
Der einförmige Anblick dieſer Steppen hat etwas Groß- artiges, aber auch etwas Trauriges und Niederſchlagendes. Es iſt als ob die ganze Natur erſtarrt wäre; kaum daß hin und wieder der Schatten einer kleinen Wolke, die durch den Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Sa- vanne fällt. Der erſte Anblick der Llanos überraſcht vielleicht nicht weniger als der der Andeskette. Alle Gebirgsländer, welches auch die abſolute Höhe ihrer höchſten Gipfel ſein mag, haben eine gemeinſame Phyſiognomie; aber nur ſchwer gewöhnt man ſich an den Anblick der Llanos von Venezuela und Caſanare, der Pampas von Buenos Ayres und Chaco, die beſtändig, 20, 30 Tagereiſen lang, ein Bild der Meeres- fläche bieten. Ich kannte die Ebenen oder Llanos der ſpani- ſchen Mancha und die Heiden (ericeta), die ſich von den Grenzen Jütlands durch Lüneburg und Weſtfalen bis nach Belgien hinein erſtrecken. Letztere ſind wahre Steppen, von denen der Menſch ſeit Jahrhunderten nur kleine Strecken kulturfähig zu machen imſtande war; aber die Ebenen im Weſten und Norden von Europa geben nur ein ſchwaches Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im Südoſten unſeres Kontinentes, in Ungarn zwiſchen der Donau und der Theiß, in Rußland zwiſchen dem Dnjepr, dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten Weide- länder auf, die durch langen Aufenthalt der Waſſer geebnet ſcheinen und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die ungariſchen Ebenen bereiſt habe, an den Grenzen Deutſchlands zwiſchen Preßburg und Oedenburg, beſchäftigen ſie die Ein- bildungskraft des Reiſenden durch das fortwährende Spiel der Luftſpiegelung; aber ihre weiteſte Erſtreckung iſt oſtwärts zwiſchen Czegled, Debreczin und Tittel. Es iſt ein grünes Meer mit zwei Ausgängen, dem einen bei Gran und Waitzen, dem anderen zwiſchen Belgrad und Widdin.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0276"n="268"/>
bedeckte See dar. Da die Dunſtmaſſen in der Luft ungleich<lb/>
verteilt waren, und die Temperaturabnahme in den überein-<lb/>
andergelagerten Luftſchichten keine gleichförmige iſt, ſo zeigte<lb/>ſich der Horizont in gewiſſen Richtungen hell und ſcharf be-<lb/>
grenzt, in anderen wellenförmig auf und ab gebogen und wie<lb/>
geſtreift. Erde und Himmel ſchmolzen dort ineinander. Durch<lb/>
den trockenen Nebel und die Dunſtſchichten gewahrte man in<lb/>
der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer grünenden<lb/>
Wipfel beraubt, erſchienen dieſe Stämme wie Schiffsmaſten,<lb/>
die am Horizont auftauchten.</p><lb/><p>Der einförmige Anblick dieſer Steppen hat etwas Groß-<lb/>
artiges, aber auch etwas Trauriges und Niederſchlagendes.<lb/>
Es iſt als ob die ganze Natur erſtarrt wäre; kaum daß hin<lb/>
und wieder der Schatten einer kleinen Wolke, die durch den<lb/>
Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Sa-<lb/>
vanne fällt. Der erſte Anblick der Llanos überraſcht vielleicht<lb/>
nicht weniger als der der Andeskette. Alle Gebirgsländer,<lb/>
welches auch die abſolute Höhe ihrer höchſten Gipfel ſein<lb/>
mag, haben eine gemeinſame Phyſiognomie; aber nur ſchwer<lb/>
gewöhnt man ſich an den Anblick der Llanos von Venezuela<lb/>
und Caſanare, der Pampas von Buenos Ayres und Chaco,<lb/>
die beſtändig, 20, 30 Tagereiſen lang, ein Bild der Meeres-<lb/>
fläche bieten. Ich kannte die Ebenen oder Llanos der ſpani-<lb/>ſchen Mancha und die Heiden (<hirendition="#aq">ericeta</hi>), die ſich von den<lb/>
Grenzen Jütlands durch Lüneburg und Weſtfalen bis nach<lb/>
Belgien hinein erſtrecken. Letztere ſind wahre Steppen, von<lb/>
denen der Menſch ſeit Jahrhunderten nur kleine Strecken<lb/>
kulturfähig zu machen imſtande war; aber die Ebenen im<lb/>
Weſten und Norden von Europa geben nur ein ſchwaches<lb/>
Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im<lb/>
Südoſten unſeres Kontinentes, in Ungarn zwiſchen der<lb/>
Donau und der Theiß, in Rußland zwiſchen dem Dnjepr,<lb/>
dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten Weide-<lb/>
länder auf, die durch langen Aufenthalt der Waſſer geebnet<lb/>ſcheinen und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die<lb/>
ungariſchen Ebenen bereiſt habe, an den Grenzen Deutſchlands<lb/>
zwiſchen Preßburg und Oedenburg, beſchäftigen ſie die Ein-<lb/>
bildungskraft des Reiſenden durch das fortwährende Spiel<lb/>
der Luftſpiegelung; aber ihre weiteſte Erſtreckung iſt oſtwärts<lb/>
zwiſchen Czegled, Debreczin und Tittel. Es iſt ein grünes<lb/>
Meer mit zwei Ausgängen, dem einen bei Gran und Waitzen,<lb/>
dem anderen zwiſchen Belgrad und Widdin.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[268/0276]
bedeckte See dar. Da die Dunſtmaſſen in der Luft ungleich
verteilt waren, und die Temperaturabnahme in den überein-
andergelagerten Luftſchichten keine gleichförmige iſt, ſo zeigte
ſich der Horizont in gewiſſen Richtungen hell und ſcharf be-
grenzt, in anderen wellenförmig auf und ab gebogen und wie
geſtreift. Erde und Himmel ſchmolzen dort ineinander. Durch
den trockenen Nebel und die Dunſtſchichten gewahrte man in
der Ferne Stämme von Palmbäumen. Ihrer grünenden
Wipfel beraubt, erſchienen dieſe Stämme wie Schiffsmaſten,
die am Horizont auftauchten.
Der einförmige Anblick dieſer Steppen hat etwas Groß-
artiges, aber auch etwas Trauriges und Niederſchlagendes.
Es iſt als ob die ganze Natur erſtarrt wäre; kaum daß hin
und wieder der Schatten einer kleinen Wolke, die durch den
Zenith eilend die nahende Regenzeit verkündet, auf die Sa-
vanne fällt. Der erſte Anblick der Llanos überraſcht vielleicht
nicht weniger als der der Andeskette. Alle Gebirgsländer,
welches auch die abſolute Höhe ihrer höchſten Gipfel ſein
mag, haben eine gemeinſame Phyſiognomie; aber nur ſchwer
gewöhnt man ſich an den Anblick der Llanos von Venezuela
und Caſanare, der Pampas von Buenos Ayres und Chaco,
die beſtändig, 20, 30 Tagereiſen lang, ein Bild der Meeres-
fläche bieten. Ich kannte die Ebenen oder Llanos der ſpani-
ſchen Mancha und die Heiden (ericeta), die ſich von den
Grenzen Jütlands durch Lüneburg und Weſtfalen bis nach
Belgien hinein erſtrecken. Letztere ſind wahre Steppen, von
denen der Menſch ſeit Jahrhunderten nur kleine Strecken
kulturfähig zu machen imſtande war; aber die Ebenen im
Weſten und Norden von Europa geben nur ein ſchwaches
Bild von den unermeßlichen Llanos in Südamerika. Im
Südoſten unſeres Kontinentes, in Ungarn zwiſchen der
Donau und der Theiß, in Rußland zwiſchen dem Dnjepr,
dem Don und der Wolga treten die ausgedehnten Weide-
länder auf, die durch langen Aufenthalt der Waſſer geebnet
ſcheinen und ringsum den Horizont begrenzen. Wo ich die
ungariſchen Ebenen bereiſt habe, an den Grenzen Deutſchlands
zwiſchen Preßburg und Oedenburg, beſchäftigen ſie die Ein-
bildungskraft des Reiſenden durch das fortwährende Spiel
der Luftſpiegelung; aber ihre weiteſte Erſtreckung iſt oſtwärts
zwiſchen Czegled, Debreczin und Tittel. Es iſt ein grünes
Meer mit zwei Ausgängen, dem einen bei Gran und Waitzen,
dem anderen zwiſchen Belgrad und Widdin.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/276>, abgerufen am 21.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.